Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat die scharfe Kritik seines Parteifreundes Thilo Sarrazin an seinen integrationspolitischen Vorstellungen zurückgewiesen. „Sarrazin hat aus den Diskussionen der Vergangenheit nichts gelernt“, kommentierte Wowereit die Aussagen des früheren Finanzsenators über sein Buch „Mut zur Integration“. Sarrazin gehe es „nur um Spaltung, mir geht es um Zusammenhalt und bessere Integration“, sagte Wowereit, der als stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender die Integrationspolitik der Partei verantwortet.
Sarrazin hatte Wowereit in einem Gastbeitrag für die Berliner Morgenpost vorgeworfen, einen unklaren Integrationsbegriff zu vertreten, wenn er die Schwierigkeiten von Senioren oder sexuellen Minderheiten mit den Problemen von Zuwanderergruppen wie Türken oder Arabern gleichsetze. Das Buch sei eine „Schönwetter-Mutmach-Fibel“. Der Integrationsdiskussion Wowereits fehle das „geistige Niveau“.
In der Berliner SPD, in der Sarrazin wegen seiner umstrittenen Thesen aus seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ und der Konzentration auf die Defizite bei der Integration von Muslimen schlecht angesehen ist, kam Rückendeckung für Klaus Wowereit.
Er wolle zu Sarrazin nichts sagen, so der integrationspolitische Sprecher der Abgeordnetenhaus-Fraktion, Raed Saleh, der eine treibende Kraft hinter dem ersten, erfolglosen Parteiausschlussverfahren gegen den Ex-Senator gewesen war. „Aber ich finde, dass Klaus Wowereit einen realistischen Blick auf die Stadt und die Integration in Berlin hat“, sagte Saleh.
Buschkowsky hält sich zurück
Auch der in Fragen der Integration stets gesprächsbereite Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky hält sich zurück. Er habe Wowereits Buch nicht gelesen, darum wolle er sich nicht zu dem Streit des Regierenden mit Sarrazin äußern, sagte Buschkowsky.
Der zum rechten Parteiflügel zählende Kommunalpolitiker teilt Sarrazins Beschreibung der Probleme mit verfestigten Milieus bildungsferner Migranten. Sarrazin betont in seiner Buchrezension ausdrücklich das gute Wahlergebnis für die Neuköllner SPD, das aus seiner Sicht auch daher rührt, dass Buschkowsky die bestehenden Probleme klar anspreche. Dennoch haben beide auch Differenzen: Nicht einverstanden ist Buschkowsky mit Sarrazins These, die Integrationsprobleme seien ethnisch oder kulturell bedingt.
Der Streit zwischen Wowereit und Sarrazin über den richtigen Ansatz im Umgang mit Zuwanderern fällt in eine Zeit, in der SPD und CDU die integrationspolitischen Weichen für Berlin in den nächsten fünf Jahren stellen. Am Montag sollen die Ergebnisse der Arbeitsgruppe zusammen mit den Resultaten zur Sozial- und Arbeitsmarktpolitik in der großen Koalitionsrunde beschlossen werden.
Nach Informationen dieser Zeitung haben sich beide Seiten auf ein eher liberales Papier verständigt. Ziel ist es, Berlin zu einer europäischen Modellstadt in der Integration zu machen. Dem Vernehmen nach finden sich in dem bisher vereinbarten Text Aussagen, wonach Berlin eine Einwanderungsstadt sei und es keine deutsche Leitkultur gebe. Zudem wurde die bundesdeutsche Debatte über den Status des Islam auf Berlin heruntergebrochen: Der Islam gehöre zu Berlin, ebenso wie die christlichen Religionen und atheistische Weltanschauungen, heißt es. Außerdem wird betont, dass Integration eine gemeinsame Aufgabe der Zuwanderer und der Mehrheitsgesellschaft sei.
Neben diesen allgemeinen Passagen gibt es auch konkrete Zusagen. So sollen Projekte wie die Stadtteilmütter und die Integrationslotsen, die in Familien gehen und die Menschen zur Teilnahme an Schule und Bildungsangeboten ermutigen, aus der unsicheren Projektfinanzierung zum Regelangebot in den Bezirken werden. Strittig sind in der Integrationspolitik eher bundesweit zu regelnde Themen wie doppelte Staatsangehörigkeit und kommunales Wahlrecht für Ausländer. Diese Punkte hatte schon die Verhandlungsgruppe Innenpolitik zur Klärung an die Schlussrunde verwiesen.
Bürgermeister Buschkowsky ist keiner der SPD-Vertreter in der Integrationsarbeitsgruppe. Seine Positionen seien dort nicht mehrheitsfähig, weiß der Neuköllner. Er hält auch wenig von Beschlüssen „auf der Meta-Ebene“: „Mir wäre lieber, es würde vereinbart, dass in den sozialen Brennpunkten alle Schulen zu Ganztagsschulen ausgebaut werden“, sagte Buschkowsky.
Problem „Überfrömmigkeit“
Aus seiner Sicht sollte man Bekenntnisse zur Rolle des Islam lieber weglassen. Dass der Islam Teil Berlins sei, zeige die „Lebensrealität“ nicht nur in Nord-Neukölln. Es gehe aber darum, Strategien gegen eine „Überfrömmigkeit“ mancher Muslime zu entwickeln, weil mit dem Hinweis auf den Islam eben auch Mädchen nicht zum Sportunterricht dürften oder Jungs nach archaischen Rollenmustern zu Machos erzogen würden. Es gehe darum, unter bildungsfernen Zuwanderern die „Motivation zu stimulieren, sich in diese Gesellschaft einzubringen und sich nach ihren Normen zu richten“, so Buschkowsky. Völlig unabhängig von einer Leitkulturdebatte sei für ihn klar, dass auch in 20 Jahren in Berlin das „mitteleuropäische Wertesystem auf Platz eins stehen“ müsse.