Entscheidung

Forschungsreaktor in Wannsee wird 2019 stillgelegt

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Joachim Fahrun

Foto: euroluftbild.de/Robert Grahn / pA/ZB/

Bis Ende des Jahres wird die Forschungsanlage in Wannsee repariert. Rund 300 Experimente mussten allein 2014 ausfallen. Trotz der Instandsetzung soll 2019 Schluss sein für den Reaktor.

Viel Glück hatten sie nicht in den vergangenen Jahren mit ihrem Forschungsreaktor in Wannsee, die Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie (HZB). Berlins einzige Atomanlage stand bereits zwischen Oktober 2010 und April 2012 still, weil Reparaturen umfangreicher ausfielen als vorhergesehen. Im November 2013 musste der Berliner Experimentierreaktor (BER II) aus Sicherheitsgründen erneut abgeschaltet werden. Mehrere Risse in Schweißnähten hatten sich bedrohlich vergrößert.

30 Zentimeter lange Risse

Die Reparatur der 1973 gebauten und 1991 erneuerten Neutronenquelle soll nun bis Jahresende abgeschlossen sein. Das hat die Bundesregierung auf Anfrage der Grünen im Bundestag mitgeteilt. Die Arbeiten seien im Zeitplan, über die Kosten für das Helmholtz-Zentrum will die Bundesregierung „aus Wettbewerbsgründen“ nichts sagen. Die Verluste für das HZB sind enorm. Mehr als 300 Experimente hatten Forscher aus dem In- und Ausland für das Jahr 2014 vorgeschlagen, die meisten aus der Physik, der Materialwissenschaft und der Chemie. Unter anderem wurden mithilfe des BER neue Materialien für Dünnschichtsolarzellen entwickelt.

Aber trotz des immer noch hohen Interesses der Grundlagenforscher an der Anlage ist der BER II ohnehin ein Auslaufmodell. Ende 2019 wollen die Forscher den umstrittenen Reaktor mit einer Leistung von zehn Megawatt endgültig aufgeben. Das hat der Aufsichtsrat des Helmholtz-Zentrums schon im vergangenen Jahr beschlossen. Wie Stilllegung und Rückbau vonstatten gehen sollen, wird bis Ende 2018 festgelegt. Das HZB hat bisher 40,5 Millionen Euro zurückgelegt, um das Gebäude abzutragen und das strahlende Material zu entsorgen.

Die Schäden waren in zwei Schweißnähten aufgetreten, die den Spalt zwischen der Saugleitung des Primärkreislaufs und der Trennwand zwischen den beiden Beckenhälften schließen. Bis zum vergangenen Sommer war nicht bekannt, dass der BER II Monate zuvor nicht wegen routinemäßiger Wartungs- und Modernisierungsarbeiten, sondern auch aus Sicherheitsgründen heruntergefahren worden war. Das Helmholtz-Zentrum hatte die Probleme nicht kommuniziert. Atomkraftgegner und Opposition im Abgeordnetenhaus reagierten empört. Die Bundesregierung kommentiert das Verhalten lapidar. Man habe „keinen Einfluss auf die Öffentlichkeitsarbeit eines Forschungsinstituts“. Das Berliner Anti-Atom-Forum warf dem Forschungsinstitut vor, die Angelegenheit herunterzuspielen und fordert, den Reaktor sofort dauerhaft stillzulegen.

30 Zentimeter lange Risse in Schweißnähten

Die detaillierten Fragen der atompolitischen Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Sylvia Kotting-Uhl, bringen nun zahlreiche Details ans Licht, die die Bundesregierung zum Großteil von der Aufsichtsbehörde in der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eingeholt hat. So seien die Risse in den beiden Schweißnähten zusammen fast 30 Zentimeter lang gewesen, bei einer Gesamtlänge der Nähte von etwas über zwei Metern. Hätten sich die Risse weiter auf ein anliegendes Rohr des Kühlsystems ausgedehnt, wäre die Kühlung des Reaktors gefährdet gewesen. Die schadhaften Bauteile liegen sehr nahe am Reaktorkern, wo die radioaktive Strahlung sehr hoch ist.

Zuletzt war der Wannsee-Reaktor, der in Berlin vielen unter seinem früheren Namen Hahn-Meitner-Institut (HMI) ein Begriff ist, im vergangenen Jahr in die Schlagzeilen geraten. Die Atomanlage spielte eine wichtige Rolle in der Diskussion über die Flugrouten vom neuen Flughafen BER in Schönefeld. Das Oberverwaltungsgericht untersagte die von der Deutschen Flugsicherung vorgesehenen Flüge über den Berliner Ortsteil Wannsee. Das Risiko für einen Flugunfall oder einen terroristischen Anschlag sei vor Festlegung der Flugroute nicht ermittelt worden. Derzeit gebe es nur veraltete Risikobetrachtungen für den Reaktor, stellte das Gericht fest.

Flugzeugabsturz auf Reaktor hat „geringe Eintrittswahrscheinlichkeit“

Bundesregierung und Berliner Aufsichtsbehörde gehen in ihren Antworten auf die Fragen der Grünen-Parlamentarier auch auf das Sicherheitsthema im Katastrophenfall ein. Die Sicherheitsbestimmungen seien so ausgelegt, dass Folgen von Störfällen beherrscht werden könnten, lautet eine Antwort. Sollte ein Flugzeug auf den Reaktor stürzen und der Treibstoff mit mehr als 800 Grad verbrennen, seien die „radiologischen Folgen“ für die Umgebung der Anlage geringer als bei Ereignissen ohne einen solchen Kerosinbrand.

Bei der Planung des Katastrophenschutzes sei daher bewusst auf ein solches Szenario verzichtet worden. Man habe die Folgen von Flugzeugabstürzen untersucht, aber nur für bestimmte dieser Szenarien ergäben sich Folgen für die Umgebung, die Katastrophenschutzmaßnahmen erforderten, heißt es in der Antwort. Diese Ereignisse hätten jedoch eine so geringe Eintrittswahrscheinlichkeit, dass sie in der Folge nicht weiter betrachtet werden brauchten.