Sie werden bald wieder unterwegs sein: Autos, ausgerüstet mit hochauflösenden Kameras, die Berlin bis in den kleinsten Winkel abfotografieren. Dieses Mal nicht im Auftrag von Google, sondern im Namen des Senats. Der will „eine einheitliche Datenbank des Berliner Straßenlandes aufbauen“, wie Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler (SPD) am Dienstag mitteilte. Dafür wird der Zustand sämtlicher Straßen, Gehwege und Radwege erfasst, auch Brücken und Oberleitungen werden aufgenommen. Kommenden Montag soll die Vermessung der Stadt beginnen.
Der Senat will die Daten als Grundlage für zukünftige Baumaßnahmen nutzen. Wo hat die Fahrbahn Risse? Welche Straße hat Schlaglöcher? Ein Jahr sollen die Arbeiten dauern, die Kosten betragen 1,8 Millionen Euro. Zwei Firmen teilen sich die zwölf Bezirke auf, sie müssen insgesamt 5130 Straßenkilometer abfahren. Die Ergebnisse dienen dabei nicht nur der internen Verwendung: Ab Ende 2015 stehen sie der Öffentlichkeit zur Verfügung, abrufbar über das Geoportal der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. Und das ist interessant.
Datenschutzrechte der Bürger
Denn wo öffentlicher Straßenraum für jedermann einsehbar ist, kommen die Datenschutzrechte der Bürger ins Spiel. Als der Internetriese Google für seinen Dienst Street View vor vier Jahren anfing, deutsche Großstädte zu scannen, war die Bevölkerung alarmiert. Laut Senat sollen Personen und Autokennzeichen „unmittelbar nach Erfassung der Daten anonymisiert“ werden. Das Vorhaben sei bereits mit Alexander Dix abgestimmt, dem Berliner Datenschutzbeauftragten für Informationsfreiheit.
Doch Dix wartet noch auf die angekündigten Detailinfos zum Anonymisierungsverfahren. „Gesichter und Kennzeichen pixeln reicht nicht. Auch Häuserfassaden könnten ein Problem sein, wenn sie für Dritte einsehbar sind“, sagt Dix. Der Senat hat angekündigt, dass „die Kameras der Fahrzeuge nach unten gerichtet sind, so dass nur teilweise Fassaden aufgenommen werden.“ Wenn das eingehalten werde, sei nichts zu beanstanden, so Dix.
Auch in Potsdam wurde Anfang März das Straßennetz vermessen. Da die Daten nur zur internen Verwendung bestimmt waren, sollten sie auch nicht verpixelt werden. Erst nach Einspruch der brandenburgischen Datenschutzbeauftragten Dagmar Hartge wurden Gesichter und Kennzeichen unkenntlich gemacht. Allerdings gingen nur 17 Einsprüche auf Verpixelung von Häusern und Grundstücken ein. Fraglich ist, ob das Vorhaben des Senats dieselbe Empörung hervorrufen wird, wie einst bei Google. Als Nokia für seine Kartendienste jüngst Kameraautos durch Berlin fahren ließ, blieben viele Menschen stehen und warfen sich in Pose.
Umstrittenes Projekt
Manche halten das Projekt für überflüssig. „Was bringt eine Gesamtübersicht, wenn nicht mal die geplanten Maßnahmen in den Bezirken umgesetzt werden?“, fragt Mittes Stadtrat Carsten Spallek (CDU). Für die Nebenstraßen sind die Bezirke zuständig, sie erstellen Listen mit nötigen Maßnahmen. Doch wegen Personalmangels in der Verkehrslenkungsbehörde bleiben viele Anträge einfach liegen. Der Senat hingegen will „subjektive Faktoren“ ausschließen – und spricht den Experten vor Ort quasi die Kompetenz ab.
Die „Begehungen“ der Straßen, bei der nach Schäden gesucht wird, werden so überflüssig. Der Senat will alles unter einem Dach, eine „Straßenzustandsdatenbank“. Zudem sollen die Daten auch der Genehmigung von Schwertransporten und dem Forschungsprojekt „m4guide“ dienen – ein Navigationssystem für blinde und sehbehinderte Fußgänger. „Damit das Projekt langfristig Sinn macht, müssten die Straßen aber nicht nur ein-, sondern über Jahre mehrmals fotografiert werden“, sagt der Abgeordnete Stefan Gelbhaar (Grüne).
Der Autoclub ADAC glaubt, dass die Berliner Infrastruktur profitieren könnte. „Wir haben so etwas seit Jahren gefordert“, sagt Berlin-Experte Jörg Becker. „Damit weiß die Stadt verbindlich, wie es im Straßennetz aussieht und wo sie Prioritäten setzen muss.“ Der ADAC hofft, dass das der Auftakt für mehr planmäßige Instandhaltung sein könnte – nicht mehr die übliche „Flickschusterei“, bei der Straßen nur an den Stellen saniert werden, wo es brennt. Dass die Straßenfinanzierung in Berlin zu kurz kommt, ist nicht neu. Auf mindestens eine halbe Milliarde Euro wird der Investitionsbedarf geschätzt.