Entspannt stehen die Polizisten neben ihren Mannschaftswagen und blinzeln in die Sonne. Mit so wenig Protest hatte offenbar niemand gerechnet: Für die neue Zentrale des Mercedes-Benz Vertriebs wird mitten im hart umkämpften Entwicklungsgebiet der Mediaspree am Mittwoch der Grundstein gelegt – und es fliegen keine Farbbeutel, ja noch nicht einmal Protestplakate sind zu sehen. Die Polizisten, die den Festakt vor Störungen sichern sollten, erweisen sich als überflüssig.
Als Daimler seine Hochhauspläne im Mai erstmals öffentlich präsentierte, sah das noch ganz anders aus. Damals empörte sich der Initiativkreis „Mediaspree versenken!“ heftig über das Bauvorhaben. Das Gebäude sei viel zu hoch, zu nah am Spreeufer und störe zudem mit seinem „albernen Stern auf dem Dach“ das Kiezklima. Das neue Gebäude, in dem ab Mitte des Jahres 2013 der Vertrieb und der Service für die Fahrzeuge Mercedes-Benz, smart, Maybach und Fuso in Deutschland mit rund 1200 Mitarbeiter einziehen soll, ist das erste große Bauvorhaben auf dem Areal des ehemaligen Ostgüterbahnhofs nach der Eröffnung der O* Arena. Als für die Mega-Halle im Jahr 2006 der Grundstein gelegt wurde, demonstrierten noch mehrere hundert Gegner gegen das Projekt, das für die fortschreitende Gentrifizierung der umliegenden Kieze verantwortlich gemacht wird.
Basis für weitere Entwicklung
Im weitläufigen Gelände um die Halle, so sieht es der Bebauungsplan vor, sollen nach und nach Kinos, ein Casino, ein Hotel, Restaurants und eben auch Büros entstehen. Mit dem Grundstein für die Mercedes-Zentrale ist damit auch die Basis für die weitere Entwicklung gelegt.
So wie bei der O2 World und anders als bei anderen Bauvorhaben dieser Größe üblich, gab es für den Mercedes-Turm jedoch keinen Architekturwettbewerb. Die Planungsleistung wurde vom Bauherren und Investor des Turms, der CA Immo, direkt an das Architekturbüro Gewers & Pudewill vergeben. Die architektonische und städtebauliche Qualität des Entwurfs missfiel jedoch sowohl dem Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz (Grüne), als auch der Senatsbaudirektorin Regula Lüscher. Der Bauherr zeigte sich einsichtig. Nach sechsmonatiger Überarbeitungsdauer präsentierte er deshalb am Mittwoch auch gleich einen neuen – mit der Senatsbaudirektorin und dem Bezirk abgestimmten – Entwurf.
Überarbeiteter Entwurf
„Jetzt sieht das Haus aus wie ein richtiges Gebäude und nicht mehr wie die fragwürdige Imitation eines Autos“, lobte die Senatsbaudirektorin. Hatten Gewers & Pudewill ursprünglich ein Gebäude geplant, dessen Fassade an einen überdimensionierten Kühlergrill erinnern sollte, erhält die zur Spree gewandte Südseite nun ein Relief aus beweglichen Glastafeln, die vor die Gebäudefassade gehängt werden. Diese können je nach Sonneneinstrahlung und Windverhältnissen gedreht werden. Dadurch entstünden immer neue Lichtspiele und das Gebäude werde optimal belüftet, ergänzte Lüscher. „Uns gefällt das Gebäude, so wie es jetzt ist, auch deutlich besser“, gestand Bernhard Hansen, Geschäftsführer der CA Immo Deutschland.
Vielen Berlinern wird das hochmoderne, von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen zertifizierte Energiespar-Gebäude jedoch seltsam vertraut vorkommen: Mit seinem acht Meter messenden Mercedes-Stern auf dem 51 Meter hohen Dach wirkt der Office-Tower wie eine geschrumpfte Version des Europa-Centers aus den 60er-Jahren, neben der Gedächtniskirche das bekannteste Wahrzeichen der City-West. Der Turm am Breitscheidplatz misst 86 Meter und wird von einem Stern mit einem Durchmesser von zehn Metern gekrönt. Und wie am Europa-Center soll sich das Konzern-Emblem auch an der Spree drehen.
Den Anwohnern nicht vorgestellt
Obwohl der Turm am Ostbahnhof deutlich niedriger ist, wird er städtebaulich ähnlich dominant sein: „Nirgends ist die Spree weiter als hier, dies ist wirklich der beste Standort mit seiner grandiosen Weite“, so die Senatsbaudirektorin. Der SPD-Bezirksstadtrat und stellvertretende Bürgermeister Peter Beckers (SPD) stellte in seiner Festansprache klar, das Bezirksamt stehe „jenseits aller Parteigrenzen“ hinter dem Projekt. „Ein dickes Dankeschön an die Mercedes-Vertriebsleitung, dass sie in unseren Bezirk gekommen ist. Das wird dem gesamten Gebiet positive Impulse geben“, so Beckers.
Unzufrieden war gestern nur einer. Carsten Joost von der „Mediaspree versenken!“-Initiative beklagte, dass der neue Entwurf den Anwohnern nicht vorgestellt wurde und mit der Grundsteinlegung nun vollendete Tatsachen geschafft würden. „Das Mercedes-Projekt wurde einfach durchgepeitscht“, so Joost, der von der Grundsteinlegung am Mittwoch sichtlich überrascht wurde. Es sei „ignorant“, dass auf den Stern nicht verzichtet wurde: „Der passt nicht in den Kiez.“