Brandstiftung

Neun Autos im Berliner Südwesten angezündet

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Hans H. Nibbrig und Leon Scherfig

Nicht nur in Berlin-Wedding und Friedrichshain brennen wieder Autos. Jetzt trifft es auch den Südwesten der Hauptstadt. Die Motive der Täter sind meist unklar und die Polizei ist machtlos.

Die Serie der Autobrände in Berlin hat einen neuen Höhepunkt erreicht. In der Nacht zu Donnerstag schlugen die bislang unbekannten Täter wieder einmal im Südwesten der Stadt zu. Ergebnis: In Steglitz und Zehlendorf gingen gleich neun Fahrzeuge in Flammen auf. Der Gesamtschaden der nächtlichen Attacke liegt nach ersten Erkenntnissen der Brandsachverständigen „deutlich“ im sechsstelligen Bereich. Da von einem politischen Motiv ausgegangen wird, hat der Polizeiliche Staatsschutz inzwischen die Ermittlungen übernommen.

Gepflegte Reihenhausatmosphäre und viel Grün bestimmen das Bild an der Bolchener Straße in Zehlendorf. Wer hier wohnt, weiß die Ruhe und das friedliche Miteinander zu schätzen. Die unschönen Seiten einer Metropole sind weit weg. Straßenkriminalität und Drogenproblematik in den Weddinger oder Neuköllner Problemkiezen oder politisch motivierte Gewalt in Mitte, Kreuzberg und Friedrichshain, das alles sind Dinge, die die Menschen im Südwesten Berlins überwiegend aus der Zeitung kennen. In der gutbürgerlichen Siedlung herrscht Idylle pur – normalerweise.

In der Nacht zu Donnerstag wird die Idylle abrupt unterbrochen. Es ist kurz vor Mitternacht, als sich einige Anwohner der Bolchener Straße inmitten eines Infernos wähnen. Wie aus dem nichts stehen plötzlich fünf an der Straße geparkte Autos in Flammen, drei Audi und zwei Mercedes. Die von den geschockten Anwohnern alarmierte Feuerwehr kann nicht mehr verhindern, dass zwei weitere in unmittelbarer Nähe abgestellte Wagen, ein Opel und ein Skoda, durch übergreifende Flammen stark beschädigt werden.

Der nächste Einsatz um 0.30 Uhr

Die Bolchener Straße bleibt in dieser Nacht nicht der einzige Anschlagsort in dem gutbürgerlichen Bezirk. Während in Zehlendorf die Löscharbeiten noch in vollem Gange sind, gibt es gegen 0.30 Uhr erneut Alarm: In der Gutsmuths- und der Hackerstraße in Steglitz brennen ebenfalls zwei Autos. Nur einen positiven Aspekt hat die Brandserie in Steglitz-Zehlendorf: Niemand wird verletzt.

An der Bolchener Straße riecht es noch am Donnerstag nach verbranntem Plastik und Metall. Die Blätter einer japanischen Kirschblüte, deren Krone über das Kopfsteinpflaster der Straße reicht, sind von den Flammen der Nacht angesengt. Unter dem Baum steht Dieter Wuest, einer der Augenzeugen der Brandanschläge. Voller Unverständnis schaut der Rentner auf das ausgebrannte Wrack der silbernen Audi-Limousine, die vor einigen Stunden noch in Flammen stand. Wuest guckt durch die zerbrochenen Fenster auf die hintere Sitzbank, auf der ein bunter Regenschirm und eine Einkaufstüte liegen. Wuest wohnt seit 50 Jahren in der Straße, aber so ein „Verbrechen“ ist ihm noch nicht untergekommen.

„Man liest ja jeden Tag etwas in der Zeitung, aber dass die Autos dann vor der eigenen Haustür brennen, damit rechnet man nicht“, empört sich der 72-Jährige. Wuest, der im ersten Stock eines angrenzenden Hauses wohnt, wird diese Nacht nicht mehr vergessen. „Es muss so gegen halb eins in der Nacht gewesen sein, da hörte ich in meiner Wohnung einen lauten Knall.“ Laut sei es gewesen, so, als ob jemand einen massiven Schrank von seinem Balkon geworfen habe, sagt er. Wuest schreckte aus seinem Bett, ging ans Fenster und öffnete die Jalousien: Draußen sah er ein paar Gestalten, die sich schnell von dem Auto entfernten.

Eine Nachbarin von Wuest will vier bis fünf junge Männer im Alter zwischen 20 und 30 Jahren gesehen haben, die Kapuzenpullover trugen und anscheinend von den brennenden Wagen flohen.

Ein Schock war die vorvergangene Nacht auch für Maximilian Behrend. Er erlebte die Löscharbeiten der Feuerwehr und den Polizeieinsatz, als er mit seiner Familie vom Flughafen zurückkehrte. „Wir hatten Freunde abgeholt, und als wir in unsere Straße einbogen, kamen uns schon die Einsatzwagen entgegen.“ Sofort schossen ihm Bilder durch den Kopf, er dachte an die Ausschreitungen in London, sagt der zwölfjährige Schüler. „Dass das hier passiert?“, fragt er und schüttelt verständnislos den Kopf.

Problemkieze sind doch nicht so weit entfernt

Vier der sechs zu Schaden gekommenen Fahrzeuge stehen auf den Parkplätzen neben dem Hans-Rosenthal-Haus, einem Gemeinschaftshaus für Senioren. Die Hecken sind hier sorgfältig geschnitten, auf einem blank geputzten blauen Schild steht: „Nur für Mieter Nr. 50–64“. Davor reihen sich zerstörte Autos aneinander, vier Karosserien: zwei silberne Mercedes (E200), ein Audi und ein roter Opel Corsa. Die Fahrzeughalter sind nicht vor Ort, eine Nachbarin sagt aber, dass zwei Besitzer der beschädigten Limousinen derzeit im Urlaub seien.

Glück gehabt in der Nacht hat Maria Molnarne. Die 67-Jährige schaut auf den kleinen Autofriedhof vor sich: „Beinahe hätte ich meinen Wagen gestern Abend auch hier abgestellt“, sagt die studierte Chemikerin. Sie habe noch das Fußballspiel im Fernsehen geschaut, da, plötzlich, bemerkte sie einen eigenartigen Geruch. „Ich wusste sofort, dass da etwas passiert war, schließlich habe ich mich früher mit Brand- und Gasexplosionen beschäftigt.“ Trotz dieser kühlen Analyse kann Molnarne die Geschehnisse der Nacht nicht fassen: „Ich dachte immer, diese Gegend wäre nicht gefährlich – aber das gibt es wohl nicht mehr.“

Dass die konfliktbeladenen Problemkieze der Innenstadt doch nicht ganz so weit entfernt sind, mussten vor den Anwohnern der Bolchener Straße auch schon Berliner in Dahlem, Wannsee, Westend oder Heiligensee erfahren. Auch dort brannte es in den vergangenen Monaten mehrfach, fast immer traf es hochwertige Fahrzeuge. Vor den Auto-Zündlern und „Feuer-Chaoten“, wie sie in einigen Medien längst heißen, sind inzwischen nicht einmal mehr die abgelegensten Stadtteile sicher.

112 politisch motivierte Taten mit knapp 200 betroffenen Fahrzeugen haben die Ermittler des Landeskriminalamts in diesem Jahr registriert. Dabei ist der Hintergrund nicht in allen Fällen restlos geklärt, oftmals deutet alles auf ein politisches Motiv hin, mit hundertprozentiger Sicherheit lässt sich das allerdings nicht immer sagen. Derzeit unterscheiden die zuständigen Fachdienststellen drei Gruppen von Taten: politische, unpolitische und Taten mit ausstehendem Klärungsbedarf. „Dabei scheint die letzte Gruppe inzwischen die größte zu sein“, bemerkt ein Beamter nach den neuerlichen Brandstiftungen mit bitterem Humor.

Ein absolut sicheres System zur Einordnung der Taten gebe es nicht, gibt Stefan Redlich, Dezernatsleiter beim Staatsschutz, zu. Als verlässliches Indiz gelten in aller Regel Selbstbezichtungsschreiben der Täter, aber von denen gab es in diesem Jahr lediglich sieben. Vier Mal ging es um die sogenannte Gentrifizierung, Luxussanierungen von Wohnhäusern mit tatsächlicher oder vermeintlicher Vertreibung angestammter Mieter.

Eine Tat stand im Zusammenhang mit Anti-Atom-Kampagnen, zweimal sollte gegen staatliche Gewalt protestiert werden, was immer auch damit gemeint war. „Als ein Autohaus von Citroën brannte, nannten die Täter Solidarität mit Griechenland als Motiv, weil die griechische Polizei Wagen von Citroën fährt“, beschreibt LKA-Ermittler Redlich die mitunter kruden Gedankengänge der Brandstifter.

Zündeln aus enttäuschter Liebe

Der Dezernatsleiter kennt eine Vielzahl anderer, nicht politischer Motive für Brandstiftungen. „Es gibt Menschen, die zünden aus enttäuschter Liebe Autos an, etwa, weil sie sich rächen wollen an der Ex-Frau oder dem Nebenbuhler“, erzählt Redlich. Weitere Motive seien zum Beispiel Versicherungsbetrug oder auch purer Vandalismus

Hinzu kommen nach Einschätzung szenekundiger Beamter immer mehr Nachahmungstäter. „Die merken, welche Aufmerksamkeit man mit solchen Zündeleien erregen kann und wie einfach es mitunter ist, ein Fahrzeug in Brand zu setzen, dann probieren sie es eben auch mal“, erklärt der Beamte. Häufig seien die Täter Jugendliche. Diejenigen, die gefasst werden konnten, sind dann nicht selten auch noch angetrunken.

Viele Ermittler geben unter der Hand zu, dass die Polizei mit ihrem derzeit vorhandenen Personal große Probleme hat, die Brandstifter effektiv zu bekämpfen. Auch Redlich räumt ein, dass nicht immer alles optimal läuft. „Aber“, sagt der Dezernatsleiter beim Staatsschutz, „wir sind gerade dabei, dass zu ändern.“