Wann genau ich zum ersten Mal vom Berliner Stadtschloss gehört habe, das weiß ich nicht mehr. Und ich erinnere mich auch nur noch dunkel an all die Phantomgestalten, die es in den letzten ein, zwei Jahrzehnten angenommen hat.
Mal hing das Schloss als ockergelbe Plastikfassade von einem Baugerüst herab. Dann bastelten die Feuilletons so lange daran herum, dass man versucht war, die Debatte selbst zum Prachtbau zu erklären. Und zwischendurch verwandelte sich das Schloss immer wieder in den Palast der Republik zurück, der in seinem braunmetallischen Glanz den Bauplatz besetzt hielt und auf seinen zähen und mühseligen Abriss wartete.
Die Infobox, Beglaubigung fürs Stadtschloss
Zuletzt wurde eine Rasenfläche ausgerollt, der man nach kurzem Zögern ebenfalls zutraute, das Preußenschloss würdig und womöglich sogar dauerhaft zu vertreten. Die Vorstellung, in wenigen Jahren könne ein Bauunternehmer die Angelegenheit übernehmen, erschien am Ende unwirklicher als all die Konzepte, Projektionen und Simulationen.
Nun also steht in Berlins Mitte eine riesige Infobox, deren einziger Zweck darin liegt, zu beglaubigen, dass es sich beim Stadtschloss eben nicht mehr um ein Gespinst handelt, dass die Zeit der Wünsche und Phantasmen vorbei ist, dass man jetzt zur Sache kommt, kurzum: dass es ernst wird.
Wer daran glauben will, der sollte den Fehler vermeiden, die Internetseite der Humboldt-Box zu besuchen. Der merkt man nämlich überdeutlich an, dass die letzte Vorstufe zum so heftig herbeigesehnten Humboldt-Forum von einer Neusser Firma namens Megaposter betrieben wird, die – wie ihr Name verheißt – sonst großformatige Werbeinstallationen anbietet.
Ein T-Shirt mit "Wilhelm & Alexander & Ich"
"Die Humboldt-Box: Berlins innovativster Austellungsort". Genau so steht es da, in fetten Lettern, und schon der fehlende Buchstabe im Wort "Ausstellung" weckt Zweifel daran, dass hier das Humboldtsche Bildungsideal zur Zwischenmiete einzieht.
Der Eintrag unter dem Menüpunkt "Konzept" ist dann so dicht mit Rechtschreibfehlern, Stilblüten und schlichtem Unsinn durchsetzt, dass man gar nicht umhinkann, diese Schlamperei als Teil des Konzepts zu begreifen. "Folgen Sie der Ausstrahlungskraft und der Einladung eines neuen kulturellen Satelliten, der für eine begrenzte Zeit in Berlins Mitte Halt macht" – so endet der Text in schiefer Astro-Metaphorik.
Durch solche Möbelhausparolen auf den Besuch der Ausstellung eingestimmt, gerät man fast in Versuchung, sich im Museumsshop des Infokastens ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Wilhelm & Alexander & Ich" zu kaufen und sogar die Bierkrüge mit Berlinmotiven als Teil jener "komplexen Themenvielfalt unserer Welt" zu betrachten, welche die Betreiber auf ihrer Seite ankündigen.
Ein aufgequollener Ochsenfrosch im Einmachglas
Das bleibt ein leeres Versprechen. Die außereuropäischen Schätze, deren neue Heimat das Stadtschloss dereinst werden soll, wirken in dieser als Miniaturmuseum getarnten PR-Installation wie Billigware in einem Souvenirshop.
Man bleibt hier vor einer Kwakiutl-Maske stehen, zieht dort ein Schubfach auf, das einem das chinesische Körperverständnis des 3. Jahrhunderts erläutert, man schnuppert an einer Röhre, aus der das Aroma von Mandarinenöl dringt, oder man versinkt in der Betrachtung eines aufgequollenen Ochsenfroschs in einem riesigen Einmachglas.
Interessant, die "Themenvielfalt unserer Welt" – aber hier eben auch nur so interessant wie "Peter Moosleitners interessantes Magazin". Allein der Metallhörer, durch den man das auf einer Wachswalze aufgezeichnete Morgenlied von Raden Mas Jodjana vernehmen kann, 1925 in Indonesien aufgezeichnet, schenkt kurze Erleuchtung – aber eben nur, weil er einen in Zeit und Raum so weit wegversetzt aus dieser Knoff-Hoff-Show.
2019 – die Jahreszahl klingt ferner denn je
Und das Schloss? "Durchblicken und Zeitzeuge sein", heißt es neben einem Sehschlitz. Man schaut hinaus auf das Baugelände neben der Infobox, wo ein Bagger behutsam an historischen Kellergemäuern herumschabt.
Mit dem Schlossbau hat das nichts zu tun, der beginnt laut Plan erst 2014, nebenan, wo noch die Wiese in der Sonne liegt. Sie sieht noch leerer aus als sonst, ein Gärtner dreht Runden mit einem Rasenmäher, an manchen Stellen blüht Klee. 2019, so heißt es, werde man hier die Eröffnung des Humboldt-Forums feiern. 2019 – die Jahreszahl klingt ferner denn je.