Nach zwei Jahren voller Negativ-Schlagzeilen gibt sich das S-Bahn-Management erstmals optimistisch: 2000 Radsätze wurden bereits ersetzt. Ende des Jahres könnten fast alle Züge wieder fahrplanmäßig fahren.

Um kurz nach 12 Uhr am Mittwochmittag macht Vorarbeiter Edwin Bruchno sein Kreuzchen bei der Nummer 481160-0. 500 dieser Nummern stehen auf dem großen Plakat in der S-Bahn-Werkstatt in Schöneweide. Sie stehen für die 500 Zwei-Wagen-Einheiten – sogenannte Viertelzüge – der modernsten, aber leider auch anfälligsten S-Bahn-Baureihe 481. „Viertelzug-Bingo“ heißt die Liste intern. Die Hälfte der Nummern ist schon angekreuzt. Eine der wenigen guten Nachrichten vom Tochterunternehmen der Deutschen Bahn, denn Gewinner bei diesem Bingo sind vor allem die Fahrgäste.

Bei jedem angekreuzten Viertelzug ist eines der Hauptprobleme, die seit mehr als zwei Jahren für Notfahrpläne, eingestellte Linien und genervte Kunden sorgen, gelöst. Viertelzug 481160-0 rollt nach der Endabnahme mit brandneuen Rädern und Achsen durch das Werkstor. Ein Fahrzeug mehr auf dem langen Weg der S-Bahn zurück zur Normalität.

Rückblende: Am 1. Mai 2009 entgleiste ein Zug der auch zahlenmäßig wichtigsten Baureihe am Bahnhof Kaulsdorf. Ursache war ein gebrochenes Rad. Es folgte die größte Krise der Unternehmensgeschichte, die bis heute anhält. Missmanagement, Schlampereien und gebrochene Versprechungen gegenüber der Aufsichtsbehörde flogen auf. Das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) reagierte mit strengen Sicherheitsauflagen. Das damalige S-Bahn-Management musste gehen, eine neue Geschäftsführung unter Peter Buchner wurde eingesetzt und musste sich mit immer neuen Technikproblemen auseinandersetzen. Jetzt, zwei Jahre später, gibt sich Buchner erstmals vorsichtig optimistisch. Ist das Ziel zu erreichen, am Ende dieses Jahres wieder den Normalfahrplan anzubieten, wenn auch mit teilweise verkürzten Zügen? „Zumindest haben wir keine Erkenntnisse, dass wir es nicht erreichen könnten“, sagt der S-Bahnchef.

Achsen bleiben anfällig für Risse

Die gute Nachricht lautet: Seit Dezember 2010 sind schon gut 2000 Radsätze und Achsen – Stückpreis etwa 65.000 Euro – an den 481er-Zügen gewechselt. In Schöneweide wurde für 300.000 Euro eigens eine neue Zug-Hebebock-Anlage gebaut. Bis Dezember sollen weitere 2000 Radsätze folgen. Das größte Tauschprogramm der Firmengeschichte wäre dann abgeschlossen. Viel mehr Züge als bisher könnten auf den Linien rollen, statt zur Überprüfung in der Werkstatt zu stehen. Die Radstege – vergleichbar mit Autofelgen – wurden bei den neuen Rädern von 13 auf 18 Millimeter verstärkt. Die bislang vom EBA verordneten kurzen Prüfintervalle sollen damit „erheblich verlängert“ werden, sagt Projektleiter Henning Oelze. Nach den Berechnungen müssten die neuen Räder zudem „dauerfest“ sein, das heißt, sie müssten erst wieder gewechselt werden, wenn sie ohnehin abgenutzt sind.

Keine Verbesserung bringen hingegen die neuen Achsen, wie Oelze bestätigt. Wie die alten Bauteile sind auch die neuen Radwellen aus hochfestem Spezialstahl hergestellt, der vergleichsweise rissanfällig ist und daher regelmäßig mit Ultraschallgeräten überprüft werden muss. Achsen aus normalem Stahl hätten dieses Problem nicht gehabt. Sie wären jedoch deutlich dicker und schwerer gewesen, erläutert der Projektleiter. Die gesamte Konstruktion der Zug-Drehgestelle samt Bremsanlagen hätte dafür geändert werden müssen – mit unabsehbaren Folgen. Unter anderem hätten die Züge eine neue Zulassung vom EBA benötigt.

Noch sind auch andere Probleme nicht gelöst. Seit Mitte dieses Jahres sollten 20 reaktivierte Viertelzüge der aus DDR-Konstruktion stammenden Baureihe 485 – bekannt als „Coladosen“ – die S-Bahn-Flotte verstärken. Bislang rollt jedoch erst eins dieser zuvor ausgemusterten Fahrzeuge, wie S-Bahnchef Buchner zugibt. An den im DB-Werk in Dessau aufgearbeiteten Zügen müssten die S-Bahner in Schöneweide noch viel nacharbeiten, heißt es.

Weitere Verbesserungen geplant

Weil das aufwendiger ist als die Wartung der aktuellen Flotte, müssen die reaktivierten „Coladosen“ einstweilen noch auf dem Abstellgleis auf ihren Einsatz warten.

Trotzdem gibt sich Buchner zuversichtlicher als zuletzt. Auch weil zwei andere Technikprobleme nun nach und nach gelöst werden. Heizungen, Füllstands- und Funktionsanzeiger für die Besandungsanlagen der Bremsen – eine Art ABS für Züge – werden ab August geliefert und eingebaut. Parallel läuft im Hinblick auf den nächsten Winter der Austausch der schneeanfälligen Motoren. „Den kompletten Tausch werden wir bis zum Winter nicht schaffen“, sagt Buchner. „Aber wir werden die Zuverlässigkeit erheblich verbessern.“

Im kommenden Jahr soll die Flotte dann möglichst wieder voll einsatzfähig sein. Die nächsten Verbesserungen sind schon geplant. Mit zusätzlichen Zügen sollen die Linie S1 verstärkt und die seit 2009 eingestellte S45 wieder in Betrieb genommen werden. Ein Datum dafür will die S-Bahn aber noch nicht nennen.