Neue Studie

650.000 Menschen von Flugrouten betroffen

| Lesedauer: 4 Minuten
Gilbert Schomaker

Foto: Günter Wicker / LIGATUR

Überraschung vor der Wahl: Laut einer Studie der Berliner Grünen und einer Bürgerinitiative weichen viele Airlines von den festgelegten Flugrouten für den Hauptstadtflughafen BER ab. Der dadurch entstehende Lärm soll bis zu 650.000 Menschen belasten.

Kurz vor den Wahlen am kommenden Sonntag haben die Berliner Grünen in Zusammenarbeit mit der Bürgerinitiative „Lichterfelde gegen Fluglärm“ eine Studie vorgelegt, aus der hervorgeht, dass die Airlines von den von der Deutschen Flugsicherung (DFS) präsentierten Ideallinien erheblich abweichen und so bis zu 650.000 Menschen mit Fluglärm belastet werden. Mit Beispielrechnungen belegt die Studie zudem, dass damit lediglich einige Flugkilometer beziehungsweise einige wenige Euro eingespart werden.

Besonders laut wird es demnach im Berliner Südosten. Über Friedrichshagen am Müggelsee beträgt die Flughöhe bei einem Teil der Flüge sogar nur 1150 Meter. „Die vorgelegten Ideallinien müssen im Bereich Müggelsee deshalb nicht nur dringend optimiert werden“, fordert deshalb die Grünen-Abgeordneten Claudia Hämmerling. Es müsste vor allem auch verbindlich vorgeschrieben werden, dass die Piloten die Ideallinie auch tatsächlich fliegen. Die Freigabe der Flugroutenwahl ab einer Höhe von 5000 Fuß (1524 Meter) sei zwar ein international üblicher Standard. Das Beispiel des Flughafens Frankfurt am Main zeige aber, dass durchaus Differenzierungen möglich sind. So dürfen die Piloten dort tagsüber erst ab 6000 Fuß (1800 Meter), in den Randzeiten am Abend und frühen Morgen erst ab 8000 Fuß (2400 Meter) ihre Route frei wählen. Zumindest bis zu einer Höhe von 4000 Metern (13.000 Fuß) dürfe es im Regelfall keine Flüge über dicht besiedelte Ortsteile geben.

Giftstoffe im Feinstaub

Denn schon unterhalb einer Höhe von 3000 Metern sei der Schalldruck mit 57 Dezibel laut zu hören – vergleichbar etwa mit dem Geräuschpegel eines Rasenmähers.

Der in Friedrichshagen lebende Mediziner Hans Behrbohm hat sich intensiv mit den Gesundheitsschäden durch die zu erwartenden Lärm- und Schadstoffbelastungen am Müggelsee beschäftigt. In einem Beitrag für eine medizinische Fachzeitschrift, der Ende dieses Jahres erscheinen soll, hat der HNO-Professor nicht nur mit den Lärmbelastungen, sondern auch den klimaökologischen Auswirkungen durch die hohen Feinstaub- und Schadstoffemissionen auf das Berliner Stadtklima beschäftigt. In dem Fachbeitrag, der Morgenpost Online vorliegt, kommt der renommierte Mediziner zu dem Schluss, „dass es an einzelnen Tagen in Abhängigkeit vom lokalen Wetter zu Überschreitungen zulässiger Grenzwerte von Schadstoffen kommen kann“. Besonders die Feinstäube, warnt Behrbohm, „werden durch die Düsenstrahltriebwerke in Höhe unter 1500 Metern direkt in die für die Lungenatmung relevanten Luftschichten der Menschen ausgestoßen und können bis in die Lungenbläschen gelangen, was besonders gefährlich ist“. Die in den Abgaswolken enthaltenen krebserzeugenden Giftstoffe können zu Erkrankungen der Atemwege und der Lunge, aber auch zu Chromosomenveränderungen führen sowie Leber- und Nierenschäden auslösen.

Behrbohm weist auch darauf hin, dass aus dem Müggelsee in erheblichem Maße das Trinkwasser für Berlin gewonnen wird. Die meisten der in den Abgaswolken enthaltenen Substanzen seien wasserlöslich, so der Arzt.

24 Cent pro Passagier

Besonders ärgerlich aber sei, so heißt es in der Studie der Grünen, dass die wirtschaftlichen Effekte einer Routenverlegung zu Gunsten der betroffenen Bürger im Bereich Müggelsee/Friedrichshagen äußerst gering ausfielen. So würde beispielsweise der Flug London–Berlin über die Alternativroute Gosener Wiesen gegenüber der Ideallinie einen Umweg von zwei Kilometern betragen, die Flugdauer bleibt dagegen unverändert bei 100 Minuten. Bei einem Flugpreis von 240 Euro für den Hin- und Rückflug schlage dies mit 24 Cent pro Passagier zu Buche. Selbst gegenüber dem Kurs, den die Piloten nach Erreichen des Abdrehpunktes voraussichtlich nehmen würden, sei die Kosten- und Zeitersparnis gering: Statt 1005 Kilometern betrage die Entfernung 985 Kilometer, ein Minus von 20 Kilometern. Die Flugzeit würde sich lediglich um zwei Minuten verkürzen. Die Kostenersparnis pro Passagier betrage 2,40 Euro.