Thomas Demand muss noch in diesem Jahr aus den Rieckhallen am Hamburger Bahnhof ausziehen. Eventuell wird der Künstler Berlin verlassen.

Die „Europacity“ wächst – und die Künstler müssen weichen. Bei der Vorstellung eines der nächsten Bauprojekte für das geplanten neue Stadtquartier am Hauptbahnhof war es nur eine Randbemerkung: „Ein Teil der Rieckhallen am Hamburger Bahnhof wird bereits in diesem Jahr abgerissen“, sagte Hendrik Thomsen, Leiter des Immobilienunternehmens CA Immo, das auch als Projektentwickler der Europacity firmiert.

Dass mit dem Abriss zugunsten neuer zeitgenössischer Architektur großer Unternehmen unter anderen der international renommierte Künstler Thomas Demand sein Atelier verliert, scheint dabei nachrangig.

„Wir stehen in engem Kontakt mit Thomas Demand, der mit zwei anderen Künstlern diese Halle als Atelier nutzt und suchen auch unterstützt von dem Land Berlin nach einem neuen Quartier“, sagte der Leiter von CA Immo der Berliner Morgenpost. Er sei sicher, so Thomsen, dass man bis August eine Lösung finde. Dann ende der Mietvertrag mit dem Künstler.

Die Suche nach einem neuen Atelier ist schwierig

„Wir wurden unerwartet gekündigt“, sagt hingegen Demand, einer der gefragtesten Gegenwartskünstler. Der Wahlberliner hat bereits im New Yorker MoMA, in London, Dublin, Hamburg und auf der Biennale in Venedig ausgestellt – die Nationalgalerie in Berlin widmete ihm 2009/2010 eine umfangreiche Einzelausstellung. Demand, der oft in Los Angeles weilt, erwägt mittlerweile sogar eine komplette Verlagerung seines Studios in die kalifornische Metropole.

Auf Nachfrage teilte er der Morgenpost mit, dass die Suche nach einem geeigneten Atelier in Berlin für ihn keineswegs unproblematisch sei. „Wir suchen mit Hochdruck nach Flächen, haben aber nichts Brauchbares gefunden.“ Der Markt scheine leer gefegt oder für Entwickler eingepreist, sagt Demand und ergänzt: „Wir können da nicht konkurrieren.“

Seit elf Jahren ist Demand Mieter der Lagerhalle am Hamburger Bahnhof, die mit ihren 1800 Quadratmeter Größe „ideale Arbeitsbedingungen bietet“, für den teilweise sehr großformatig arbeitenden Demand. Das gesamte Areal zwischen Heidestraße und Invalidenstraße galt mit seinen alten Lagerhallen und Gewerbebauten jahrelang als heiß begehrtes Pflaster der kreativen Szene. Neben Demand siedelten sich hier international bekannte Künstler wie Olafur Eliasson, Architekturbüros wie das von Graft oder Designer wie Werner Aisslinger an.

„Auslaufmodell für die kreative Szene“

Doch viele Galerien und Künstler sind schon wieder weg. Eliasson, lange Nachbar von Demand in den Rieckhallen, arbeitet im eigenen Atelier in einem eigens ausgebauten ehemaligen Brauereigebäude in Prenzlauer Berg.

„Das Areal an der Heidestraße war mal ein künstlerisches Biotop, aber die Zeiten sind vorbei“, sagt auch Werner Aisslinger. „Der Ort ist ein Auslaufmodell für die kreative Szene, hier herrscht eine Stimmung der Abwanderung“, bedauert der Designer den Wandel. Aisslinger nutzt in der Heidestraße in einem Gewerbealtbau ein 500 Quadratmeter großes Atelier. Trägt sich aber auch mit dem Gedanken, die Gegend zu verlassen. „Ich bin gerade dabei, sehr aktiv zu suchen,“ sagt der Designer.

Die renommierten Planer des international agierenden Büros von Graft Architekten, die ebenfalls in dem alten Klinkerbau an der Heidestraße ihr Domizil haben, wollen vorerst bleiben. Man wisse ja noch gar nicht, wie schnell die „Europacity“ wachse, sagt Wolfram Putz. Der Mitbegründer von Graft betont aber auch: „Als Kreative lieben wir das Unfertige und die Brüche.“

Doch überall dort, wo in Berlin noch nach den Plänen des ehemaligen Senatsbaudirektors Hans Stimmann neue Stadtquartiere entwickelt würden, „entstehen tote Areale“, kritisiert Putz. Kein Kreativer käme je auf die Idee, an den Potsdamer Platz zu ziehen, betont der Architekt. Und Aisslinger ergänzt: „Die Immobilienbranche setzt bei der Vermarktung von Flächen der Europacity auf die kreative Szene, dabei wird gerade sie von den Neubauten verdrängt.“