In der Hauptstadt findet der Welt-Skeptiker-Kongress statt.
Von Freitag an treffen sich in Berlin mehrere hundert Wissenschaftler zum 6. Welt-Skeptiker-Kongress. Ihnen geht es darum, naturwissenschaftlich-kritisches Denken zu fördern. Die Skeptiker befassen sich mit Alternativmedizin und esoterischen Phänomenen wie Astrologie, Erdstrahlen und Wahrsagerei. Gastgeber ist die GWUP, die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften.
Die Skeptiker wollen Menschen in die Lage versetzen, rationale Entscheidungen zu fällen, statt auf der Basis fragwürdiger Theorien Vermögen, Beruf oder sogar die Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Wolfgang W. Merkel sprach mit der GWUP-Kongressorganisatorin Julia Offe.
Morgenpost Online: Frau Offe, welches Sternzeichen haben Sie?
Julia Offe: Ich habe das Sternzeichen Grottenolm, Aszendent Blattlaus.
Morgenpost Online: Oh, was bedeutet das?
Julia Offe: Das ist natürlich erfunden, aber nicht abwegiger als die hierzulande üblichen Sternzeichen. Dass etwas seit vielen Generationen überliefert ist, bedeutet nicht, dass es auch nur ansatzweise stimmt.
Morgenpost Online: Ein Astro-Portal sagt zu meinem Sternzeichen: „Der Widder ist vom Drang erfüllt, die Umwelt zu formen.“ Genau so bin ich!
Julia Offe: Das ist natürlich Absicht, dass sich jeder wiederfindet. Horoskope passen immer. Selbst die negativen Eigenschaften sind so formuliert, dass man auch im Negativen noch Positives entdeckt, es einen zum Beispiel interessant macht. Wobei nicht jedem bewusst ist, der Horoskope erstellt, dass das so funktioniert. Ich möchte nicht jedem Astrologen Betrug unterstellen.
Morgenpost Online: Was sind Ihre Ziele?
Julia Offe: Wir wollen erreichen, dass Menschen persönliche, gesellschaftliche und politische Entscheidungen auf der Basis sachlicher Kriterien fällen können. Wir sammeln Informationen und entlarven Pseudowissenschaften. So sollten wissenschaftliche Fakten die Basis für Entscheidungen sein, die die Gesundheit betreffen. Mit welcher Therapie man sich behandeln lässt, sollte wissenschaftlichen Kriterien folgen und nicht vollmundigen Heilsversprechen.
Morgenpost Online: Welches sind weitere Themen?
Julia Offe: Neben der Alternativmedizin wird der Kreationismus ein weiteres großes Thema auf der Tagung sein, also die religiöse Weltanschauung, wonach die Entstehung der Erde und des Lebens so geschehen ist, wie es wörtlich in der Bibel steht. Wir sind der Meinung, dass das, was in den Schulen gelehrt wird, keine Weltanschauung sein sollte, sondern den Stand der Wissenschaft widerspiegeln sollte. Ein weiteres Thema ist die richtige Einschätzung von Risiken. Darin sind wir Menschen oft sehr schlecht. Ein Beispiel wäre ein Mensch, der raucht, aber aus Angst vor einem Absturz kein Flugzeug besteigt. Wir möchten aufzeigen, dass man der eigenen Wahrnehmung nur bedingt trauen kann und wie man damit umgeht. Innerhalb der GWUP befassen wir uns auch noch mit dem ganzen Bereich der Esoterik, mit Zukunftsvorhersagen, Energiefeldern, Verschwörungstheorien, modernen Mythen, Aberglauben und Ufo-Sichtungen. Wir versuchen darüber aufzuklären, was wirklich dahintersteckt und wie diese Phänomene zustande kommen.
Morgenpost Online: Haben Kreationisten einen ausgeklügelten Plan, oder sind sie einfach überzeugt von dieser Lehre?
Julia Offe: Beides. Sie sind von der Wahrheit der biblischen Schöpfungsgeschichte überzeugt, und zumindest in den USA sind die Kreationisten gut organisiert und fahren schweres Geschütz auf, um diese Lehre in den Schulen gleichberechtigt neben der Evolutionslehre zu etablieren. Bei uns ist das kein so großes Thema, aber es ist wichtig, das genau zu beobachten.
Morgenpost Online: Sind Kreationisten und Homöopathen offen für Ihre Argumente?
Julia Offe: Harte Kreationisten habe ich noch nicht kennengelernt. Aber ich kenne natürlich Menschen, die glauben, dass Homöopathie wirkt. Die sind teilweise schon zugänglich. Aber es ist schwierig, eine Basis zu finden. Viele Anhänger dieser Heilrichtung sind nicht bereit, Wissenschaft als wichtiges Argument anzuerkennen. Sie sagen: Wer heilt, hat recht, da ist es völlig egal, ob es wissenschaftlich erwiesen ist oder nicht und welche Mechanismen zum Tragen kommen. Sie übersehen zum Beispiel, dass die meisten Krankheiten nicht wegen der homöopathischen Behandlung weggehen, sondern auch von alleine besser geworden wären. Und bei Studien hat sich gezeigt: Je besser diese durchgeführt werden, desto miserabler fallen die Ergebnisse für die Homöopathie aus. Da geht es auch um Wahrnehmung: Selbst wenn wir persönlich denken, dass Homöopathie hilft, hält sie einer Überprüfung nicht stand. Diese Mittel sollten nicht in Apotheken verkauft und erst recht nicht von Krankenkassen erstattet werden.
Morgenpost Online: Wird Wissenschaft nicht verstanden?
Julia Offe: Sehr oft sind ihre Mechanismen unbekannt. Es ist einer der wichtigsten Punkte unserer Arbeit, aufzuzeigen, dass Wissenschaft nicht eine von vielen gleichberechtigten Weltanschauungen ist, sondern die Methode schlechthin, die Welt zu verstehen. Pseudowissenschaftliche Lehren sind statisch: Das Gedankengebäude der Homöopathie hat sich seit Goethes Zeiten nicht weiterentwickelt. Aber Wissenschaft ist ein kontinuierlicher Erkenntnisprozess: Passen neue Erkenntnisse zu dem, was wir schon wissen? Oder müssen wir unsere Thesen überdenken? Die Wissenschaft kann nicht in allen Bereichen Entscheidungen vorbereiten. Etwa, wer meine Freunde sind. Aber für rational zu treffende Entscheidungen kann man die Wissenschaft heranziehen. So sollte das auch bei Gesundheitsfragen sein. Nicht nur bei der „Alternativmedizin“, sondern auch in der akademischen Medizin ist es längst nicht so, dass alle Therapien auf gesicherten Fakten basieren. Es gibt routinemäßig angewendete Eingriffe und Therapien, bei denen sich herausgestellt hat, dass sie keinerlei Nutzen bringen.
Morgenpost Online: Greift das antiwissenschaftliche Denken um sich?
Julia Offe: Ich denke schon. In Zeiten des Internets verbreiten sich versponnene Theorien und Heilslehren viel schneller als früher. Das Zweite ist, dass wir heute viele Möglichkeiten haben, unser Leben zu gestalten, und die Welt unübersichtlich geworden ist. Das bereitet auch Probleme. Wir streben nach einfachen Antworten auf komplexe Fragen. Wir suchen nach Aussagen wie „Richte dich hiernach, und alles wird gut“. Das ist dann zwar einfach, aber vielleicht unvernünftig.
Morgenpost Online: Ist es immer gut, Menschen ihren Glauben an Unbewiesenes zu nehmen? Das kann ihnen ja auch Halt und Zuversicht nehmen.
Julia Offe: Das ist eine berechtigte Frage und eine Herausforderung für uns. Wir müssen versuchen, klarzumachen, dass die Wissenschaft so interessant ist, dass sie die gleichen Bedürfnisse erfüllt wie Esoterik. Das ist nicht einfach. Wir müssen anerkennen, dass es menschlich ist, kausale Verbindungen zwischen ungewöhnlichen Ereignissen herzustellen. Wenn etwa jemand in Trauer um einen Verstorbenen ist und meint, einen Schatten durch die Wohnung huschen zu sehen, dann kann er auf den Gedanken kommen, dies sei die Seele des Verwandten. Was ist die Erklärung dafür? Die Menschheit hat im Verlauf ihrer evolutionären Geschichte enorm davon profitiert, Verknüpfungen herzustellen. Das hat ihr Überleben ermöglicht. Deshalb denken wir vielleicht an einen Geist, wenn wir nur einen Schatten sehen – weil wir immer und überall Erklärungen suchen. Wir müssen versuchen, zu lernen, dass wir dies nicht auf alle Wahrnehmungen ausdehnen dürfen.
Morgenpost Online: Bitte je einen Satz zu Löffelbiegen, Erdstrahlen, vitalisiertem Wasser, morphogenetischen Feldern, Wunderheilungen, Klimaskeptikern und Ufos.
Julia Offe: Löffelbiegen: Uri Geller wurde schon vor vielen Jahren vom Zauberkünstler James Randi als Betrüger entlarvt. Erdstrahlen: Sie sind nicht nachweisbar. Wir müssen davon ausgehen, dass es sie nicht gibt.
Vitalisiertes Wasser: Das ist Humbug, Wasser hat kein Gedächtnis. Das ist eine große Geldschneiderei.
Morphogenetische Felder: Die Theorie von Rupert Sheldrake, wonach zum Beispiel Effekte eher eintreten, wenn sie schon einmal irgendwo auftraten, hat eine gewisse Faszination. Aber sie hält einer kritischen Überprüfung nicht stand.
Wunderheilungen: Es gibt sehr, sehr wenige unerklärliche Spontanheilungen. Aber es gibt viele Betrüger, die sich auf diesem Feld tummeln. Und es gibt viele Menschen, die sich täuschen lassen.
Klimaskeptiker: Die große Mehrheit der Forscher ist der Meinung, dass der Klimawandel existiert, relevant ist und zum größeren Teil menschengemacht ist. Das ist überzeugend.
Ufos: Die allermeisten Sichtungen können wir auf bekannte irdische oder astronomische Effekte zurückführen. Bei den wenigen übrigen, müssen wir das annehmen, was am wahrscheinlichsten ist: dass ebenfalls bekannte Phänomene dahinterstecken. Wer anderer Meinung ist, müsste den Beweis erbringen.