Als von Wasserpumpen noch keine Rede war, stellten Wassertürme die Wasserversorgung von Berlins Bürgern sicher. Von einst 125 Wassertürmen gibt es heute noch 68 die liebevoll restauriert wurden und nun neue Aufgaben erfüllen.

Wie Riesen recken sich die Wassertürme über Berlin. Lange bevor es Pumpsysteme gab, dienten sie dem Druckausgleich oder als Wasserspeicher für Bewohner, Krankenhäuser, Brauereien, Eisenbahnen, Schlachtereien und Gefängnisse. Heute trotzen noch 68 von ihnen Wind und Wetter und einem Stadtbild, in dem sie keinen Nutzen mehr haben. Wir haben fünf von ihnen besucht und nachgesehen, wer heute darin lebt und arbeitet.

Ihre Wohnung, sagt Kristin Krömer, sei vielmehr eine Aufreißer-Wohnung, als ein Familiendomizil. Schließlich seien alle Besucher von ihrer dreigeschossigen Bleibe in dem Wasserturm Alt-Hohenschönhausen hin und weg. Für sie, ihren Mann und ihre fünf Jahre alte Tochter sind die vielen Wendeltreppen eigentlich eher umständlich. Viele Stufen muss Krömer steigen, bis sie sich auf der Dachterrasse mit Rundblick über der Stadt befindet oder wenn sie etwas in der Küche vergessen hat.

2003 haben die Krömers den heute 111 Jahre alten Wasserturm gekauft. Schon 1993 wollte der Bezirk den Turm, der ursprünglich die Wasserversorgung für eine Brauerei sicherte, verkaufen. Doch Interessenten sprangen immer wieder ab. Schließlich ist die Sanierung eines so alten Turms, der sich nach oben hin verdünnt, nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine architektonische Herausforderung.

Martin Krömer verstand genug von der Materie, die Renovierung des Gebäudes stellte für ihn einen Reiz dar. Also entfernte er eimerweise Taubenkot aus dem Rohbau, baute Zwischendecken ein und schaffte hundert Tonnen Stahl und Beton in den Turm. Drei Jahre dauerten die Arbeiten an. Heute wollen die Krömers nie wieder woanders wohnen. Da der denkmalgeschützte Wasserturm teilweise für die Öffentlichkeit zugänglich bleiben sollte, eröffneten die Krömers eine Kaffee- und Cocktailbar im Erdgeschoß. Auf Liegestühlen vor dem Turm oder auf der Terrasse direkt am Orankesee sitzen die Gäste nun in der Spätsommersonne und genießen den Turmblick. Zumindest von unten.

Wetterstation im Wasserturm

Katrin Krüger starrt Löcher in die Luft, das will sie später auch beruflich tun. Die 26-Jährige studiert an der FU Berlin, am einzigen Institut für Meteorologie europaweit, das eine eigene Wetterstation hat.

Täglich steigen Katrin Krüger und ihre 20 Kommilitonen im Wasserturm auf dem Steglitzer Fichtenberg sechs Stockwerke hinauf. Von dort aus blicken sie rundum aus allen Fenstern oder begutachten den Himmel von den kleinen Balkonen der Erker oder von der Turmspitze aus.

Sie unterscheiden cumulus congestus, die Haufenwolke, von cumulus fractus, der vom Wind zerzausten Wolke. Sie messen Niederschlags- und Pollenwerte, versenden eine Wetterkarte und führen Wettertagebuch. Was die Studenten stündlich vom Himmel ablesen, übersetzen sie in einen internationalen Zahlencode und senden ihn an den Deutschen Wetterdienst. Der verschickt die Daten aus Berlin in die ganze Welt.?

Seit 1967 nutzen die Meteorologen der Freien Universität den Wasserturm für ihre Messungen. 1979 wurde der Wasserbehälter abgerissen, Mitte der 80er-Jahre zog das Institut dann von seinen Villen in Dahlem in den Turm. Heute ragt der rote Backsteinturm mit den hellen Ornamenten aus Rackwitzer Sandstein 40 Meter hoch über das Steglitzer Wohngebiet.

Dass der Sommer für dieses Jahr vorbei ist, kann man sich bei Katrin Krüger und ihren Mitstudenten bestätigen lassen. Aber an diesem Wochenende zieht das Hoch Oldenburgia über Deutschland und erfreut das Land mit einem warmen Spätsommerwochenende.

Krüger und ihre Kommilitonin Julia Sieland wissen das ganz genau. Schließlich haben sie erlaubt, dass das Hoch nach der Stadt Oldenburg benannt werden darf. Seit 2002 vergeben die Studenten im Wasserturm Wetterpatenschaften an die Bevölkerung.

Jeder kann sich seitdem den Namen für ein Hoch für 299 Euro oder den für ein Tief für 199 Euro kaufen. Das Tief ist billiger, aber nicht, weil Regen nicht so schön ist wie Sonne, sondern weil ein Tief nur bis zu sechs Tagen dauert, ein Hoch dagegen zwei Tage länger. Ende September werden die Studentinnen Post aus ganz Deutschland mit Namenswünschen bekommen. Die ersten Namen mit den Anfangsbuchstaben des Alphabets vergeben sie nach Eingang der Post, den Rest verlosen sie.

Unterricht in der alten Textilfabrik

Wer durch die enge Gasse zwischen den zwei gelb-roten Klinkerbauten geht, kann sich leicht hineinversetzen in eine Zeit, in der in diesen Gebäuden in Niederschöneweide noch Textilien verarbeitet wurden. Die Schienen für den Kohletransport zur Beheizung der Fabrik Otto Schneider fressen sich noch immer tief durch das Kopfsteinpflaster. In der Haupthalle haben Ende des 19.Jahrhunderts die 90 Mitarbeiter einst Stoffe gewalkt, geraut oder gefärbt. Das Wasser, das für die Produktion nötig war, pumpten Leitungen direkt aus der an die Fabrik grenzenden Oberspree in den Wasserturm. Ein Kessel in der Spitze fing das Wasser auf. Von dort fiel es schnell und mit viel Druck die Leitung hinab, wenn es für die Fabrik benötigt wurde.

In einer der Hallen klappern heute Geschirr und Gläser. An der Freien Waldorfschule Südost riecht es nach Mittagessen. Seit 1993 gehen täglich 380 Schüler in den Unterricht in dem alten Fabrikgebäude.

Auf dem Kopfsteinpflaster zwischen Musiksaal und Spree modelliert die 13.Klasse Tonarbeiten. Der Wasserturm hinter ihnen wird von der Schule nicht genutzt. Lediglich im untersten Bereich stapeln sich Noten, Pauken, Xylophone und Notenständer. Die Musiklehrer lagern hier alles, was sie für den Unterricht benötigen. Die 18 Jahre alte Fritzi Grau hätte schon eine Idee, wie man den Turm besser nutzen könnte. „Ich würde ein Kunstatelier reinbauen“, sagt die Schülerin, „im Turm ist man schön abgeschottet, aber es kommt trotzdem viel Tageslicht rein.“

Am Sonntag gibt der Architekt Axel Volker Ringler um 10 und um 12 Uhr Führungen über das Gelände.

Medizinverlag auf dem Friedhof

Ein Wasserturm, in dem es kein Wasser gibt. Klingt absurd. Doch nur eine Woche bevor Wolfgang Becker-Brüser mit seinen 18 Mitarbeitern den Turm beziehen wollte, war das der Fall.

Es war der Winter im Jahr 2000. Wasserleitungen über einen Friedhof zu legen, ist generell schwierig und sobald Frost droht, stellt die Friedhofsverwaltung das Wasser ab. Und weil sich der Turm, in dem Becker-Brüser mit seinem Medizinverlag einziehen wollte, mitten auf dem Friedhof an der Bergstraße in Steglitz liegt, floss in diesem Winter vorübergehend kein Wasser in den Turm.

Mit dem Umbau des 40 Meter hohen Gebäudes hat sich Becker-Brüser einen Traum erfüllt. Jeden Tag hat er von seinem Frühstückstisch aus den klassischen Rundbau mit den expressionistischen Zügen bewundert und betrauert. Denn jahrelang verfiel der Turm, seit er 1962 still gelegt wurde. Die Charlottenburger Wasserwerke errichteten ihn 1916, um das Dorf Steglitz von der Anhöhe aus mit Wasser zu versorgen.

Weil Wolfgang Becker-Brüsers Verlag keinen Publikumsverkehr hat, der die Friedhofsruhe stören könnte, durfte er vor elf Jahren einziehen. Knapp zwei Millionen Mark hat der Umbau gekostet, dafür darf der Verlag 20 Jahre mietfrei bleiben.

Am heutigen Sonnabend führt Wolfgang Becker-Brüser von 11 bis 13.30 Uhr alle halbe Stunde durch das Basisgeschoß des Turms.

Breakdance und Badminton

Sie wolle nicht arrogant klingen, sagt Mandy, „aber wir sind schon richtig gut.“ Sie kichert. So ganz im Gleichschritt sind die fünf Schülerinnen aus Kreuzberg bei ihrer Choreographie zwar noch nicht, aber Spaß macht es ihnen offensichtlich. Im Wasserturm in der Kopischstraße trainieren die Freundinnen jeden Tag Breakdance. Schließlich wollen die „Lady Shaker“ einen Wettbewerb gewinnen und in zwei Wochen als Vorgruppe bei der internationalen Streetdance-Show Blaze im Admiralspalast auftreten. Also rappt Missy Elliott ihr „Work it“ aus dem Lautsprecher und die Mädchen gehen in die Knie, springen auf und schütteln die Schultern.

Seit den 80er-Jahren treffen sich Jugendliche aus dem Chamissokiez im Wasserturm. 50 junge Leute zwischen sechs und 27 verbringen einen großen Teil ihrer Freizeit im Turm. Hier tanzen sie, musizieren, drucken T-Shirts, drehen Trickfilme, kochen, rappen, spielen Badminton oder hängen einfach nur ab. Der Wasserturm in Kreuzberg holt Jugendliche von der Straße.

Undine, wie der weibliche Wassergeist, hieß der Entwurf, nach dem Henry Gill den Turm bis 1888 auf dem höchsten Punkt des Tempelhofer Bergs erbaute, um die höher gelegenen Grundstücke mit Wasser zu versorgen. Ob der Turm weiter von dem Jugendlichen genutzt werden kann, ist unsicher. Der Vertrag läuft Ende des Jahres aus. Die Entscheidung liegt in den Händen des Bezirks.

Jens Schmidt: Wassertürme in Berlin. ?Regia Verlag, 19,80 Euro.