Mehr als ein Jahr nach der Aufdeckung der Missbrauchsfälle am Berliner Canisius-Kolleg warten die Opfer noch immer auf Genugtuung. Die angebotenen 5000 Euro empfinden die meisten als unzureichend, doch der Jesuitenorden hält sich weiter bedeckt.
Ihre Fälle waren die ersten, die das Thema Missbrauch im Januar 2010 in Deutschland zuerst in die Schlagzeilen und dann auf die politische Agenda brachten: die Opfer, die zwei Jesuitenpatres in den 70er- und 80er-Jahren am Canisius-Kolleg in Berlin missbraucht hatten. Von Anfang an kämpfte eine Gruppe von etwa 40 Männern Ende 40 darum, vom Orden Genugtuung zu erhalten.
Bisher vergeblich. „Die Betroffenen der Jesuiten-Täter sind sprachlos, fassungslos, erschöpft, komplett bedient, wie mit ihnen umgegangen wird und was ihnen angeboten wurde“, sagt ein Opfer aus der Gruppe „Eckiger Tisch“, das anonym bleiben möchte.
Der Name der Gruppe soll den Gegensatz aufzeigen zum „Runden Tisch sexueller Missbrauch“, an dem die Bundesregierung alle möglichen Organisationen versammelt hat. Denn für die Jesuitenopfer gibt es ein klares Gegenüber: den Orden, der die Missetaten seiner Mitglieder jahrelang gedeckt und vertuscht hat.
Nun jedoch richten die Opfer ihre Hoffnung auf die Beauftragte der Bundesregierung, Christine Bergmann. Wenn ihre Empfehlungen umgesetzt werden, würde das für die Canisius-Opfer einen Ausweg und für die Jesuiten zusätzliche Zahlungen bedeuten.
Vertröstet vom Orden
Bisher haben viele schlechte Erfahrungen mit der Reaktion des Jesuitenordens gemacht. Ein Opfer hat beim Orden um die Übernahme von Therapiekosten nachgesucht, die es in seiner Not schon in früheren Jahren selber tragen musste, um mit Selbstekel, sexuellen Problemen und Schwierigkeiten in der Partnerschaft klarzukommen. Erst nachdem der Missbrauchsskandal ans Licht gekommen ist, konnte der Mann seine traumatischen Erlebnisse mit dem Jesuitenpater überhaupt einordnen.
Dabei hat der Orden jahrzehntelang gewusst, was der Ordensmann Hunderten von Jungen an sadistischer Gewalt angetan hat. Als der Pater sich 1991 laisieren ließ, legte er ein vollständiges Geständnis ab. Die Akten darüber liegen nach wie vor im Vatikan unter Verschluss.
Dennoch habe kein Vertreter des Ordens oder der katholischen Kirche ihm Hilfe angeboten, klagt das Opfer. Die Antworten der Jesuiten auf sein Hilfegesuch waren hinhaltend. Der frühere Provinzial Stefan Dartmann bat um Verständnis, dass er mit einer Entscheidung seinem Nachfolger Stefan Kiechle nicht vorgreifen könne. Der neue Mann an der Ordensspitze bat dann nochmals um „ein wenig Geduld“, weil die „internen Beratungen“ noch Zeit bräuchten. Zwei weitere Monate später bat Kiechle im Herbst 2010 wieder um Geduld, „wobei ich weiß, dass vermutlich auch für Sie die Sache drängend ist“. Seither hat das Opfer nichts mehr gehört vom Orden.
Es hat einige Monate gedauert, bis die katholische Kirche überhaupt sprechfähig geworden ist gegenüber den Opfern. Die Jesuiten verwiesen auf eine gemeinsame Lösung, die mit anderen kirchlichen Institutionen angestrebt wurde. Im vergangenen Herbst haben sich die Bischofskonferenz und die Ordensgemeinschaften dann geeinigt und eine Kommission eingerichtet. Hierher können sich Opfer katholischer Kirchenmänner wenden und eine Anerkennungszahlung von 5000 Euro beantragen. Die meisten der Canisius-Opfer haben diese Summe ausgeschlagen, weil sie nicht im Ansatz ausreiche, um ihre Leiden zu lindern.
Finanzielle Hilfen für Opfer
Der Sprecher der Jesuiten, Thomas Busch, sagte, es hätten sich seit vergangenem Herbst 50 der bisher offiziell bekannten rund 200 Missbrauchsopfer aus jesuitischen Einrichtungen bei der Kommission gemeldet. In zehn Fällen sei die Auszahlung bewilligt worden, die Betroffenen müssten demnächst Geld bekommen. Zurückliegende Therapien übernehme der Orden jedoch nicht. Und akute psychologische Hilfen würden „in wenigen Einzelfällen“ finanziert, wenn die Krankenkassen diese nicht übernehmen.
Was nun die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Christine Bergmann, vorgeschlagen hat, findet bei der Gruppe Eckiger Tisch Beifall. Sie empfiehlt finanzielle Hilfen für Opfer, Entschädigungen in Höhe möglicher Schmerzensgelder auch für bereits verjährte Fälle sowie unabhängige Gremien, die über Ansprüche entscheiden sollen.
„Frau Bergmann weist einen Ausweg zu einer fairen Lösung“, sagte Matthias Katsch, Sprecher der Gruppe der Jesuiten-Opfer. Sie beschreibe ein Verfahren, wie Entschädigungen transparent, nachvollziehbar und gerecht durch ein unabhängiges Gremium individuell akzeptabel festgelegt werden könnten.
Tür auf für höhere Leistungen
„Das Hauptproblem mit dem Angebot der Jesuiten ist doch das Verfahren“, sagte Katsch. Der Orden entscheide allein und „nach Gutsherrenart“, wer wie viel bekomme. Bisher sei das Vorgehen des Ordens „intransparent und typisch katholische Kirche, wo niemand durchblickt“, sagte Katsch. Dabei sei es für die Täterorganisation angebracht, die Regelung von Ansprüchen Geschädigter an unabhängige Stellen zu delegieren, um wieder glaubwürdig zu werden.
Bergmanns Vorschlag habe die „Tür aufgemacht zu höheren Leistungen“, indem sie auch für juristisch verjährte Fälle Entschädigungen in Höhe möglicher Schmerzensgelder empfiehlt. Katsch sagte, am Ende gehe es nicht darum, ob die Opfer nun 5000 Euro bekommen oder über 80.000, wie der Eckige Tisch fordert. „Die Frage ist, ob sich die Opfer am Ende gerecht behandelt fühlen und die Sache befriedet wird.“ Er hoffe, dass sich die katholische Kirche dem Vorschlag nicht verweigere. Das könnte für den Orden erhebliche Mehrkosten bedeuten, denn die Schmerzensgeldtabelle reicht von 1500 bis 50.000 Euro pro Fall.
Der Jesuitenorden reagierte am Dienstag jedoch zurückhaltend, obgleich Sprecher Busch einräumte, dass die angebotenen 5000 Euro „ganz deutlich“ hinter möglichen Schmerzensgeldern zurückblieben. Dabei solle es sich jedoch auch nicht um eine „Entschädigung“ für erlittenes Unrecht handeln. Die Zahlung sei „eine Geste, ein Signal, und unbefriedigend“. Einen Rechtsanspruch auf Schmerzensgeld gebe es jedoch nicht, sagt der Ordenssprecher.
Tatsächlich hat Bergmann vorgeschlagen, dass die jeweiligen Organisationen diese Entschädigung auf freiwilliger Basis zahlen sollten. Ob die katholische Kirche in den nun anstehenden Debatten am Runden Tisch diese Regelung mitträgt, ist offen. Die Kirche sei mit ihrem Angebot über die 5000 Euro bereits in die Vorhand gegangen, um schon vor einer Entscheidung des Runden Tisches zu handeln. Länger zu warten, das sei „unseren Opfern“ nicht zuzumuten, sagte der Ordenssprecher.