In der ruhigen Zeit zwischen den Jahren empfing der neue Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) die Berliner Morgenpost zum Interview. Bei Kaffee und Marzipankartoffeln ging es im frisch aufgeräumten Amtszimmer im Roten Rathaus um die Weichenstellungen für die kommenden Monate.
Berliner Morgenpost: Herr Müller, was ist Ihr guter Vorsatz fürs neue Jahr?
Michael Müller: Ich hoffe, dass ich es mir im neuen Amt erhalten kann, zumindest an den Wochenenden neben Terminen auch Zeit für die Familie zu haben.
Am 8. Januar trifft sich der Senat erstmals unter Ihrer Führung zu einer Klausur. Was erwarten Sie von dem Treffen?
Wir wollen zum einen eine selbstkritische Bestandsaufnahme machen von den drei Jahren unserer bisherigen Regierungsarbeit. Das ist auch wichtig für die neuen Senatsmitglieder. Zum anderen wollen wir beraten, welche zentralen Themen wir in den kommenden knapp zwei Jahren noch bewegen wollen.
Was bedeutet selbstkritisch?
Wir müssen unsere Politik der wachsenden Stadt anpassen, zum Beispiel beim Personal. Trotz des wichtigen und richtigen Sparkurses dürfen wir nicht übers Ziel hinausschießen. Wir müssen bei der Ausbildung und bei technischen Laufbahnen nachsteuern, wo es nötig ist.
Benötigt der öffentliche Dienst Berlins mehr Mitarbeiter?
Ja, wobei es nicht pauschal um eine bestimmte Zahl geht. Wir müssen vielmehr gezielt sagen, in welchen Bereichen oder auch in welchen Ausbildungsgängen wir mehr Kräfte brauchen. Das betrifft auch die Bezirke, da gibt es zum Beispiel Probleme in den Bürgerämtern, aber auch bei den Elterngeldstellen.
Die Bezirke sagen, sie benötigen 1200 neue Mitarbeiter. Ist das realistisch?
Es ist immer gut, solche Berechnungen auch nachzurechnen. Der Finanzsenator wird das bewerten und mit den Bezirken diskutieren.
Die Industrie- und Handelskammer fordert einen Personalstaatssekretär beim Regierenden Bürgermeister, der die Modernisierung der Verwaltung voranbringt.
Das ist nicht notwendigerweise nur ein Thema für die Senatskanzlei. Fachlich kann die Innen- oder die Finanzverwaltung zuständig sein. Nach unserem jetzigen Koalitionsvertrag sind beide Verwaltungen zuständig. Ich kann mir gut vorstellen, dass das in der kommenden Legislaturperiode wieder eine der beiden übernimmt. Eine Doppelspitze ist nicht immer eine gute Lösung.
Wo muss denn noch beim Personal nachgesteuert werden? Bei Polizei und Feuerwehr zum Beispiel?
Mir fallen die Bauverwaltungen bei Bezirken und Land ein, damit wir neue Wohnungen schneller genehmigen und fertigstellen können. Auf der Landesebene spielen neben der Verkehrslenkung auch Polizei und Feuerwehr eine Rolle. Es geht um unser aller Sicherheit. Aber ich erwarte von allen Verwaltungen, dass mir detailliert dargelegt wird, wo was gebraucht wird. Ich will gezielt auf den Bedarf reagieren, den die wachsende Stadt eben mit sich bringt, Gießkannenpolitik hilft am Ende niemandem.
In der Koalition gab es zuletzt Differenzen über die Konzessionsvergabe beim Gas- und Stromnetz. Wie werden Sie da jetzt weiter vorgehen?
Das Thema wird bei der Senatsklausur eine Rolle spielen. Der Finanzsenator ist offen für Gespräche mit den privaten Anbietern. Er ist bereit auszuloten, wie mögliche Kooperationen aussehen können. Das hat Einfluss auf das weitere Verfahren.
Werden Sie mit dem Koalitionspartner in dieser Frage zu einer Übereinstimmung kommen können? Offenbar würden einige in der CDU die Netze am liebsten den Altkonzessionären überlassen.
Diese Haltung gibt es bestimmt in Teilen der CDU. Aber die Führung der Union hat sich im Koalitionsvertrag mit der SPD auf einen anderen Weg verständigt. Uns eint sehr, dass wir in Zukunft mehr Einfluss auf die Energieerzeugung haben wollen und auch auf die Investitionen in die Energieinfrastruktur. Dazu gehört zumindest eine Mitverantwortung für die Netze. Wir sehen keine Veranlassung, diesen Weg zu verlassen. Wir müssen jetzt sehen, wie wir ihn vernünftig gehen. Da sind Gespräche mit kompetenten Privaten ein Weg, um das auszuloten.
Der Senat hat unverhofft 200 Millionen Euro aus dem vom Parlament beschlossenen neuen Investitionsfonds übrig. Wollen Sie das Geld auf viele Bereiche verteilen oder lieber einen großen Komplex fördern?
200 Millionen hören sich viel an. Es ist aber angesichts des Investitionsbedarfs in Berlin nicht wirklich eine große Summe. Deshalb macht es Sinn, sich zu konzentrieren. Besonders im Bildungsbereich haben wir Nachholbedarf. Da wäre es richtig, Schwerpunkte zu setzen, ebenso in der Verkehrsinfrastruktur.
Wenn man über den Neustart der Koalition spricht, denkt man in Berlin sofort an Uralt-Themen wie das ICC. Die Hoteliers sagen, Berlin brauche ein neues Kongresszentrum. Können Sie sich vorstellen, das ICC für diesen Zweck wiederherzustellen?
Warum nicht. Der Abriss des ICC kostet 200 Millionen. Ein neuer City Cube noch einmal 80. Warum nehme ich das Geld nicht, um das ICC zu sanieren? Immerhin ein Bau, der einmal fast eine Milliarde Mark gekostet hat. Jedes Mal, wenn ich ins Büro der Messegesellschaft komme, sehe ich die ganzen Urkunden, die das ICC als weltbestes Kongresszentrum preisen. Möglicherweise brauche ich nicht alle Flächen, sondern kann Teile Privaten überlassen, zum Beispiel für ein Hotel. Schon sinkt der Anteil öffentlicher Investitionen. Wenn die These der Messe stimmt, wonach wir mehr Kongressfläche brauchen, ist es dann wirklich klug, eine Fläche nach der anderen neu zu bauen und einen bestehenden Bau verrotten zu lassen? Oder führe ich die benötigten Flächen im ICC zusammen? Wer das so nicht teilt, ist vermutlich schnell bei einer Shoppingmall, von denen wir schon zahlreiche haben.
Das ist ja ein deutlicher Kurswechsel.
Ein Shoppingcenter ist nicht Beschlusslage des Senats. Wirtschaftssenatorin Yzer hat den Auftrag bekommen, Möglichkeiten auszuloten. Nun ist sie gebeten worden, die Auswirkungen einer Shoppingmall auf bestehende Einzelhandelsstrukturen mit einem weiteren Gutachten untersuchen zu lassen. Diese Studie soll im März vorliegen. Auf Grundlage dieser Informationen kann der Senat entscheiden.
Sie haben über einen Neustart für den Aufsichtsrat des Flughafens BER gesprochen. Neue Gesichter, ein neuer Vorsitzender, eine neue Geschäftsführung. Ist das nicht ein bisschen viel auf einmal?
Ich habe mir das ja so nicht ausgesucht. Ich bedauere die Situation in der Geschäftsführung, weil wir gerade eine Hürde gemeinsam genommen haben. Im Aufsichtsrat sollen externe Fachleute mehr Verantwortung übernehmen. Und in der Geschäftsführung dürfen wir nichts infrage stellen, was die inzwischen deutlich verbesserte Situation beeinträchtigt und unseren Fahrplan kaputt macht. Wenn wir erst über Monate nach dem nächsten großen Namen suchen, könnte sich die Bau- und Planungstätigkeit wieder verzögern. Deshalb bin ich für eine unaufgeregte Lösung.
Sie wollen eine interne Lösung für den Chefposten?
Das ist eine offene Diskussion unter den Gesellschaftern. Es kann immer sein, dass da noch einmal jemand dazu kommt. Aber erst mal ist wichtig, dass die, die in den letzten Monaten einen guten Job gemacht haben, weiter arbeiten können und wir nicht schon wieder alles auf null stellen.
Brandenburg hat seine Minister aus dem Aufsichtsrat abgezogen und so für eine gewisse Asymmetrie gesorgt. Die sitzen mit Staatssekretären dort, aus Berlin kommen Sie und der Innensenator. Soll die Gesellschafterversammlung eine stärkere Rolle übernehmen und die großen Entscheidungen treffen während der Aufsichtsrat mehr das operative Geschäft kontrolliert?
Das ist ja eigentlich der Normalfall für ein öffentliches Unternehmen. Das kann ich mir am Flughafen auch vorstellen. Aber es gehört dazu, dass Politik in der Verantwortung bleibt, wenn auch nicht unbedingt als Aufsichtsratschef.
Aber Berlin ist mit seinen Senatoren doch ziemlich einsam mit den Brandenburger Staatssekretären, die eigentlich keine Prokura haben.
Genau mit dieser Situation müssen wir uns auseinandersetzen und sehen, ob die Minister und Ministerpräsidenten in die Gesellschafterversammlung gehen und der Aufsichtsrat über Staatssekretäre und Externe geführt wird. Das kann ich aber nicht alleine entscheiden. Es muss kompatibel sein zwischen den Gesellschaftern.
Sie haben angekündigt, die Bürger besser und frühzeitiger an politischen Entscheidungen zu beteiligen. Gleichzeitig wollen Sie vielerorts Wohnungsbauprojekte voranbringen, gegen die es Widerstand gibt. Wie passt das zusammen?
Es gibt nicht das eine Verfahren, das immer zum Erfolg führt. Aber wenn wir die Infrastruktur weiterentwickeln wollen, muss Politik auch Vorgaben machen. Wir müssen früher und besser informieren, wo wir Schulen, Straßen, Wohnungen brauchen und bauen wollen und dann Mitentscheidungsmöglichkeiten sichern über die Frage, wie etwas umgesetzt wird. Da können wir auch noch besser werden. Wichtig ist, dass wir nicht darüber diskutieren, ob sich etwas verändert, sondern über das Wie miteinander ringen.
Bei den Buckower Feldern hat der Senat die Planung an sich gezogen und so ein laufendes Bürgerbegehren gegen die Baupläne ausgebremst.
Wir könnten dort über 1000 Wohnungen bauen. Jetzt planen wir in Abstimmung mit dem Bezirk Neukölln 450 bis 480. Nun beginnt doch erst das Verfahren der Bürgerbeteiligung über Höhen, Dichten, Grünanlagen. Da werden Bürger vor Ort mitentscheiden und mitgestalten. Aber es muss aus gesamtstädtischer Perspektive auch möglich sein zu sagen, wir brauchen Wohnungen und werden welche bauen.
Wie und wann wollen Sie die Berliner über Olympische Spiele abstimmen lassen?
Wir müssen dazu noch ein Verfahren finden. Die Abstimmung wird auf jeden Fall bindend sein. Über den Termin wird noch beraten.
Aber die Zustimmung scheint in Hamburg größer zu sein als in Berlin.
Die Umfragen aus dem November zeigen ein ziemlich ausgeglichenes Bild. Ich glaube, man kann für Olympia in der Stadt begeistern. Sorge gibt es vor einem Großprojekt, das die Stadt Milliarden kostet, aber nichts bringt. Wir wollen nicht mehr für vier Wochen gigantische, glamouröse Spiele, von denen die Stadt nichts hat. Wir wollen Festspiele des Sports, von denen die Stadt nachhaltig profitiert. Von den Sportstätten, der Infrastruktur, dem olympischen Dorf. Wenn es eine echte Reformolympiade wird, werden wir auch die Zustimmung der Berlinerinnen und Berliner bekommen.