Bebauung

Klimaforscher warnt vor Folgen des Tempelhof-Entscheids

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Andrea Huber

Foto: Bernd von Jutrczenka / dpa

Die Berliner haben in einem Volksentscheid gegen die Randbebauung gestimmt. Bebauungsgegner hatten die Bedeutung des Areals als „Kühlschrank“ Berlins betont. Ein Forscher spricht von einem „Fehler“.

Die Entscheidung, das Gelände des einstigen Flughafens Tempelhof nicht zu bebauen, war aus Sicht des Klimatologie-Professors Dieter Scherer von der Technischen Universität (TU) ein „Fehler“. Eine Randbebauung des unter dem Namen Tempelhofer Freiheit bekanntes Feldes „hätte den Druck von den kleineren Freiflächen im Stadtgebiet genommen, die für klimatischen Ausgleich sorgen“, sagt der Leiter der Forschungsgruppe „Stadtklima und Hitzestress“. Er befürchtet, dass nach dem Volksentscheid zum Tempelhofer Feld einige dieser Freiflächen „dem notwendigen Wohnungsbau zum Opfer fallen oder zumindest verdichtet werden müssen“.

Brisanz erhalten Scherers Äußerungen vor dem Hintergrund, dass Bebauungsgegner im Vorfeld des Volksentscheides die Bedeutung des Tempelhofer Areals als „Klimaanlage“ oder gar „Kühlschrank“ für die ganze Stadt betont und eindringlich vor den negativen Folgen einer Randbebauung für den „klimaökologischen Ausgleich“ gewarnt hatten. TU-Klimaforscher Scherer beklagt dagegen, dass in vielen Köpfen, auch denen von Stadtplanern, nach wie vor ein falsches klimatologisches Verständnis herrsche. Eine große Parkfläche wie die Tempelhofer Freiheit hat nach seinen Worten in ihrer Wirkung eine begrenzte Reichweite. Weil die Ausgleichsfunktion nur in einer Entfernung von etwa 300 Metern fühlbar sei, würden lediglich die Anwohner profitieren. Eine ungleich größere Wirkung für sehr viel mehr Menschen haben demgegenüber viele kleinere Parks im Stadtgebiet, die aber eine Größe von rund einem Hektar haben sollten, so Scherer. Für Klimatologen machen nicht etwa bestimmte Temperaturen, Feuchtigkeits- oder Windwerte ein gutes Stadtklima aus, sondern eine möglichst große Klimavielfalt auf einer Distanz von rund 150 Metern – also etwa das Nebeneinander von sonnigen und schattigen Abschnitten. „Es ist diese Vielfalt, die positiv auf den Menschen wirkt“, sagt Scherer.

1600 Hitze-Tote pro Jahr

Der Forscher räumt mit der „falschen Vorstellung“ auf, dass sich ein Kaltlufttransport über große Strecken vollziehen kann. Auch in der Diskussion um das Gebiet Gleisdreieck/Potsdamer Platz ist dieses Argument immer wieder zu hören. Zur These, dass eine große Grünschneise, die sich bis zum südlichen Stadtrand erstreckt, frische und kühle Luft aus dem Umland bis ins Stadtgebiet transportieren könne, sagt Scherer: „Das ist nachgewiesenermaßen nicht der Fall.“

Mit einem Team untersucht der Wissenschaftler derzeit das Thema „Stadtklima und Hitzestress“. Alarmierende Ergebnisse zeigt dabei eine Analyse für den Zeitraum von 2001 und 2010. Die TU-Forscher fanden heraus, dass es im Mittel 23 Tage mit Hitzestress pro Jahr gibt. Und: „Wir konnten nachweisen, dass fünf Prozent aller Todesfälle in Berlin hochsignifikant mit erhöhten Sommertemperaturen korrelieren. Einen Trend zu höheren Lufttemperaturen gab es in Berlin in diesem Zeitraum nicht“, so Scherer. Zu diesen Todesfällen – rund 1600 Tote pro Jahr – kommt es nach seinen Angaben in jedem Sommer, nicht nur in besonders heißen. Dabei sind städtische Räume vom Phänomen Hitzestress stärker betroffen als ländliche. „Die städtischen Wärmeinseln, die auch in der Nacht Temperaturen aufweisen, die um bis zu zehn Grad höher liegen als im Umland, sind seit Jahren bekannt“, sagt der Professor. Vor diesem Hintergrund zeigt er sich verwundert, dass in Berlin auf der politischen Tagesordnung vor allem das Thema Wohnungsbau steht: „Dabei gerät das Klima leider aus dem Blick. Man verdient mit Klima (noch) kein Geld – aber mit Bauen.“

Wohnungen kontra Klima

Die Politik kontert solche Vorwürfe. Angesichts der anhaltenden Zuzüge nach Berlin und des wachsenden Bedarfs hat die Schaffung von Wohnraum nach Worten von Daniela Augenstein, Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, „natürlich Priorität“. Aber: Bei jedem Bebauungsplan, bei jeder Bauleitplanung spiele das Thema Klima eine wichtige Rolle. Sie verweist auf den 2011 vom Senat beschlossenen Stadtentwicklungsplan Klima, der ein Orientierungsrahmen für die gesamtstädtische Planung zur Anpassung an den globalen Klimawandel ist. Darin geht es unter anderem um die Freihaltung von Kaltluftschneisen und Kaltluftentstehungsgebieten. Auch Scherer hält diesen langfristig angelegten Stadtentwicklungsplan für sinnvoll. Andererseits gebe es die meisten Probleme wie eben den Hitzstress bereits heute.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) stimmt Scherers Analyse zum Wohnungsbau zu. Tilmann Heuser, Landesgeschäftsführer des BUND Berlin, sagt: „Derzeit scheint es vor allem darum zu gehen, möglichst jede verfügbare Fläche möglichst schnell zu bebauen – ohne die stadtklimatischen, ökologischen Ziele, aber auch die Interessen der Menschen zu berücksichtigen.“ Grundsätzlich sieht Heuser aber anders als der TU-Professor keinen Widerspruch darin, das Tempelhofer Feld zu sichern und gleichzeitig Freiflächen in den Bezirken zu bewahren: „Wohnungsneubau muss – wie es auch die für die Senatsumweltverwaltung jüngst erstellte Machbarkeitsstudie für ein klimaneutrales Berlin darstellt – stärker auf die Optimierung des Bestandes und die Umnutzung bereits versiegelter Flächen setzen statt auf die Bebauung von wertvollen Freiflächen.“ Um eine Überhitzung der Stadt zu vermeiden, hält es Heuser für entscheidend, in ganz Berlin Freiflächen zu sichern.

Besonders ältere Menschen leiden

Große Unterschiede bei der Hitze-Wahrnehmung hat Scherer im Übrigen zwischen den Generationen festgestellt. Während die Jüngeren sich über sommerliche Hitze freuen, um Partys, Schwimmen om See und Chillen im Park zu genießen, leiden Ältere, die in ihrer Mobilität oft eingeschränkt oder krank sind, mehr unter Hitzestress. Sie sind häufig an Innenräume gebunden, die auch nachts nicht abkühlen, und werden dadurch zusätzlich geschwächt. Der Rat des Professors an Kranke und wenig mobile Menschen lautet daher, an Hitzetagen viel zu trinken. Und: „Auch soziale Kontakte helfen, die Gesundheit in dieser Situation zu erhalten.“