Bildungsnotstand

Alte Probleme belasten Berlins neues Schuljahr

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Regina Köhler und Florentine Anders

Experten warnen vor dem Fachlehrermangel in Berlin. Als Anreiz für junge Pädagogen soll wieder über eine Verbeamtung nachgedacht werden, fordern nun Schulleiter.

Der Start ins neue Schuljahr scheint zwar wesentlich reibungsloser zu verlaufen als im vergangenen Jahr. Paul Schuknecht, Vorsitzender der Vereinigung der Berliner Schulleiter, zeigt sich zufrieden. „Die Schulen sind besser mit Personal ausgestattet als zu Beginn des Schuljahres 2010/11“, sagte er. Im vorigen Jahr standen wochenlang Notstundenpläne und Unterrichtsausfall auf der Tagesordnung, weil sehr viele Lehrer fehlten.

Schuknecht fügte allerdings hinzu, dass es dennoch Engpässe gebe. „Vor allem in den Mangelfächern wie Mathematik und Physik werden wir schon bald große Probleme haben“, sagte er. Wie die aussehen, konnte der Leiter der Friedensburg-Sekundarschule am eigenen Leibe kennenlernen. Aus Krankheitsgründen fehlte ihm plötzlich ein Mathematiklehrer. „Der dürfte kaum zu ersetzen sein“, sagte Schuknecht. Zwar werde es noch in dieser Woche eine weitere Einstellungsrunde geben. Um die beiden Mathematiklehrer, die dabei sein werden, würden sich aber gleich mehrere Schulen reißen. „Wenn es keinen anderen Weg gibt, um junge Fachkräfte in Berlin zu halten, sollte doch wieder über die Verbeamtung von Lehrern nachgedacht werden“, fordert Schuknecht. Das könne die Abwanderung von Pädagogen in andere Bundesländer stoppen. Viele würden Berlin verlassen, weil sie woanders sofort verbeamtet und besser bezahlt werden, so Schuknecht.

Das hat auch das Lessing-Gymnasium in Mitte zu spüren bekommen. Drei Mal hatte Schulleiter Michael Wüstenberg eine Zusage von Philosophie-Lehrern, und drei Mal haben die jungen Pädagogen kurz vor der Unterschrift abgesagt, um in einem anderen Bundesland zu unterrichten. „Am Ende der Woche werde ich mich nun das vierte Mal an einer Einstellungsrunde beteiligen“, sagte Wüstenberg.

Auch das Romain-Rolland-Gymnasium in Reinickendorf muss die Abwanderung eines jungen Kollegen nach Nordrhein-Westfalen verschmerzen. „Der Lehrer für Französisch und Geschichte hatte erst ein halbes Jahr vorher an unserer Schule ein exzellentes Examen gemacht. Auch bei seinen Schülern war er sehr beliebt“, sagte Schulleiter Rolf Völzke.

Lehrer frühzeitig eingestellt

An dem bilingualen Gymnasium in Reinickendorf hätte er eine unbefristete Stelle gehabt. „Doch die Verbeamtung ist einfach attraktiver, schließlich bleibt mehr Geld auf dem Konto“, so Völzke. Die Unterrichtsstunden dieses Kollegen könnten zum Schulstart andere Kollegen mit übernehmen. Viel schwieriger sei es hingegen, die noch offene Stelle für einen Lehrer mit der Fächerkombination Mathe-Physik zu besetzen. Völzke geht jedenfalls nicht davon aus, bei der noch ausstehenden Einstellungsrunde einen geeigneten Kandidaten zu finden.

Auch Reinald Fischer, Schulleiter der Liebig-Sekundarschule in Neukölln, hat wenig Hoffnung, seine noch offene Stelle für einen Informatik-Lehrer besetzen zu können. Für andere Fächer konnte er immerhin in den Ferien drei Lehrer einstellen. Im vergangenen Schuljahr hatte die Liebig-Schule im Neuköllner Brennpunkt für Schlagzeilen gesorgt. Weil dort viele Lehrer fehlten, fiel monatelang Unterricht aus. Schüler der achten Klassen bekamen in einigen Fächern auf dem Halbjahreszeugnis deshalb keine Noten. Im Vergleich dazu habe das neue Schuljahr wesentlich entspannter angefangen, sagte Schulleiter Fischer.

Ralf Treptow, Vorsitzender der Vereinigung der Berliner Schulleiter, bestätigte, dass die Personalausstattung an den Oberschulen zu Beginn dieses Schuljahres berlinweit besser ist als in den vergangenen Jahren. Die Bildungsverwaltung habe dieses Mal deutlich früher eingestellt, sagte er.

Treptow, der auch Schulleiter des Rosa-Luxemburg-Gymnasiums in Pankow ist, betonte allerdings, dass das größte Problem erst noch komme. Demnächst gebe es bundesweit eine erhebliche Pensionierungswelle bei den Lehrern. „Zwischen den Bundesländern wird deshalb ein Kampf um jeden Lehrer ausbrechen.“ Damit Berlin mithalten könne, werde die Frage der Verbeamtung immer drängender, sagte Treptow. Der Slogan „Arm aber sexy“ reiche nicht aus, um junge Lehrer an die Stadt zu binden.

Schulleiter Treptow hat kürzlich selbst erleben müssen, wie groß der Lehrermangel in einigen Fächern bereits ist. Am Rosa-Luxemburg-Gymnasium hatte sich kurz vor Schuljahresbeginn ein Mathematiklehrer für lange Zeit krank gemeldet. Treptow fand keinen Ersatz und musste deshalb vier Honorarkräfte einstellen, um den Mathematik-Unterricht abzudecken, darunter drei pensionierte Lehrer.

Förderstunden erneut gekürzt

Inge Hirschmann, Vorsitzende des Grundschulverbandes, sagte, dass die Personalausstattung der Grundschulen zwar besser geworden sei, aber längst nicht alle Schulen eine hundertprozentige Ausstattung hätten. Im Krankheitsfall dauere es viel zu lange, bis Ersatz komme. Da könne auch die sogenannte Lehrerfeuerwehr nicht schnell genug helfen.

Ein weiteres Problem sei die erneute Kürzung der Integrationsstunden, sagte Hirschmann. Förderbedürftige Kinder bekämen statt bisher 2,5 nur noch zwei zusätzliche Stunden pro Woche zuerkannt. In Neukölln sind es sogar nur noch 1,9 Wochenstunden. Diese Kürzungen seien angesichts der steigenden Zahl förderbedürftiger Kinder katastrophal. So sieht es auch Renate Lauzemis. Die Schulleiterin der Neuköllner Sonnen-Grundschule befürchtet, dass die etwa 20 Integrationskinder ihrer Schule nicht mehr ausreichend gefördert werden können