In der Piratenpartei tobt ein Flügelstreit. Frustriert schmeißen prominente Köpfe hin – und stellen eine bittere Diagnose zum Zustand der Partei. Versinken die Piraten in der Bedeutungslosigkeit?
Deutliche Worte im Internet zu verbreiten, war noch nie das Problem der Piraten. So auch nach der Vorstandssitzung des Berliner Landesverbandes am Sonntagabend.
Im „Piratenpad“, einem für jeden einsehbaren Kommunikationskanal der Partei, war von „potentem Scheiß“ die Rede, von „Hohlbirnen“ und „von menschlichem Wracks voller Hass“. Ein weiterer Kommentar lautete: „Nehmt ebenfalls die Beine in die Hand und bringt Abstand zwischen euch und dem verbleibendem Piratenrest, der sich nun windet und während des Absaufens Gift und Galle spritzt.“
Die Kommentare bezogen sich auf die Serie von Rück- und Austritten aus der Partei, angesichts derer nicht wenige Berliner Piraten sich fragen, bis zu welchem Zeitpunkt das in Seenot geratene Schiff der Bundespartei noch auf Kurs zu halten ist – und wann es unwiderruflich kentert, sodass man schleunigst von Bord gehen sollte.
Fünf wichtige Amtsträger haben den Piraten in den vergangenen Tagen den Rücken gekehrt. Den Auftakt machte Michael Karek, der vor einer Woche ankündigte, im November nicht mehr als Schatzmeister zur Verfügung zu stehen.
Am Donnerstag legte dann der wohl bekannteste Berliner Pirat, der Abgeordnete Christopher Lauer, nicht nur sein Amt als Landesvorsitzender nieder, sondern gab auch sein Parteibuch zurück. Wenig später wollten auch Lauers Fraktionskollege Oliver Höfinghoff und die Neuköllner Bezirksverordnete Anne Helm keine Piraten mehr sein. Insgesamt sind seit Beginn vergangener Woche 40 Berliner Parteimitglieder abgesprungen. Am Sonntag trat mit der einstigen Landesvorsitzenden Anke Domscheit-Berg auch das Aushängeschild der Brandenburger Piraten aus.
Christopher Lauer benahm sich, „als sei er Gott“
Karek begründete seinen Rückzug unter anderem mit der „rüpelhaften Art“ Christopher Lauers, der sich „von Anfang an benahm, als sei er Gott“. Lauer wiederum sagte, er habe beim Versuch, die Partei zu professionalisieren, keinen Rückhalt im Vorstand gehabt. Der Umgang miteinander ließe zu wünschen übrig. Er selbst nehme sich von dieser Kritik nicht aus.
Die Begründung von Höfinghoff zeigt allerdings, dass die Selbstzerlegung der Partei nicht nur ein Ergebnis persönlicher Animositäten ist. Der Landesverband befindet sich vielmehr in einem kaum noch zu überwindenden Streit mit der Bundespartei. Dessen Vorstand würde sich „an die bürgerliche Mitte anbiedern“, sagte Höfinghoff. Auch mit der innerparteilichen Meinungsfreiheit stehe es nicht zum Besten. So hätten die Administratoren ein parteiinternes Internetforum abgeschaltet, weil ihnen Inhalte nicht gepasst hätten. Mitglieder des Bundesvorstandes hätten dies unterstützt. Der Bundesvorstand habe sich zudem auf Internetthemen beschränkt. „Eine Partei muss sich aber auch zu anderen gesellschaftlichen Themen positionieren“, sagte Höfinghoff, der selbst zum linken Rand der Partei zählt.
Bundesvorsitzender demonstriert Gelassenheit
Stefan Körner, der Bundesvorsitzende der Piraten, bemühte sich, trotz der Differenzen mit den Berlinern, Gelassenheit zu demonstrieren. Die Austritte seien „schon schade“. Manche Parteimitglieder hätten aber offenbar erkennen müssen, dass sie mit ihren Themen bei den Piraten keine Mehrheit fänden. Im Klartext: Körner setzt auf Netzpolitik. Mit den Versuchen der Berliner, auch Felder wie Flüchtlings- und Innenpolitik zu bearbeiten, kann er wenig anfangen.
Der Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus werden Lauer und Höfinghoff trotz ihrer Austritte aus der Partei weiterhin angehören. „Wir arbeiten weiter gerne mit allen zusammen, die aus welchen Gründen auch immer aus der Partei austreten müssen“, sagte Fraktionschef Martin Delius. Auch diese Äußerung zeigt, wie weit sich die Berliner Piraten von der Bundespartei entfernt haben.
In der Vorstandssitzung wurde, nicht zum ersten Mal bei den Hauptstadt-Piraten, sogar über eine mögliche Abspaltung debattiert. Im Protokoll hieß es: „Der Landesvorstand wird (…) Bestrebungen zu Neugründungen, die es in verschiedenen Bereichen innerhalb und außerhalb der Piratenpartei gibt, koordinieren und bündeln.“ Noch scheint aber der Mut zu fehlen. In einer späteren Version des Protokolls wurde die Passage durch eine abgeschwächte Formulierung ersetzt.