Reisende leiden unter den Anschlägen, die seit Tagen den Bahnverkehr in Berlin stören und vor allem Pendler treffen. Viele fühlen sich zudem von der Bahn schlecht informiert.
Oben, an Gleis acht, wo neben Fernzügen auch die Regionalbahnen fahren, steht Paulina Patyna. Die Studentin aus Steglitz hat Glück. Ihr ICE nach Heilbronn ist pünktlich. Trotzdem ist sie verärgert. Die versuchten Anschläge auf die Bahnstrecken machen sie wütend: „Wie kann es sein, dass diese Leute so mit ihren Mitmenschen umgehen?“ Bisher habe sie sich in Berlin immer sicher gefühlt, sagt sie. Doch in letzter Zeit habe sich in der Stadt viel verändert: die Prügeleien in den Bahnhöfen, die brennenden Autos und jetzt auch noch die Brandsätze gegen die Bahn. Paulina Patyna sagt: „Man hofft jetzt schon immer, dass nichts passiert.“ Als sie in den Zug steigt, wird sie diese Angst wohl weiter begleiten. Auch wenn vor ihr ein Polizist mit zwei schweren Taschen ins Abteil steigt. Er trägt die Uniform einer Hundertschaft, die Pistole griffbereit im Holster.
Es ist 13.50 Uhr am Berliner Hauptbahnhof. Auf der Anzeigetafel dominieren die Lauftexte. „Wegen Vandalismus kommt es zu Störungen im Betriebsablauf“, steht da. Die größte Verspätung: 60 Minuten, ein ICE nach Innsbruck, Gleis zwei im Untergeschoss. Dort unten, im Keller des Bahnhofs, ist es leer. Wartende sitzen auf ihren Koffern. Nur um das Servicepersonal der Bahn hat sich eine kleine Menschentraube gebildet. Die beiden Frauen mit den roten Mützen und den blauen Jacken haben ihren Dienst gerade erst begonnen. Von einem Klemmbrett lesen sie die neusten Informationen ab. Der Zug nach Innsbruck sollte eigentlich längst da sein. Die 60 Minuten sind vorbei. Es scheint die Reisenden am Bahnsteig nicht weiter zu stören. Wer mehr als eine Stunde wartet, regt sich wohl über fünf Minuten nicht mehr auf.
Kein Verständnis für die Täter
Falko Reißmann nimmt die Verspätung gelassen. Man könne es halt nicht ändern. „Ich habe sowieso keine Termine mehr“, sagt er. Von der Bahn fühlt er sich aber nicht gut informiert. „Die erhöhen die Verspätung von Minute zu Minute“, sagt er. Oftmals kämen Durchsagen, die ganz andere Zeiten verkündeten als die Anzeige am Bahnsteig. Reißmann kennt das. Er ist Berufspendler, arbeitet in Berlin, wohnt in Leipzig. Bereits am Montag musste er lange warten. „Fast zwei Stunden.“ Auch da waren Brandsätze der Grund. In einem Tunnel in der Nähe des Hauptbahnhofs hatte man sie gefunden. Für die mutmaßlichen Täter aus der linksextremen Szene zeigt Reißmann kein Verständnis. „Das ist nicht die richtige Form des Protests.“ Auch die in einem Bekennerschreiben genannte Motivation der Täter kann Falko Reißmann nicht nachvollziehen. Warum solle man jetzt noch gegen die Bundeswehr in Afghanistan protestieren? „Der Einsatz ist doch bald vorbei.“
Am Gleis nebenan fahren die S-Bahnen. Im Dreiminutentakt leert sich der Bahnsteig, spucken die einfahrenden Züge Pendler und Touristen aus. Beeinträchtigungen durch die Brandsätze sind nicht spürbar. Sandra Niedermeyer wartet auf die S-Bahn Richtung Ahrensfelde. Sie ist schon verunsichert. Täglich fährt sie auf dieser Strecke. Zu den Attacken auf die Gleise sagt sie: „Wenn man das jeden Morgen hört, ist beim Bahnfahren schon immer ein bisschen Angst dabei.“
Vor dem Informationsschalter am Haupteingang steht Niklas Feldhammer. Die Warteschlange ist nicht lang, der Student schaut dem Treiben in der großen Halle zu. Erst vor kurzem ist er zum Studium nach Berlin gekommen. Feldhammer will nach Hamburg, sein Zug geht in zwei Stunden. „Ich bin schon früher gekommen, weil ich gehört habe, dass die Strecke gesperrt ist“, sagt der 21-Jährige. Er verurteilt die Brandanschläge auf das Streckennetz der Deutschen Bahn: „Das ist doch keine angebrachte Form des Protests und nicht demokratisch.“ Angst in der S-Bahn habe er aber bisher noch nicht.
Nicht nur am Hauptbahnhof leiden die Reisenden. Klaus-Peter Balik ist nach vielen Umwegen endlich am Südkreuz angekommen. Der Hamburger lobt die Bahn aber. „Ein Kompliment an alle Mitarbeiter.“ Durch Information sei man über die aktuelle Situation und mögliche Konsequenzen für die Ankunft in Berlin immer informiert gewesen. Der Rentner sagt: „Den linken Chaoten muss schnellstmöglich das Handwerk gelegt werden.“
Roman Bosse hat kein Verständnis für die Aktionen. „Wenn jemand ein Problem mit sich und der Welt hat, rechtfertigt das noch lange nicht, andere in den Strudel hineinzuziehen“, sagt der 17-jährige Schüler aus Steglitz. Brennende Kabelschächte seien eine Gefahr für andere Menschen und kein Weg, um Probleme zu lösen. „Mit derartigen Aktionen gewinnen sie keine Sympathien“, sagt er. Roman Bosse wirkt jetzt richtig wütend. Kräftigen Schritts rennt er die Treppe zum Bahnsteig hinauf, so als wolle er seinen Ärger über die Attentäter in den Boden stampfen. Daisy Rüb kommt ihm entgegen. Sie ist froh, dass sie ihr Handy hat. Im Internet versucht sie, die schnellste Verbindung ins Stadtzentrum zu finden. „Die Anschläge mit der Ablehnung des Afghanistan-Kriegs zu begründen ist totaler Schwachsinn“, sagt die Schülerin aus Brandenburg. Wenn man gegen den Krieg sei, müsse man mit den Politikern ins Gericht gehen. Dann huscht sie im Strom der Reisenden auf der Suche nach einer Busverbindung aus dem Bahnhof.