Beim zweiten Leserforum der Berliner Morgenpost wurde heftig über Lehrermangel, den Andrang auf Sekundarschulen und Gymnasien und Verbeamtung diskutiert.

Die ehrwürdige Aula des Reinickendorfer Humboldt-Gymnasiums hat schon etwas von Hogwarts, der Zauberschule von Harry Potter, bemerkte Moderator Hajo Schumacher gleich zu Beginn der Veranstaltung „Morgenpost vor Ort“. Nicht weniger spannend als der Fantasyroman war dann auch die folgende zweistündige Diskussion zur Frage „Wie gut sind unsere Schulen?“.

Dass die Bildung die Leserinnen und Leser der Berliner Morgenpost bewegt, zeigte schon die große Zahl der Teilnehmer. Rund 120 Lehrer, Schulleiter, Eltern und Großeltern fanden sich ein, um den Gästen auf dem Podium ihre Fragen zu stellen oder aus dem Alltag in der Schule zu berichten.

Eltern sorgen sich vor allem über den Unterrichtsausfall. Auch die Frage, ob sie an der Wunschschule einen Platz für ihr Kind bekommen, beschäftigt sie. Schulleiter befürchten, dass sie nicht die Fachlehrer finden, um die Kollegen zu ersetzen, die zum nächsten Schuljahr in Pension gehen. Und die Lehrer fühlen sich überlastet und fordern bessere Arbeitsbedingungen.

Reizthema: Lehrermangel an vielen Berliner Schulen

Auf dem Podium stellte sich die Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) den Fragen. Mit ihr diskutierten die Reinickendorfer Schulstadträtin Katrin Schultze-Berndt (CDU), Elternvertreter André Nogossek, der Sprecher der Berliner Schulleitervereinigung, Paul Schuknecht, und die Morgenpost-Redakteurin Regina Köhler.

André Nogossek kam schnell auf den Lehrermangel zu sprechen. Wochenlang finde im Leistungsfach „Politische Weltkunde“ an der Schule seines Sohnes schon kein Unterricht statt, weil der Lehrer krank sei, berichtete der Vater von zwei Schulkindern in Charlottenburg-Wilmersdorf. Ersatz sei offenbar nicht zu finden.

Schulleiter Schuknecht konnte diese Erfahrung bestätigen. Auch an seiner Schule, der Friedensburg-Sekundarschule in Charlottenburg, sei ein Lehrer im Abitur-Leistungsfach Politik ausgefallen. Er als Schulleiter und Mathematik-Lehrer springe in dieser Notsituation persönlich ein, sagte Schuknecht.

Lehrer zu finden sei vor allem für Brennpunktschulen schwierig

„Es gibt bundesweit einen Fachkräftemangel“, sagte Senatorin Scheeres, verwies aber gleichzeitig auf die hundertprozentige Ausstattung der Berliner Schulen mit Lehrern. Zusätzlich hätten die Schulen Vertretungsmittel bekommen, dauerkranke Lehrer würden nicht auf die Personalausstattung angerechnet. Natürlich sei jede Krankheitswelle eine besondere Belastung, so Scheeres. Allerdings gebe es auch große Unterschiede bei der Organisation der Vertretung durch die Schuldirektoren.

Zum kommenden Schuljahr sollen noch rund 1000 Lehrer eingestellt werden, betonte Scheeres. Die Bewerbersituation sei gut, derzeit würden etwa 2400 Bewerbungen vorliegen. Redakteurin Köhler widersprach: Die Statistik sei nur ein Durchschnittswert. „Wir hören häufig von Eltern, dass Lehrer an den Schulen fehlen.“

Lehrer zu finden sei vor allem für Brennpunktschulen schwierig oder in Randbezirken, wo keiner hin wolle, fügte Schuknecht hinzu. Bei den zentralen Bewerberrunden sei es inzwischen so, dass sich die Schulleiter bei den Mathematik- oder Physiklehrern bewerben würden. In solchen Mangelfächern müssten die Schulen häufig auf Quereinsteiger zurückgreifen, die manchmal „Glücksfälle“, häufig aber auch „Katastrophen“ seien, so Schuknecht.

Vertretungslehrer sind kaum zu finden

„Wenn jetzt von Schulen vor allem Quereinsteiger beworben werden, dann entqualifiziert dies den Beruf des Lehrers“, sagte Florian Bublys, Sprecher der Initiative „Bildet Berlin“. Mehrere Mitglieder der Initiative waren zu der Podiumsdiskussion der Berliner Morgenpost gekommen. Ein Ingenieur kann zwar rechnen, was jedoch keinesfalls bedeute, dass er das Fach auch unterrichten könne, sagte Bublys.

Wie dringend die Suche nach Lehrern aussehen kann, demonstrierte er dann mit einem Brief eines Schulleiters eines Gymnasiums aus Nikolassee, den dieser an die Eltern gerichtet hatte. „Falls Sie Bekannte haben, die vertretungsweise Mathematik oder Physik auch in der Oberstufe unterrichten können, geben Sie mir bitte deren Kontaktdaten“, hieß es in dem Schreiben.

Die Schulleiterin der Otfried-Preußler-Grundschule in Reinickendorf, Dorothea Ferrari, wies darauf hin, dass Vertretungslehrer kaum zu finden seien. Die Listen der Verwaltung seien veraltet, sie müsse vier nicht ausgebildete Kräfte für die Vertretung von kranken Lehrern einsetzen. Auch sie habe die Eltern angeschrieben, in der Hoffnung, dass jemand einen Lehrer aus dem Bekanntenkreis vermitteln könne, berichtete die Schulleiterin.

Forderung nach Verbeamtung in Berlin

Schulstadträtin Schultze-Berndt (CDU) machte deutlich, dass allein die Zahlen der besetzten Stellen nicht aussagekräftig seien. Wenn es Einstellungen gebe, seien es leider nicht immer Lehrer für die tatsächlich gesuchten Fächer, so die CDU-Politikerin. Deshalb sei sie überzeugt, dass Berlin seine Lehrer wieder verbeamten müsse. Auch weil die anderen Bundesländer dies machen würden, sagte Schultze-Berndt.

Bei solchen Forderungen hallte Beifall durch die Aula, viele der anwesenden Lehrer wollen wieder Beamte werden. Außerdem fühlen sich viele der Pädagogen überlastet. „Es besteht kein Zweifel daran, dass die Schulverwaltung den Lehrern immer noch ein wenig mehr Arbeit aufbürdet“, sagte Marion Ben El Haj, Lehrerin für Englisch an einem Gymnasium in Wedding.

Aus Sicht der Senatsbildungsverwaltung möge es zwar realistisch erscheinen, eine Klausur im Fach Englisch in einer halben Stunde zu korrigieren – die Realität aber sehe ganz anders aus, so die Lehrerin. „Hinzu kommen noch zahlreiche Angaben für die Statistiken, die wir Lehrer ausfüllen müssen und eine Reihe anderer Zusatzaufgaben“, sagte Marion Ben El Haj. Ihre Forderung: „Um in Zukunft eine guten Unterricht garantieren zu können, müssen wir Lehrer entlastet werden.“

Übergang der Sechstklässler von der Grundschule zur weiterführenden Schule

Eine Entlastung könnte beispielsweise darin bestehen, die zentralen Prüfungen für den Mittleren Schulabschluss (MSA) am Gymnasium abzuschaffen, meinten einige Lehrer im Publikum. Senatorin Scheeres betonte, sie habe wegen der Belastung die Prüfungen schon zeitlich entzerrt und eine Teilprüfung zum MSA am Gymnasium abgeschafft.

Moderator Hajo Schumacher hatte Mühe, die Lehrer mit ihren Forderungen nach mehr Gehalt und besseren Arbeitsbedingungen zu bremsen und das Gespräch auf eine andere Frage der Eltern zu lenken: den Übergang der Sechstklässler von der Grundschule zur weiterführenden Schule.

„Das Aufnahmeverfahren ist für die Eltern immer noch eine Blackbox“, sagte Elternvertreter André Nogossek. Die Eltern könnten nicht einschätzen, mit welchem Notendurchschnitt ihre Kinder an welcher Schule eine Chance hätten. Deshalb würden viele Familien eher taktisch und nicht die wahre Wunschschule wählen. Besonders gefragt seien die Sekundarschulen mit gymnasialen Oberstufen, weil die Schüler dort länger Zeit bis zum Abitur hätten.

Viele Schüler mit Gymnasialempfehlung an Sekundarschulen

Die Neuköllnerin Petra Kernicke sah gerade in diesem Punkt eine Ungerechtigkeit. Ihr Sohn mit einem mittelmäßigen Notendurchschnitt sei nicht auf die gewünschte Sekundarschule gekommen, weil sich dort so viele Schüler mit Gymnasialempfehlung beworben hätten. Inzwischen würde man an einigen Sekundarschulen einen Notendurchschnitt von 2,5 benötigen. „Das Problem liegt darin, dass das Gymnasium die Schulzeit auf zwölf Jahre begrenzt. Viele Eltern halten es für viel sinnvoller, ihren Kindern mehr Zeit zu geben“, sagte die Mutter.

„Wann werden endlich die Empfehlungen der Arbeitsgruppe Aufnahmeverfahren umgesetzt?“, fragte Roger Gapp vom Schulamt Tempelhof-Schöneberg. Der Bezirk habe Schwierigkeiten, Schüler, die am Probejahr an den Gymnasien scheiterten, an den Sekundarschulen unterzubringen.

Weitere Diskussionen über den Berliner Schulalltag

Die Empfehlungen sehen vor, Plätze für diese sogenannten Umsteiger in den siebenten Klassen freizuhalten. „Die Vorschläge der Arbeitsgruppe werden derzeit in der Koalition diskutiert. Mir ist es wichtig, dass die Entscheidung jetzt schnell getroffen wird“, sagte Scheeres.

Nach der mehr als zweistündigen Diskussion blieben noch viele Fragen offen. So konnte die bevorstehende Integration von behinderten Kindern an den Regelschulen kaum angesprochen werden, offen blieb auch, wie die Lehrerausbildung weiter verbessert werden soll.

Viele Teilnehmer hätten auch noch gerne über das Schulessen oder das jahrgangsübergreifende Lernen an Grundschulen diskutiert. Genug Themen also für eine weitere spannende Diskussion – mit der Morgenpost vor Ort.