In Alt-Mitte wissen 140 Familien noch nicht, wo ihre Erstklässler eingeschult werden. Die zugewiesenen Schulen in den nördlichen Problem-Kiezen sind oft zu weit weg und bieten kaum interessante Projekte an.
Bei Familie Schultz aus Alt-Mitte herrscht momentan Ausnahmezustand. „Wir wissen noch immer nicht, an welcher Schule unser fünfjähriger Sohn Luis im August eingeschult werden wird“, sagt Martin Schultz. Gegen den Schulplatz an der Vineta-Grundschule in Gesundbrunnen, der ihnen vom Bezirk zugewiesen worden ist, haben die Schultzes Widerspruch eingelegt. Wenn der zurückgewiesen wird, wollen sie klagen.
Wie Familie Schultz geht es in Alt-Mitte vielen Eltern. Dort sind rund 140 Familien mit dem zugewiesenen Schulplatz nicht zufrieden oder wissen noch immer nicht, welche Schule für sie infrage kommt. Klar ist nur, dass sie ihre Kinder nicht an Schulen in Wedding oder Gesundbrunnen schicken, sondern eine Schule in unmittelbarer Wohnortnähe wollen.
Erweiterte Einzugsbereiche
Aus eben diesem Grund kritisieren sie die Sprengellösung, für die sich der Bezirk Mitte entschieden hat. Diese Lösung sieht vor, dass dem Kind nicht mehr allein die nächstgelegene Grundschule zugewiesen wird, sondern dass fünf wohnortnahe Grundschulen zur Auswahl stehen. Schulstadträtin Petra Schrader (Linkspartei) sagt dazu, dass man das Wahlrecht der Eltern auf diese Weise erweitern wolle. „Wir können die Eltern natürlich nicht zwingen, einen bestimmten Schulplatz anzunehmen“, fügt sie hinzu. Wenn den Familien die Angebote des Bezirks nicht zusagten, müssten sie sich selbst um Alternativen bemühen.
Schulplatznot herrscht aber auch in anderen Bezirken. In Friedrichshain-Kreuzberg macht Yilmaz Sanli jetzt die Erfahrung, dass er für seine Zwillinge Eren und Ersen keine geeignete Schule findet. Die beiden Siebenjährigen sind bisher auf die private Familienservice-Grundschule am Lützowplatz in Tiergarten gegangen, die aus finanziellen Gründen zum Ende des Schuljahres schließen muss. „Ich habe an zwölf Schulen in Kreuzberg nachgefragt, außerdem an zwei Grundschulen in Mitte. Ohne Erfolg“, sagt Sanli. Nun ist der Vater verzweifelt. „In wenigen Tagen beginnen die Ferien, und wir wissen nicht, an welcher Schule unsere Kinder künftig lernen werden“, sagt er. Die bezirkliche Schulaufsicht habe ihm mitgeteilt, dass sie auch nicht helfen könne. Einziger Ausweg bleibt für Sanli eine Privatschule. Doch auch an diesen Schulen sind Plätze inzwischen knapp.
Martin Schultz und seine Frau Christiane hatten ihren Sohn Luis an der Grundschule am Arkonaplatz angemeldet, weil die ihrer Wohnung am nächsten liegt. „Außerdem gefällt uns das Montessori-Konzept der Schule“, sagt Schultz. Sein Sohn habe bereits einen Montessori-Kindergarten besucht und sich dort sehr wohl gefühlt. „Wir haben uns deshalb für eine derartige Schule entschieden und sind extra in die Nähe des Arkonaplatzes gezogen“, sagt Schultz.
Was Familie Schultz nicht berücksichtigt hat, ist die Tatsache, dass die Grundschule am Arkonaplatz zu den übernachgefragten Grundschulen in Alt-Mitte gehört. Ebenso wie die Papageno-Grundschule und die Schule am Koppenplatz, die sie als Zweit- und Drittwunsch angegeben haben. Luis musste deshalb am Losverfahren teilnehmen und hatte kein Glück.
Bildungsstadträtin Schrader weiß um dieses Problem. Doch sie beruhigt die Eltern: „Insgesamt haben wir im Bezirk genug Plätze für die rund 2600 Erstklässler.“ Man werde alles tun, um den betroffenen 140 Familien zu helfen. Aus diesem Grund habe es am Mittwochabend eine Elternversammlung an der Gustav-Falke-Grundschule in Gesundbrunnen gegeben. Dort hätten sich neben dieser Schule auch die Heinrich-Seidel-Schule und die Vineta-Schule vorgestellt. Beide Schulen liegen in Gesundbrunnen an der Grenze zu Alt-Mitte und haben noch freie Plätze. Für Familie Schultz kommen sie dennoch nicht in Frage. „Dort gehen keine Kinder aus Alt-Mitte zur Schule“, sagt Martin Schultz. Das gleiche Argument hat auch Jens Gräfer. Er sagt, dass er seine Tochter an der Papageno-Grundschule angemeldet habe, weil diese Schule der Wohnung der Familie am nächsten liege. Außerdem gingen dorthin auch alle Freundinnen seiner Tochter. Zugewiesen wurde den Gräfers aber ein Platz an der Gustav-Falke-Schule. „Dagegen haben wir Widerspruch eingelegt“, sagt Gräfer.
Für Frank Knape (CDU), Vorsitzender des Schulausschusses der Bezirksverordneten-Versammlung Mitte, waren die Schulplatz-Probleme absehbar. „Wir weisen seit Jahren darauf hin, dass die meisten Familien auch dann in Alt-Mitte wohnen bleiben, wenn ihre Kinder zur Schule kommen“, sagt er. Deshalb hätte das Angebot an Schulplätzen ausgebaut werden müssen. Stattdessen seien in den vergangenen Jahren in Alt-Mitte mehrere Schulen geschlossen worden. „Das ist nun nicht mehr rückgängig zu machen.“
Bessere Angebote machen
Knape schlägt vor, dass künftig versucht wird, ganze Kita-Gruppen an einer bestimmten Grundschule anzumelden, wie das in Kreuzberg erfolgreich praktiziert wird. Auf diese Weise käme auch eine bessere Mischung der Schülerschaft zustande. Außerdem müssten sich viele Grundschulen in Wedding und Gesundbrunnen auf den Weg machen und interessante Angebote bereithalten. „Dazu gehört die Fachklasse an der Gustav-Falke-Schule, in der Kinder mit guten Deutschkenntnissen verstärkt naturwissenschaftlichen Unterricht erhalten“, sagt er. Attraktiv seien auch die Computer-Klasse sowie die Hochbegabtenförderung der Heinrich-Seidel-Schule. Nur derartige Angebote könnten Eltern aus Alt-Mitte überzeugen, ihre Kinder an einer Grundschule anzumelden, an der überwiegend Kinder mit Migrationshintergrund lernen.