Der Kompromiss zur Verlängerung der Autobahn A100, den die SPD und die Grünen in Berlin als Grundlage für weitere Koalitionsverhandlungen ausgehandelt haben, hat am Mittwoch Wellen bis in den Bundestag geschlagen. Auf Initiative des Spandauer CDU-Bundestagsabgeordneten Kai Wegner hatten die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eine Aktuelle Stunde zu dem Thema beantragt, in der erörtert werden sollte, welche Haltung die Bundesregierung zur Frage einer möglichen Umlenkung der rund 420 Millionen Euro für die Autobahn auf andere Verkehrsprojekte des Bundes in Berlin hat.
Berliner SPD und Grüne hatten sich am Freitag darauf verständigt, die umstrittene Verlängerung der A100 „nicht grundsätzlich“ aufzugeben, aber sich dafür einzusetzen, dass die Bundesmittel statt für den Autobahnbau lieber für andere Infrastrukturmaßnahmen in Berlin verwendet werden können. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) hatte dieser Überlegung umgehend eine Absage erteilt.
„Unverantwortlich für Steuerzahler“
Auch im Bundestag machte Ramsauers Staatssekretär Jan Mücke (FDP) wieder deutlich, dass die Bundesregierung am Weiterbau der A100 festhalte, da diese wichtig für die Anbindung von Treptow und Neukölln sei. Die Entscheidung für den Ausbau sei zur Zeit der rot-grünen Bundesregierung gefallen. „Die Möchtegern-Koalition in Berlin torpediert nun also eine Entscheidung, die Rot-Grün selbst gefällt hat“, sagte Mücke und kritisierte die „Doppelgesichtigkeit“ von SPD und Grünen. Die Umschichtung der Investitionsmittel etwa in Lärmschutz oder Instandhaltung scheitere schon daran, dass es kein derartiges Projekt in Berlin gebe. Mücke bezeichnete es als „schwer nachvollziehbar“, wie in Berlin darüber diskutiert werden könne, die Autobahn nicht auszubauen, für deren Planung schon zweistellige Millionenbeträge ausgegeben worden seien. „Das ist unverantwortlich für den Steuerzahler“, sagte Mücke. Die Bundesregierung dagegen stehe zum Auftrag des Gesetzgebers, die Grünen hätten uneinhaltbare Wahlversprechen abgegeben. „Wir werden die A100 bauen, darauf können Sie sich verlassen“, sagte Mücke.
Der CDU-Abgeordnete Wegner betonte, angesichts der 63 Milliarden Euro Schulden in Berlin könne die Stadt nicht auf die Bundesinvestitionen verzichten. „Berlin hat dann wieder das Nachsehen“, sagte Wegner. Andere Bundesländer würden sich schon die Hände reiben. Der von Rot-Grün forcierte Kompromiss lasse sich nicht umsetzen, SPD und Grüne befänden sich „in einem Kreisverkehr ohne Ausfahrt“.
Wegners Fraktionskollege Arnold Vaatz nannte den Berliner Kompromiss „ein Placebo für die Basis der Grünen, damit Herr Ratzmann in den Senat kann“.
Auch aus der Linksfraktion wurde der Kompromiss der möglichen Koalitionspartner kritisiert. Der Pankower Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich attackierte vor allem die Grünen, die – ebenso wie die Linke – im Berliner Wahlkampf sich deutlich gegen den Bau der A100 ausgesprochen hatten. „Nie sind Wahlversprechen schneller über Bord geworfen worden“, sagte Liebich. „Die Grünen wollen offenkundig um jeden Preis regieren.“ Liebich forderte, SPD und Grüne sollten sich nicht hinter dem Bund verstecken, sondern deutlich sagen, was er wolle.
Die anderen Parteien würden sich ja nur darüber ärgern, dass SPD und Grüne in Berlin „erfolgreich eine Brücke zueinander gefunden“ hätten, sagte Mechthild Rawert, die für Tempelhof-Schöneberg in der SPD-Bundestagfraktion sitzt. Wenn es keine alternative Verwendung der A100-Gelder für Berlin gebe, dann würde die Autobahn gebaut, betonte sie und berief sich auf eine frühere Aussage des Bundesverkehrsministers, wonach Bestandssicherung und Lärmschutzmaßnahmen Vorrang vor Neubau haben solle. „Gilt dieser Paradigmenwechsel von Herrn Ramsauer nun nicht mehr?“
Michael Groß (SPD) nannte die Beantragung der Aktuellen Stunde durch CDU/CSU und FDP eine „Fortsetzung des Wahlkampfes“. Die CDU versuche die Koalitionsgespräche in Berlin zu beeinflussen, weil sie nicht erste Wahl als Partner für die SPD sei, sagte der Sozialdemokrat aus Recklinghausen. „Die Zuständigkeit des Bundesverkehrsministers für Koalitionsgespräche auf Landesebene ist mir bisher entgangen.“
„Endlich zeigt ein Land Vernunft“
Für die Grünen sprach zuerst Anton Hofreiter. Der bayerische Abgeordnete zog die Debatte weg aus dem Berliner Fokus. Im Verkehrsausschuss gebe es derzeit 80 baureife Verkehrsprojekte für 2,6 Milliarden Euro, die nicht finanziert seien. Außerdem sei kein Geld da, um das vorhandene Autobahnnetz instand zu halten. „Endlich zeigt mit Berlin jetzt ein Bundesland Vernunft, dass es sinnvoller ist, vorhandene Netze auszubauen statt immer neue Projekte realisieren zu wollen“, sagte Hofreiter. „Aber anstatt sich zu freuen, redet der Verkehrsminister gegen den Tenor der Fachdebatte.“ Der Bund solle die A100-Gelder nutzen, um die Unterhaltsmittel des Netzes zu erhöhen und Berlin daraus einen Bonus zu zahlen, forderte Hofreiter. Berlin solle als Vorbild gelten.
Fahrplan: So geht es weiter
Parteitag: Die Grünen kommen am Freitagabend zu einer Landesdelegiertenkonferenz in der Universität der Künste an der Bundesallee zusammen. Dort soll die Parteibasis darüber entscheiden, ob die Grünen Koalitionsverhandlungen mit der SPD aufnehmen.
Kritik: Der Landes- und Fraktionsvorstand der Grünen hat dazu einen Leitantrag formuliert, in dem auch ausführlich die Position zur Stadtautobahn A100 beschrieben wird. Auf der Internetseite gab es dazu schon Kritik. Ein Kommentator fügte einen seitenlangen Kommentar an, der aus den Worten „Lügner, Lügner, Wahlbetrüger“ bestand.
Verhandlungen: Sollte der Parteitag der Grünen ein positives Votum abgeben, könnten schon nächste Woche die Koalitionsgespräche mit der SPD beginnen. Die SPD braucht dafür keinen Sonderparteitag. Den Sozialdemokraten genügte eine Sitzung des Landesvorstands, zu dem auch die Kreisvorsitzenden gehören, die das Ergebnis wiederum an der Parteibasis vermittelten.
Erste Sitzung: Das neue Abgeordnetenhaus kommt am 27. Oktober zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen.
149 Abgeordnete umfasst das Parlament. Es wählt in seiner ersten Sitzung das neue Präsidium. Der Regierende Bürgermeister muss dann noch nicht zwangsläufig gewählt werden. Bis zur Wahl bleibt der alte Senat im Amt.
Abschluss: Ende Oktober/Anfang November sollen die Koalitionsverhandlungen abgeschlossen werden. Nach der Wahl des Regierenden Bürgermeisters werden dann die Senatoren ernannt.