Jacqueline trägt Mieder mit Leopardenmuster und Minirock. Viel Busen und Bein ist da zu sehen. Auf manche Männer könnte die Bekleidung der 22-jährigen Studentin aufreizend wirken. „Ich weiß, dass ich sehr attraktiv aussehe, trotzdem darf mich keiner ohne meine Einwilligung anfassen“, sagt sie. Auf dem Plakat, dass sie hoch hält, steht dann auch: „Hübsch, sinnlich, sexy – Aber ich will keinen Sex.“
Jacqueline streitet auf dem ersten Berliner Slutwalk – zu Deutsch „Schlampenmarsch“ – für ihr Recht, sich anzuziehen wie sie will, ohne von Männern mit anzüglichen Sprüchen bombardiert zu werden.
Rund 1800 Menschen haben am Sonnabend mit einem Marsch vom Wittenbergplatz zum Gendarmenmarkt gegen sexuelle Gewalt demonstriert. In freizügiger Bekleidung kamen Frauen, Transvestiten und Männer, um sich gegen die Verharmlosung von Vergewaltigungen zu wehren. Bundesweit fanden in 13 Städten ähnliche Protestaktionen statt. Auch in der US-amerikanischen Hauptstadt Washington zog ein Slutwalk durch die Innenstadt.
Jacquelines Freundin Debora hat sich für den Slutwalk ebenfalls besonders freizügig gekleidet. Die 22 Jahre alte Studentin aus Charlottenburg trägt ein rotes Netzoberteil über dem spitzenverzierten BH und hochhackige Stiefel. Sie finde sich selbst „richtig heiß“, wenn sie sich so im Spiegel sehe, sagt Debora. Manchmal trägt die junge Frau ein derartiges Outfit auch beim Ausgehen. In der Straße, in der U-Bahn, überall hört sie dann sexistische Sprüche. „Die sind primitiv und demütigend. Als könnten die Männer ihre Triebe nicht an sich halten“, sagt sie. Einmal habe sie sich sogar gegen einen Vergewaltigungsversuch wehren müssen. Das war im Ruhrpott, wo Debora herkommt. „Ich habe geschrien und mich gewehrt. Zum Glück konnte ich fliehen“, erzählt sie. Als sie bei der Polizei Anzeige erstatten wollte, sei ihr jedoch nicht geglaubt worden. „Ich bin bis heute traumatisiert. Vor allem durch die Art, wie ich von der Polizei behandelt worden bin“, sagt Debora. Sie habe deshalb ihren Glauben daran verloren, dass dieses Rechtssystem sie vor sexueller Gewalt schützen könne.
Auf den Plakaten des Demonstrationszugs von Schöneberg nach Mitte stehen Sprüche wie: „Mein Kleid heißt nicht, dass ich Sex will“ oder „Ich habe nichts zum Anziehen, was mich vor Gewalt schützt“ oder „Stigmatisierung der Opfer ist sexuelle Gewalt.“
„Es handelt sich um ein gesellschaftliches Problem“, sagt die 33 Jahre alte Zitha aus Charlottenburg. Männer hätten Rollenbilder im Kopf, erzeugt durch Werbung und Filme, aber auch durch die Erziehung im Elternhaus. Ein Ziel der Slutwalk-Bewegung sei es deshalb, schon in der Schule richtig aufzuklären. Die Gesetze sollten verschärft werden, sagt Zitha. Am wichtigsten sei es jedoch, Frauen aus ihrer Opferrolle zu holen, fordert sie. Opfer sexueller Gewalt benötigten einen Schutzraum. Das sei nach dem Prozess um Wettermoderator Jörg Kachelmann und die Vorgänge um den ehemaligen Direktor des Internationalen Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn, wichtiger als je zuvor. „Frauen darf einfach nicht davon abgeraten werden, eine Vergewaltigung anzuzeigen“, sagt Zitha.
Auch Männer demonstrieren mit
Der erste Slutwalk fand am 3. April dieses Jahres im kanadischen Toronto auf dem Campus der York-University statt. Auslöser waren die Sicherheitshinweise von Polizisten in Toronto. Diese rieten den Studentinnen der kanadischen York-University, sich nicht wie „Schlampen“ zu kleiden, um nicht zu provozieren. Der Prostest, der daraufhin losbrach, richtete sich gegen die weit verbreitete Auffassung, dass Opfer sexueller Übergriffe selbst Schuld haben. 3000 Menschen nahmen an den Protesten teil. Seither fanden Slutwalk in Brasilien, Indien, Südkorea, Australien, Holland, Großbritannien, Schweden, Frankreich und in vielen anderen Ländern statt.
Am Berliner Slutwalk sind nicht nur Frauen beteiligt. Jakob etwa möchte nicht mit chauvinistischen Männern in einen Topf geworfen werden. Deshalb ist der Regisseur aus dem Wedding zum ersten Berliner Slutwalk gekommen. Und er findet: „Von sexueller Gewalt sind nicht nur Frauen betroffen.“ Er selbst sei einmal belästigt worden, von einem Taxifahrer. „Da hat es mir nichts geholfen, dass ich groß und kräftig bin.“ Letztlich, findet Jakob, helfe nur ein respektvoller Umgang miteinander gegen sexuelle Übergriffe – ganz unabhängig von Kleidung, Geschlecht oder sexueller Orientierung.