Schüler der Rudolf Steiner Schule reparieren Fahrräder. Dieses Engagement wurde am Mittwoch mit dem Berliner Umweltpreis des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) Berlin ausgezeichnet.
Das Gelände der Rudolf Steiner Schule liegt verlassen in der Dämmerung. Es sind Herbstferien. Nur aus dem Erdgeschoss einer roten Backsteinvilla dringt Licht nach draußen.
Valentin Böckstiegel läuft mit schnellen Schritten über das Schulgelände und verschwindet hinter einer Tür in einem kleinen Vorraum. Dort stehen überall Fahrräder. An manchen hängen kleine Briefe: „An die Fahrradwerkstatt der RSS“ steht dort zum Beispiel geschrieben. „So, da sind wir“, sagt der 13-jährige Valentin und betritt den Raum dahinter.
Die Werkstatt. Reifen liegen herum, Schläuche, Fahrräder, die gespendet wurden und nun als Ersatzteillager dienen. Die mit Styroporplatten verkleidete Decke hängt niedrig über den Köpfen. In der Mitte steht ein hölzerner Werktisch. „Arbeitsplatz 1“ und „Arbeitsplatz 2“ steht darauf geschrieben. Teo Staudenmayer, Frederik Wilde und Christoph Dumas sind schon da. Natürlich, verabredet ist verabredet. Jeden Dienstag um 17 Uhr öffnet die Werkstatt ihre Türen, ohne Ausnahme, auch in den Ferien.
Gegenpol zum Wegwerfalltag
Dieses Engagement wurde am Mittwoch mit dem Berliner Umweltpreis des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) Berlin ausgezeichnet. Im Roten Rathaus, auf großer Bühne. Die Jury des Preises hat in ihrer Begründung geschrieben, die Werkstatt sei ein bemerkenswerter Gegenpol zum gängigen Konsum- und Wegwerfalltag. Für die Schüler selbst ist es mehr. „Wer nicht kommt, hat schon echt einen triftigen Grund“, sagt Teo Staudenmayer. Er ist 18 Jahre alt und macht gerade sein Abitur. Seit fast vier Jahren repariert er in der Fahrradwerkstatt Fahrräder für seine Mitschüler, Lehrer und für Menschen, die mit der Schule nichts zu tun haben. „Man fängt damit an und denkt: Das schaue ich mir mal an – und dann kommt man nicht mehr raus aus der Sache.“ Die Sache hat angefangen, als 2010 ein Schüler von einer anderen Schule auf die Rudolf Steiner Schule wechselte und nicht nur die Idee mitbrachte, eine Fahrradwerkstatt zu gründen, sondern die Werkstatt gleich mitbrachte. Timm Wille heißt der Schüler. Mittlerweile hat er Abitur gemacht und studiert Maschinenbau. Die Werkstatt gibt es noch immer.
Alle, die mitmachen, fühlen sich der Sache verpflichtet. Auch wenn es keine Noten dafür gibt – und kein Geld. Sie kommen in den Ferien, und auch, wenn sich ihre Schulkameraden dann ohne sie treffen. „Meine Freunde finden die Sache an sich schon cool“, sagt Christoph Dumas, „aber wenn man dann Verabredungen absagt, weil man in die Fahrradwerkstatt geht, finden sie es nicht mehr so cool.“ Dabei geht es um mehr als das Reparieren von Fahrrädern. Die Mitstreiter essen gemeinsam, sie reden und sie übernehmen Verantwortung. „Es war immer ein total gutes Gefühl, wenn Timm mir einfach gesagt hat, ‚du kümmerst dich jetzt um dieses oder jenes, ich kann diesmal nicht kommen‘“, erinnert sich Teo Staudenmayer.
Im Moment organisiert eine Handvoll Schüler die Werkstatt. Kein Lehrer steht dahinter, keine Eltern, die ein pädagogisch wertvolles Projekt vorantreiben wollen. Alles passiert auf Initiative der Schüler. „Man hat sein eigenes kleines Reich und kann walten, wie man will“, sagt Frederik Wilde. Auch er studiert schon, versucht aber, so oft es geht zu kommen. Der 21-Jährige sitzt jetzt auf einer der Werkbänke. An der Wand über ihm hängen sortiert und mit Schildern beschriftet die wichtigsten Teile: „1. Bremsen“, „2. Anbauteile“, „3. Lager“. Es folgen Laufräder, Antrieb und Licht. „Timm liebt es, Struktur in die Dinge zu bringen“, sagt Frederik Wilde. Zur Struktur gehören auch die Listen. Eine für Auftragsräder, also zu reparierende Fahrräder, und eine für Aufbauräder, die von Grund auf aus alten Teilen neu gebaut werden. Punkt für Punkt werden sie abgearbeitet.
Am Kopf der Werkstatt steht ein Schreibtisch, darauf ein alter Computer. Im Regal daneben reihen sich die Aktenordner. Alles hat hier seine Ordnung, wie in einem richtigen Geschäft. Obwohl Geld keine Rolle spielt. Die Reparaturen sind umsonst, nur neue Ersatzteile werden in Rechnung gestellt. „Wir gehen in der Reparatur auch Wege, die eine normale Werkstatt nicht gehen würde“, sagt Christoph Dumas. „Weil es sich nicht lohnt“, sagt Frederik Wilde, „neu kaufen ist oft billiger.“ Aber genau darum geht es hier. Tüfteln, ausprobieren und die Dinge nicht gleich auf den Müll zu schmeißen.
Zu jung für Nachhaltigkeit
Für die Schüler, die sich entscheiden, bei der Werkstatt mitzumachen, spielt das Thema Nachhaltigkeit erst einmal keine Rolle. Wer denkt mit 13 Jahren schon darüber nach? Valentin? „Mir macht es total viel Spaß, Fahrräder zu reparieren. Deswegen bin ich hier.“ Eben. „Am Anfang sind die meisten noch zu jung, um sich diese Gedanken zu machen“, sagt Frederik Wilde. Aber sie machen die Erfahrung, dass man Dinge reparieren kann. Früher, als Timm noch jeden Dienstag dabei war, kamen sie auch, um sich von ihm Rat zu holen. Privaten oder schulischen. „Ich bin eigentlich immer gekommen, um Timm irgendwelche Sachen zu fragen“, erzählt Teo Staudenmayer, „irgendwas konnte er mir immer sagen.“