Hinter verschlossenen Türen hat der Prozess gegen vier Berliner Schüler begonnen, die am 11. Februar dieses Jahres grundlos zwei Passanten attackierten und dabei einen der Männer fast ums Leben brachten. Der 15 Jahre alte Bosnier Dino H., der zwei Jahre ältere Iraner Nazeh S., der 18-jährige Kenianer Jefeth W. und der ebenfalls 18 Jahre alte Kosovare Etrit C. sind wegen versuchten Mordes aus Habgier und niedrigen Beweggründen angeklagt. Weitere Anklagepunkte sind Raub und gefährliche Körperverletzung.
Dem Anklagesatz zufolge trafen die vier Schüler am 11. Februar gegen 23.50 Uhr im Eingangsbereich des U-Bahnhofs Lichtenberg auf die beiden Malergesellen Marcel R. und Steffen O., die aus einer Billardkneipe in der Nähe des Bahnhofes kamen. Die Jugendlichen sollen die beiden Männer unvermittelt mit Worten wie „Scheiß Nazis“ und „Wir hassen Deutsche“ angepöbelt haben.
Steffen O. konnte zunächst entkommen. So richtete sich die Aufmerksamkeit der Täter erst einmal auf den 30-jährigen Marcel R., dem die Täter die Jacke und einen Rucksack vom Körper rissen. Anschließend, so die Anklage, traten drei Jugendliche „mehrfach wuchtig gegen den Kopf und den Oberkörper“ des schon auf dem Boden liegenden Opfers. Jefeth W. soll ihm sogar mit beiden Beinen auf den Oberkörper gesprungen sein. Als es Marcel R. dennoch gelang, noch einmal aufzustehen, sollen ihn die Jugendlichen erneut zu Boden geschlagen haben. Das wiederholte sich, als Marcel R., jetzt schon stark benommen, erneut zu entkommen versuchte. Am Ende sei das Opfer die Treppe zur U-Bahn heruntergestoßen und am Boden liegend von den Jugendlichen weiter mit Fäusten und Füßen attackiert worden.
Marcel R. erlitt laut Anklagesatz „schwerste Kopfverletzungen mit einem kompletten Bruch der rechten Scheitel-Schläfenregion“. Dies habe „eine sofortige Notoperation erforderlich gemacht, mit der das Leben des Geschädigten gerade noch gerettet werden konnte“. Vermerkt im Protokoll der Notaufnahme wurden zudem beidseitig Brüche des Oberkiefers, ein Nasenbeinbruch sowie Prellungen im Bereich der Rippen, Ellenbogen sowie des gesamten Gesichts- und Schädelbereichs. Marcel R. musste über mehrere Wochen in ein künstliches Koma versetzt werden, lag monatelang im Krankenhaus. Anwalt Christian Joachim, der für Marcel R. die Nebenklage vertritt, sagte, es sei „etwas Genesung eingetreten.“ Zum konkreten gesundheitlichen Zustand seines Mandanten wollte er sich nicht äußern, da Marcel R. am 24. November als Zeuge erscheine und er diesem Auftritt vor Gericht nicht vorgreifen wolle.
Auch der am 11. Februar in den Außenbereich des Bahnhofs geflohene Steffen O. wurde von den jugendlichen Tätern wenig später noch einmal gestellt. Auch er wurde geschlagen und getreten, erlitt Hämatome am ganzen Körper und eine Wunde am Rücken. Er bekam aber noch Hilfe von einem couragierten, kräftig gebauten Passanten, dem es schließlich auch gelang, die immer noch aggressiven Jugendlichen in die Flucht zu treiben.
Motiv: Spaß an Gewalt
Die Staatsanwaltschaft wertet diese Taten als versuchten Mord. Die Angeklagten „handelten während der gesamten Tatausführung nicht nur in der Absicht, die Wertgegenstände der Geschädigten um jeden Preis zu erlangen“, heißt es im Anklagesatz. Sie seien „auch aus allgemeinem Hass gegen Deutsche und aus dem weiteren Motiv des Spaßes an der grundlosen Gewaltausübung gegen Schwächere bis zu deren Tötung“ vorgegangen.
Alle vier Angeklagten haben am ersten Prozesstag über ihre Verteidiger ankündigen lassen, in diesem Prozess vorläufig erst einmal nichts sagen zu wollen. Das gelte aber nicht für den gesamten Prozess, erklärte Anwalt Dirk Lammer, der den Kosovaren Etrit C. verteidigt. Die vier Jugendlichen hätten sich ja schon bei der Polizei „im weitesten Sinne geständig eingelassen“. Strittig sei jedoch nach wie vor der Vorwurf des versuchten Mordes. „Einen Tötungsvorsatz wird mein Mandant kaum einräumen“, so Lammer. Auch er selbst sehe „schon nach Aktenlage“ auch keinen Ansatz für die angeklagten Mordmerkmale Habgier und niedrige Beweggründe. Schwer nachvollziehbar sei auch den Vorwurf der Deutschfeindlichkeit. Sein Mandant habe „kein Problem mit Deutschen“, sagte Lammer. Der Prozess müsse klären, ob es zuvor „nicht doch einen Wortwechsel“ zwischen den Angeklagten und den späteren Opfern gegeben habe.
Nach dem Verlesen des Anklagesatzes wurden die Videobänder der im U-Bahnhof Lichtenberg montierten Überwachungskameras angeschaut. Diese Aufnahmen hatten die Polizei auf die Spur der vier Schüler geführt. Sie sind jetzt neben den Zeugenaussagen auch die wichtigsten Beweismittel in den Händen der Staatsanwaltschaft.
Drei Angeklagte sind in Haft
Der Prozess, zu dem auch vier Gutachter geladen sind, findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das geht so weit, dass auf dem öffentlichen Aushang im Gerichtsflur nicht einmal – wie sonst üblich – die Namen der Angeklagten vermerkt sind. Drei der vier Angeklagten befinden sich in Untersuchungshaft. Nur der Haftbefehl gegen den Jüngsten, den zur Tatzeit erst 14 Jahre alten Bosnier Dino H., wurde im August außer Vollzug gesetzt.