Studenten der Berliner Humboldt-Universität reisen nach Brasilien. Im Gepäck haben sie ihre Fußball spielenden Roboter. Am 25. Juli stellt sich heraus, ob Deutschland auch den Titel beim RoboCup holt.

Erblickt Nr. 44 das gegnerische Tor, dann sieht er rot. Im wahrsten Sinne des Wortes. Während bei einem Miroslav Klose das feindliche Netz vielleicht das Blut in Wallung geraten lässt und seinen Willen, den Ball genau dort hineinzuspielen, verstärkt, so leuchtet bei seinem kleinen Roboterkollegen zunächst einmal das rechte Auge rot. Ziel erkannt, Ball dorthin. Im Idealfall. Nicht immer klappt das, das hat Marcus Scheunemann oft genug erlebt.

„Manchmal ist die Rotation nicht richtig programmiert, dann schießen sie auf das eigene Tor“, erklärt der Informatikstudent. Das ist beim Menschen ja nicht anders, erinnern wir uns an Marcelos WM-Eröffnungs-Fauxpas. Der humanoide Roboter allerdings zieht im Nachhinein nicht den Hass einer ganzen Nation auf sich, er ist lediglich falsch programmiert.

Titelkampf in Brasilien

Schuld daran sind Marcus Scheunemann, Heinrich Mellmann und ihre Gruppe von Informatikstudenten der Humboldt-Universität (HU), die sich in Adlershof neben ihrem Studium dem Aufbau einer Robotermannschaft widmen, dem „Berlin United – Nao Team Humboldt“ (naoth). Nao, so heißt die Robotergeneration.

Etwa 60 Zentimeter große, viereinhalb Kilogramm schwere Männchen, die sich optisch von R2-D2 aus Star Wars durch eine schlankere Taille und einen ausgeprägteren Kopf unterscheiden. Diese hübschen Proportionen helfen hoffentlich, in die Fußstapfen der amtierenden Weltmeister zu treten.

Denn am Donnerstagmorgen geht es nach Brasilien. Dort, wo Jogis Jungs den Weltmeistertitel holten, findet vom 19. bis zum 25. Juli der RoboCup statt, eine Art jährliche Weltmeisterschaft für Roboter. Der Ort ist nicht zufällig ausgewählt, man erhofft sich noch ein wenig Aufmerksamkeit in den Nachwehen der zurückliegenden Ereignisse. 2006 wurde das RoboCup-Finale immerhin in einer Spielpause auf der Berliner Fanmeile übertragen.

„Das ist eigentlich weniger eine Meisterschaft als vielmehr eine Austauschmesse für Fachleute“, sagt Heinrich Mellmann, der seit 2002 Informatik studiert und momentan an seiner Doktorarbeit schreibt. Beim RoboCup treten Roboter in unterschiedlichen Disziplinen gegeneinander an, als Haushaltshilfen etwa oder als Lebensretter. Und natürlich als Fußballer, in verschiedenen Ligen.

Eine Halbzeit dauert 20 Minuten

Die stählernen Jungs vom naoth spielen in der „Standard Platform League“, was bedeutet, dass ihre Kontrahenten auch Naos sind. Bis 2008 spielte das HU-Team noch mit Aibo, dem vierbeinigen Hund von Sony, und räumte mehrere Weltmeistertitel ab. Die Naos holten 2011 Silber beim IranOpen in Teheran. Und das in nur 20 Minuten, denn eine Robo-Partie dauert zweimal zehn Minuten. Länger hält der Akku nicht.

In dieser Hinsicht ist Bastian Schweinsteiger den Maschinchen eindeutig überlegen. Doch er ist nur ein Mensch. „Unser Team kann nicht blutig geschlagen werden, so wie Schweini im Finale“, freut sich Scheunemann. Sein Ziel: 2050 sollen seine Roboter die amtierenden Weltmeister besiegen, Mensch gegen Maschine also. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, gepflastert mit Algorithmen, Netzwerken und endlosen Programmierungen.

Die Homebase des Roboter-Teams, ins Leben gerufen 1999 vom damaligen Professor für Künstliche Intelligenz, Hans-Dieter Burkhard, mutet kaum wie ein Think Tank für Technikspezialisten an, eher wie eine Mischung aus Bastellabor von Computerfreaks und Jugendclub. Ein weitläufiger Raum mit großzügiger Glasfront auf die Rudower Chaussee, in der Ecke ein abgesessenes Ledersofa, in jedem Winkel Kabel und Bildschirme, wie bei einer LAN-Party. Zu neunt arbeiten sie zurzeit dort, allerdings ist die Fluktuation im Team hoch, die kleinen wandelnden Laptops brauchen viel Zuwendung.

Wie ein Kleinkind im Schneeanzug

„Man lernt hier wirklich viel“, sagt Scheunemann. „Über Betriebssysteme, künstliche Intelligenz, und vor allem lernt man Programmieren.“ Programmieren? Ist das nicht die Hauptdisziplin eines jeden Informatikstudenten? „Ja, aber nicht an dieser Uni“, wagt sich Co-Trainer Mellmann vor. In der Mitte des Raumes erstreckt sich ein Fußballfeld von der Größe einer WG-Küche, wo sich Nr. 44 und seine Mitspieler austoben. Doch so richtig in Tobestimmung sind sie noch nicht. Nachdem ihre menschlichen Trainer sie am Spielfeldrand aufgestellt haben, blinkt zumindest bei Nr. 44 das linke Auge, eine kleine Kamera, grün. Er hat den Ball erkannt.

Das linke Auge wird blau, nun hat er auch das eigene Tor erkannt. Eigentlich sollten sie nun jeder auf ihre Position laufen. Doch Nr. 85 dreht sich lediglich, Hände auf dem Rücken, tollpatschig im Kreis. Wie ein Kleinkind im Schneeanzug. Mellmann stellt sich neben ihn, doch Nr. 85 reagiert nicht.

„Oh Gott“, ruft der Trainer und rennt zum Laptop. Schnell haut er in die Tasten, und wenig später läuft Nr. 85 dann zum Ball, manövriert ihn mit mehreren geschickten Sidekicks in den Strafraum und direkt ins Tor. Leider ins eigene. Auch der Torwart lässt sich von dem heranrollenden Ball nicht stören.

Die Intuition fehlt

„Die können viel berechnen, aber die Intuition fehlt ihnen natürlich“, so Scheunemann. „Wenn jemand bei Neuer den Ball auf das Tor schießt, dann reißt der innerhalb von einer halben Sekunde intuitiv den Arm nach oben.“ Diesen Reflex haben die Roboter nicht. Auch sind sie durch ihre Motorsteuerung kaum flexibel, können nicht rennen. „Wir haben noch viel zu tun bis zur Abfahrt“, resümiert der Coach.

Liebevoll betrachtet er die starren Figuren. „Sie haben Schwächen und Stärken wie echte Spieler. Einer hat Probleme mit dem Fuß, der ist ein bisschen kaputt, der andere sieht nicht so gut“, sagt er. „Vielleicht ist der RoboCup nicht so sportlich wie die WM, aber mindestens genauso dramatisch.“