Nach der Explosion einer Rohrbombe im Schillerpark in Berlin-Wedding fürchten sich Anwohner vor weiteren Sprengsätzen. Die Polizei bittet um Hilfe. Gesucht wird nach einer Person mit einer Aldi-Tüte.
Rot leuchtet die Plastiktüte durch das Gebüsch im Schillerpark. Sie steht neben einer Bank an einer Wiese, die an die Edinburger Straße grenzt. An einem anderen Tag würde die Tüte kein Aufsehen erregen – Müll, wie diese Tüte, liegt massenhaft in dem Park in Wedding herum. Aber jetzt ist alles anders, denn am Sonntag ist genau an dieser Bank eine Rohrbombe explodiert und hat einen Spaziergänger, den 58 Jahre alten Siegfried L., schwer verletzt.
Von außen ist nicht genau zu erkennen, was in der Tüte ist. Könnte ein Tetrapack sein. Sicherheitshalber ruft ein Passant die Polizei. Zehn Minuten später sperren Beamte erneut den Platz um die Bank mit rot-weißem Band ab, die Kriminaltechnik muss kommen. Wie am Tag zuvor. „Ich habe den Knall gehört“, sagt Berndt Müller. Der 52-Jährige lief gerade durch den Park. Die Bank, an der das Unglück passierte, kennt Müller gut. „Hier sitzen abends immer die Junkies“, meint er. Vielleicht habe die jemand ärgern wollen. An ein Attentat mit politischem Hintergrund glaubt Müller nicht. Dafür sei die Bombe doch zu klein gewesen. „Vielleicht ein Hobbybastler“, sagt der Frührentner, der nur zehn Minuten entfernt wohnt. „Aber ich frage mich, warum sich der Täter ausgerechnet den Schillerpark ausgesucht hat.“ Da kann auch die Berliner Polizei bisher nur Vermutungen anstellen. Einen Tag nach der Rohrbombenexplosion haben die Fahnder noch keinerlei Hinweise auf den Täter. Der Polizeiliche Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen und bittet nun auch die Bevölkerung um Hilfe.
Das Opfer Siegfried L. ist bei der Detonation schwer verletzt worden, nachdem er den auf der Parkbank platzierten Sprengsatz mit der Hand berührt hatte. Beim Gassi-Gehen mit seinem Hund hatte er am Sonntag gegen 14.45 Uhr den in einer Aldi-Tüte verpackten Sprengsatz angefasst. Er war in seiner Hand explodiert und hatte schwere Splitterverletzungen an Armen, Beinen und im Gesicht verursacht. Siegfried L. war zum Verhängnis geworden, dass sich der Täter ausgerechnet seine Lieblingsbank als Ablageort für die Bombe ausgesucht hatte. Er hatte den Sprengsatz zur Seite nehmen wollen, um mehr Sitzplatz zu haben.
Keine Erblindung
Montagfrüh wurde L. erneut im Bereich seiner Augenpartie operiert. Lebensgefahr besteht nicht; glücklicherweise wird er höchstwahrscheinlich auch sein Sehvermögen behalten. Sein Mischlingshund Charlie wurde durch die Explosion nicht verletzt.
„Irgendwie unheimlich“, finden Nina Rehbock und Sascha Glotzbach die Ereignisse. Das junge Paar ist in den Park gekommen, um zu schauen, was los ist. „Hier würde ich meinen Hund nicht mehr laufen lassen“ – fassungslos beobachtet Nina Rehbock Spaziergänger, die ihre Hunde über die Wiese rennen lassen, gleich neben der Polizeiabsperrung. Noch schlimmer sei allerdings, dass nur wenige Meter neben der Detonationsstelle eine Kita ist, in deren Garten kleine Kinder spielen.
Die schließt jedoch sofort, als die Polizei anruft, und bittet die Eltern, ihre Kinder abzuholen. „Ich weiß noch nicht, ob ich meinen Sohn morgen in die Kita bringen kann“, meint eine Mutter. Sie würde ihrem Sohn jetzt einschärfen, nichts anzufassen, was er nicht kenne. Auch sie fragt sich, warum der Täter den Schillerpark gewählt hat. „Hier ist doch kein Brennpunkt, hier sind harmlose Bürger unterwegs, wer will denen schaden?“
Schließlich gibt die Polizei rund um die Parkbank an der Edinburger Straße Entwarnung; der Inhalt der roten Plastiktüte ist ungefährlich. Trotzdem mahnt die Polizei zur Wachsamkeit. „Besonders wenn Drähte aus der Tasche schauen“, sagt ein Beamter. Denn die Polizei geht nach Informationen von Morgenpost Online von einem Serientäter aus. Bereits am 26. Mai hatte an der Böschung des Nordufers eine Rohrbombe (siehe Kasten) gelegen, die ohne Schaden anzurichten von Kriminaltechnikern vor Ort entschärft und anschließend gesichert werden konnte.
Nach Angaben eines Kriminalbeamten ist dieser Vorfall mit all seinen Unwägbarkeiten der Albtraum eines jeden Polizisten. „Offenbar haben wir es hier mit einem Bombenbastler zu tun, der seine Taten ausübt, ohne dabei von irgendwelchen nachvollziehbaren Motiven gesteuert zu werden“, sagt der Beamte. So seien in beiden Fällen keine Selbstbezichtigungsschreiben gefunden worden, wie es bei politisch motivierten Taten sonst der Fall sei. Ferner ist nach Informationen dieser Zeitung auch keine Forderung bei der Polizei eingegangen, die auf einen Erpresser als Täter schließen lasse. „Die Vorgehensweise dieses Täters ist besonders heimtückisch, weil die Bomben nicht als solche zu erkennen sind und somit besonders für arglose Menschen wie kleine Kinder und Senioren zur tödlichen Falle werden können.“
Bei der Deponierung der Rohrbombe Ende Mai war der Sprengsatz ebenfalls unter einer Plastiktüte verborgen worden. Der Fundort lag nahe der Ausländerbehörde, die auf dem gegenüberliegenden Kanalufer am Friedrich-Krause-Ufer ihren Sitz hat. Dass die erste Tat einen Bezug zu dieser Institution hat, schließen Ermittler bislang aus.
Polizei warnt vor Panik
Ein Kriminalbeamter warnt in diesem Zusammenhang vor Panik. Man solle sich weiterhin normal im Stadtgebiet bewegen. Allerdings sollten sich die Berliner davor hüten, sich einem verdächtigen Gegenstand zu nähern, dafür gebe es Spezialisten beim Landeskriminalamt.
Die bei beiden Bomben verwendeten Materialien sind nach Informationen von Morgenpost Online identisch, weitere von Kriminaltechnikern im Park gesicherte Kleinteile werden jetzt ausgewertet. Vor allem die benutzten Plastiktüten könnten für den Staatsschutz ein Ansatzpunkt für seine Ermittlungen werden.
Die Polizei fragt deshalb: Wer hat am Sonntag oder auch in den Tagen davor eine Person mit einer Aldi-Tüte im Schillerpark oder dessen Umgebung gesehen? Wer hat sonst etwas Verdächtiges gesehen, das mit der Tat im Zusammenhang stehen könnte? Hinweise nehmen das Landeskriminalamt unter Te. (030) 46.64.90.90.40 sowie jede andere Polizeidienststelle entgegen.
Michael Behrendt und Birgit Haas