Erst vor zwei Monaten hatte der Berliner Senat den Schutz vor Kündigung wegen Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen verlängert. Doch in der Realität sehen sich viele mit Luxusmodernisierungen konfrontiert, die das Ziel haben, die Altmieter zu verdrängen.
Es kracht, Putz rieselt auf den Boden und plötzlich ragt ein Fuß aus der Decke. Erschrocken rennt Daniela Glutsch aus dem Zimmer. Die 41-Jährige hat Angst, dass auf den Fuß der dazugehörige Bauarbeiter folgt und in ihr Schlafzimmer fällt. Auch wenn es dazu nicht gekommen ist – die tellergroßen Löcher sind eine Woche später immer noch in der Decke. Durch Vorfälle wie diesen fühlen sich Daniela Glutsch und die anderen Mieter des Hauses an der Simplonstraße 30 in Friedrichshain von der Hausverwaltung schikaniert, übervorteilt und vertrieben. Seit Monaten wird mittlerweile saniert – moderne Eigentumswohnungen sollen entstehen.
In der deutschen Hauptstadt werden immer mehr Mietwohnungen in Eigentum umgewandelt. Zwar wohnen nach Angaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 86 Prozent der Berliner zur Miete. Doch allein in den vergangenen sieben Jahren wurden knapp 37.000 einzelne Mietwohnungen umgewandelt.
Mietervereine beklagen, dass dieser Prozess besonders in den stark nachgefragten Innenstadtkiezen mit Luxussanierungen und der Vertreibung der Altmieter einhergeht. Der Spandauer Mieterverein für Verbraucherschutz etwa beobachtet „leider immer häufiger, dass Mieter unerwünscht sind und bei Modernisierungen keine Rücksicht genommen wird“, so Heinz Troschitz, Präsident des Vereins.
Allein in seinem Verein habe er in den vergangenen drei Jahren mehr als 100 ähnliche Auseinandersetzungen kennen gelernt. Die Mieter des Hauses an der Simplonstraße hatten sich um Hilfe an ihn gewandt. Seit Mai steht das Gerüst am Eckgebäude Simplonstraße/Niemannstraße, die Fassade soll erneuert werden, Fernwärme-Heizungen ein- und das Dachgeschoss ausgebaut werden. Für die Mieter ist das eine Strapaze: Planen verhüllen das Gerüst und sorgen für düstere Zimmer, in einigen Wohnungen schimmeln Wände, weil Wasser eindringt. „Das hat Methode. Die Mieter werden schikaniert und genervt, bis sie endlich das Feld räumen.“ Die Hausverwaltung wolle die Mieter vertreiben, weil dann die Sanierung einfacher würde und die Wohnungen sich teurer verkaufen ließen. Im Internet werden sie bereits angeboten – als „Stilvolle Eigentumswohnungen im Szenekiez“.
Die Mieter werfen das Handtuch
17 Mieter hätten bereits das Handtuch geworfen, sagt Daniela Glutsch. Die meisten von ihnen, weil sie es nicht mehr ausgehalten hätten. Ein Mieter, der lieber ungenannt bleiben will, ergänzt: „Seit 15. Juli habe ich Mails geschickt, Bilder, Briefe, habe angerufen.“ Er zeigt sein ehemaliges Schlafzimmer, in dem nur noch eine kleine Kommode steht. „Hier mieft es so sehr, dass dieser Raum längst unbewohnbar ist“, sagt er. Eine Wand ist nass und an vielen Stellen schwarz vor Schimmel. Einmal habe die Hausverwaltung einen Techniker angekündigt, aufgetaucht sei der nie. Danach war Funkstille. Überhaupt sei die Modernisierung nur vage angekündigt worden, ein Bauzeitplan sei nicht abgesprochen worden. Daniel Rott von der Sorgertec, die für das Gebäude verantwortlich ist, schreibt dagegen in einer Mail an diese Zeitung: „Die Mieter des Hauses sind rechtzeitig vor Beginn der Maßnahmen sowie fortlaufend über den Projektstand der Umsetzungen informiert worden.“ Die Vorfälle in der Wohnung von Frau Glutsch seien bedauerlich, aber „Unfälle auf Baustellen passieren leider.“ Auch wolle man die Mieter nicht vertreiben: „Selbstverständlich bricht Eigentum die Miete nicht.“
Obwohl der Kiez um die Jablonskistraße in Prenzlauer Berg durch eine sogenannte Milieuschutzverordnung vor Umwandlung geschützt werden soll, fühlen sich die Mieter hier ebenfalls durch Modernisierungsmaßnahmen des Hauseigentümers unter Druck gesetzt. So berichtet Andreas Otto, wohnungspolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, vom Haus an der Jablonskistraße 37. „Die Modernisierung wurde nicht mit den Mietern vereinbart, wie es sonst üblich ist“, sagt Otto. „Das geht soweit, dass sich die Parteien in einem Zivilprozess gegenüberstehen.“
Rudolf Schmidt wohnt mit seiner Frau seit mehr als 25 Jahren in der Jablonskistraße. „Wir haben diese Wohnung selbst ausgebaut“, erzählt er. „Wir wollen hier nicht weg.“ Bewohner Rudolf Schmidt hat sich an Otto gewandt und ihm eine umfangreiche Dokumentation über die Ereignisse in dem Gebäude übergeben. „Das ist alles furchtbar unprofessionell abgelaufen“, sagt Schmidt. Zunächst sei im Juli 2010 ohne Baugenehmigung mit Abrissarbeiten begonnen worden, auf Drängen der Mieter wurde ein Baustopp verfügt. Schließlich sei im Januar 2011 einfach weiter gebaut worden. „Ohne schriftliche Informationen, ohne Gespräche.“ Nun sei das Dach undicht, es schimmele. „Dass die Schornsteine einfach abgebaut wurden, ist hochgefährlich“, sagt der Ingenieur Schmidt. „Die Mieter wussten davon nichts, da kann man leicht eine CO2-Vergiftung bekommen.“ Die verantwortliche Firma Schneider Grundbesitz wollte dazu am Montag keine Stellung beziehen. Die Verantwortlichen seien im Urlaub, hieß es lediglich am Telefon.
Der Baustadtrat in Pankow, Michail Nelken (Linke), bestätigt jedoch viele Vorwürfe: Mehrfach habe die Bauaufsicht eingreifen müssen, wegen Feuchtigkeit und den abgerissenen Schornsteinen. Auch der Milieuschutz, der garantieren soll, dass die Wohnstruktur erhalten bleibt, wurde verletzt. Leider seien die Möglichkeiten der Behörden aber begrenzt. Das bemängelt auch Andreas Otto: „Wenn in einem Bezirk nur eine Person für den Milieuschutz zuständig ist, kann der nicht effektiv überwacht werden.“
Miete steigt um 82 Prozent
Auch Rolf Stenzel hat mit einer Luxusmodernisierung zu kämpfen. Ihm flatterte eine 82-prozentige Mieterhöhung für seine Wohnung in der Aschaffenburger Straße 26 ins Haus. Seit einigen Jahren gehört der Wilmersdorfer Altbau, in dem seine Frau und er wohnen, einem Privatinvestor. Der hat ihnen nun eine Luxussanierung begonnen und dafür schon einmal die Mieterhöhung angekündigt. „Wir haben bisher 638 Euro Warmmiete für die 81 Quadratmeter bezahlt“, erzählt der 71-Jährige. „Jetzt sollen es 1160 Euro werden.“ Seit Januar baue der Investor neue Stockwerke, Balkons, Bäder und bodentiefe Fenster. Der Abschluss der Arbeiten wurde den Mietern erst für Sommer kommenden Jahres in Aussicht gestellt. Der Fahrstuhl gehe schon heute nicht mehr, genau wie die Heizung. „Die wollen uns vergraulen“, ist sich Stenzel sicher. In dem Haus seien von 15 Wohnungen nur noch sieben besetzt. Ein Mitarbeiter der Eigentümerfirma Berolina Leasing, der anonym bleiben möchte, sagt auf Nachfrage dieser Zeitung: „Ein 60er-Jahre-Bau muss eben irgendwann einmal saniert werden. Und wenn dann die Mieten steigen, ist das eben so.“ Stenzel will kämpfen. Gegen die Mieterhöhung hat er Einspruch eingelegt, will sich einen Anwalt nehmen.
„ Das ist auch das einzig Richtige“, sagt Heinz Troschitz vom Spandauer Mieterverein. Die Mieter dürften nicht verzagen und ausziehen – das sei es ja, was die Eigentümer wollten. Stattdessen müsse man sich wehren. „Stehen Sie zusammen“, rät er den Betroffenen. „Kämpfen Sie.“