Energiewende

Energie-Kommission tagt hinter verschlossenen Türen

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Jens Anker

Foto: Jörg Carstensen / dpa

Nach dem Tempelhof-Volksentscheid forderten Kritiker mehr Transparenz bei politischen Großprojekten. Doch ausgerechnet das Riesenthema Energiewende wird hinter verschlossenen Türen verhandelt.

Nach dem Erfolg der Bebauungsgegner beim Volksentscheid zur Zukunft des Flughafens Tempelhof sollte eigentlich alles anders werden. Es sollte nicht mehr von oben durchregiert werden.

Doch in der Praxis sieht es anders aus. Die Enquetekommission des Berliner Abgeordnetenhauses, die Visionen für die Energieversorgung der Zukunft entwickeln soll, tagt unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dabei behandelt die Kommission eines der wichtigsten Themen der kommenden Jahre: wie Berlin mit der Energiewende umgeht.

„Ich halte den Ausschluss der Öffentlichkeit für einen Fehler“, sagt selbst der Vorsitzende der Kommission, Jörg Stroedter (SPD). Aber so sehe es die Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses vor. Seit zehn Jahren hat es keine derartige Kommission mehr in Berlin gegeben. Damals habe der Wunsch bestanden, über die Fraktionsgrenzen hinaus diskutieren zu wollen. Das sei kaum möglich, wenn die Öffentlichkeit einbezogen werde.

Doch die öffentliche Meinung hat sich in den vergangenen Jahren geändert. Das haben die Volksentscheide zur Offenlegung der Wasserverträge, der Rekommunalisierung der Energienetze und zuletzt der Bebauung des ehemaligen Flughafens Tempelhof gezeigt. „Es darf nicht mehr so sein, dass man zunächst intern unendlich viel vorbereitet und absichert, dann mit einem mehr oder weniger fertigen Planungsprodukt ankommt und versucht, dies durchzusetzen“, kritisiert der Landesgeschäftsführer des Naturschutzbundes (BUND), Tilmann Heuser.

Einzelne Sitzungen sollen öffentlich stattfinden

Stroedter plant nun einen Kompromiss. Einzelne Sitzungen der Kommission sollen öffentlich stattfinden, vor allem Anhörungen von Sachverständigen. Für die erste inhaltliche Sitzung des neuen Gremiums galt dies allerdings nicht. Der Chef der Wasserbetriebe, Jörg Simon, sollte seine Pläne für das Stadtwerk darlegen. Die große Koalition hat die Gründung beschlossen – allerdings gibt es Streit darüber, welche Aufgaben das Stadtwerk künftig übernehmen soll.

Der Senatsbeschluss sieht vor, dass es ausschließlich erneuerbare Energie erzeugen, aber nicht als Stromhändler auftreten soll. Simon stellte nun neben den nach dem Senatsbeschluss möglichen Varianten auch ein „Berliner Modell“ vor, wonach das Stadtwerk nicht nur Energie herstellt, sondern auch an Kunden liefert.

Gas-, Wasser- und Stromnetze gemeinsam betrachten

Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) hat angekündigt, künftig weg von der isolierten Sicht zu kommen, bei der das Gas-, Wasser- und Stromnetz getrennt voneinander betrachtet werden. „Interessant ist doch, die Dinge zusammenzubringen und Synergien aus verschiedenen Netzen zu schaffen“, sagte Müller. Das Gleiche stellt Simon in Aussicht. In der Energiegewinnung aus Abwasser und anderen bislang kaum verfolgten neuen Wegen liege die Zukunft.

Die Enquetekommission wird sich genau um diese Fragen kümmern. In der kommenden Sitzung in 14 Tagen werden Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für die SPD) und Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) aus ihrer Sicht darlegen, welche finanziellen und wirtschaftlichen Möglichkeiten bestehen. Danach wird die Kommission bis zum Sommer 2015 die einzelnen Themen besprechen.

„Die Kommission ist dazu da, Ideen zu haben“, sagt Stroedter. Sein Ziel ist es, einen Konsens für ein kraftvolles Stadtwerk zu finden, das auch die Berliner mit Strom beliefert. Im Prinzip sind alle Parteien dafür, nur die CDU nicht. Sie will den bestehenden Wettbewerb nicht durch einen weiteren städtischen Anbieter verschärfen. Zusätzliche Möglichkeiten bestehen durch die Vergabe des Gasnetzes an die landeseigene Firma „Berlin Energie“.

Potential für die Energieversorgung aus eigener Hand

Im kommenden Jahr steht zudem die Neuvergabe des Stromnetzes an, das bislang von einer Vattenfall-Tochter betrieben wird. Auch hier will sich Berlin mit einer eigenen Firma bewerben. Mit dem Gas- und Stromnetz in eigener Hand, dazu den geplanten Windenergieparks auf den Berliner Stadtgütern im Umland, verfügt Berlin über ausreichend Potenzial, um die Energieversorgung aus eigener Hand zu leisten. Ein Stadtwerk mit Kundengeschäft hätte zudem den Charme, schneller in die Gewinnzone zu rutschen, ist Stroedter überzeugt.

Egal, wie die Diskussionen der Expertenrunde enden, das Ziel der Kommission ist es, „Vorschläge über die politischen Bündnisse hinaus zu entwickeln und Anregungen für die Politik zu geben“, sagt Stroedter. Immerhin, die Treffen hinter verschlossener Tür führen zu offenen Gesprächen, schon aus Rücksicht vor den anwesenden Experten, so die Erfahrung bisher. „Wenn nicht hier unabhängig diskutiert wird, wo dann“, so Stroedter. Das sähe bei öffentlichen Sitzungen anders aus.

Ein riesiger Sanierungsstau drückt

Im Frühjahr hatten alle fünf Fraktionen im Abgeordnetenhaus gemeinsam die Kommission ins Leben gerufen. Sie soll die Zukunft der energiewirtschaftlichen Strukturen untersuchen. Zudem soll sie Wege aufzeigen, wie die öffentlichen und privaten Strom- und Wärmenutzer unterstützt werden können, damit der Energieverbrauch reduziert und die Energieeffizienz erhöht wird. Seit Jahren ist umstritten, wie mit den öffentlichen Gebäuden und Wohnungen umgegangen werden soll.

Es besteht ein riesiger Sanierungsstau. Alle sind sich einig, dass etwas geschehen soll, Streit besteht jedoch darüber, wie und wer das bezahlen soll. Ein entsprechendes Klimaschutzgesetz scheiterte in der vergangenen Legislaturperiode am Widerstand der SPD. Da die Sanierungskosten auf die Mieter umlegbar sind, befürchteten die Sozialdemokraten einen starken Mietenanstieg allein wegen der Sanierung. Bei der energetischen Sanierung von Gebäuden, also etwa bei der Dämmung von Fassaden und der Modernisierung von Heizanlagen, sind aber die Einflussmöglichkeiten und das Potenzial für den Klimaschutz am höchsten. In energetisch sanierten Gebäuden kann der Energieverbrauch drastisch gesenkt und damit die Umwelt entlastet werden.

Der Kommission gehören elf Abgeordnete an – vier von der SPD, drei von der CDU, zwei von den Grünen und jeweils einer von Linken und Piraten. Zudem arbeiten fünf von den Fraktionen benannte externe Experten mit. Der knappe Zeitplan der Berliner Enquetekommission – bis zum Sommer 2015 – soll vermeiden, dass die Beratungen in den kommenden Wahlkampf reichen und damit einen überparteilichen Konsens so gut wie unmöglich machen. „Ich bin gespannt, ob es gelingt, einen gemeinsamen Bericht vorzulegen, oder ob es am Ende doch wieder ein Mehrheits- und ein Minderheitsvotum gibt“, sagt Kommissionschef Stroedter.