Kino-Legende

Im Zoo-Palast hebt sich der letzte Vorhang

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Alexander Krex und Brigitte Schmiemann

Das Berliner Traditionskino Zoo-Palast schließt - für zwei Jahre. Es wird saniert, Teile der traditionsreichen Einrichtung bleiben aber erhalten.

In der Nacht zu Donnerstag um 1.28 Uhr wird das Licht in Kino 1 wieder angeschaltet. Julia Böhm wird auf 1070 Sessel blicken. Sie wird ein letztes Mal durch die Sitzreihen gehen, Flaschen einsammeln, Popcorn wegfegen, Käsesauce beseitigen. Dann ist erst einmal Schluss. Keine Besucher mehr, keine Karten, keine Premieren. Der Zoo-Palast schließt.

Das Traditionskino an der Hardenbergstraße wird im Zuge der Umbauten des Bikinihauses saniert. Zusammen mit Joe’s Wirtshaus gleich nebenan ist es der letzte Mieter. In zwei Jahren soll der Zoo-Palast wieder öffnen. Dann unter der Regie von Unternehmer Hans-Joachim Flebbe. Der hatte im Oktober angekündigt, das Haus zu übernehmen. Aktuell wird es von der UCI Kinowelt betrieben. Teile der Innenausstattung des Zoo-Palastes werden nach Auskunft einer Sprecherin des Eigentümers im Sinne des Denkmalschutzes in das neue Kinokonzept integriert. Darüber hinaus würden Teile des Inventars verkauft und versteigert.

Der Zoo-Palast war lange ein Synonym für Glamour. Wer den Namen des Berlinale-Kinos hörte, dachte sich den roten Teppich gleich dazu. Der wurde oft vor dem Eingang ausgerollt, Weltstars schritten darüber: Madonna, Jodie Foster, Tom Hanks, James Stewart und Steven Spielberg. Selbst Walt Disney gab sich hier die Ehre.

Die Liebe der Berliner ist noch da

Das Kino werde noch immer sehr geliebt, sagt Julia Böhm. „Obwohl es an manchen Ecken nicht mehr so schön ist.“ Oder vielleicht gerade deswegen. Mit seinem messinglastigen Foyer wirkt der Zoo-Palast wie ein charismatischer Oldtimer zwischen den immer gleichen Multiplexen in der Stadt. Viele Besucher wissen gar nicht, dass eine zweijährige Zwangspause ansteht. Nur ein älterer Mann habe sich in letzter Zeit danach erkundigt, erzählt Kartenabreißer Vito.

Aufgeben wollte die UCI den berühmten Zoo-Palast nicht. Gerne hätte sie den Neuanfang im Bikinihaus mitgemacht, auch mit eigenen Investitionen. „Der Hauseigentümer hat aber auf unser Angebot vom März gar nicht reagiert – trotz langjähriger verlässlicher Mietzahlungen“, sagte gestern Geschäftsführer Ralf Schilling. Es sei bedauerlich, den Zoo-Palast, den UCI seit 1994 betreibt, zu verlieren. Von der Unterschrift des Nachfolgers Flebbe sei er selbst überrascht worden, sagte Schilling. Das Angebot von UCI, wenigstens bis zur Berlinale im Februar zu spielen, sei wegen des Bauplans abgelehnt worden. Von den 60 Mitarbeitern hätten rund zehn langjährige die Möglichkeit wahrgenommen, in anderen UCI-Kinos zu arbeiten. Der Hauptteil der Beschäftigten sei abgefunden worden.

Julia Böhme hat schon einen neuen Job im Solarium. Böhme ist 25 und studiert Unternehmensmanagement. Seit zweieinhalb Jahren jobbt sie 20 Stunden pro Woche im Zoo-Palast, verkauft Karten, reißt Karten ab und räumt nach den Vorstellungen die Kinosäle auf. Sie hatte schon viele Arbeitsplätze, den Zoo-Palast wird sie besonders vermissen. „Das war der beste Arbeitsplatz, den ich je hatte“, sagt sie. Das liegt vor allem an den netten Kollegen. Im Solarium ist sie oft allein mit der Langeweile.

Wer auch immer Julia Böhmes Job in zwei Jahren übernimmt, er wird nicht mehr auf 1070 Sessel nach Popcornresten suchen müssen. Denn nach den bisherigen Planungen soll der Saal 1 des Zoo-Palastes künftig nur noch rund 850 Plätze haben. Für diese Mindestgröße hatten Denkmalschützer und Bezirk lange gestritten. Erhalten bleibt auch Saal 4. Der Zoo-Palast steht unter Denkmalschutz. Das Zwischengebäude, das den Zoo-Palast mit dem Hochhaus am Hardenbergplatz verbindet, wird im Zuge des Umbaus abgebrochen. An dieser Stelle werden neben den vier Kinosälen im Gebäude des Zoo-Palastes drei neue Kinosäle errichtet und in das Gesamtkonzept integriert. Die Abbrucharbeiten am Zwischengebäude sollen Mitte Februar beginnen.

Alle Mieter sind weg, nur Joe bleibt

Viele Mieter sind schon fort. Nur Joe’s Wirtshaus bleibt, wie der Zoo-Palast, bis zuletzt. Inhaber Detlef Joe Gerhardt ist der letzte Mieter im Bikinihaus-Komplex. Er macht sogar noch zwei Tage länger als das Kino nebenan. „Wir feiern noch Silvester mit unseren Gästen“, sagt Gerhardt. Das Wirtshaus führt er seit 15 Jahren. Dass es Ende des Jahres vorbei ist, stört ihn nicht sehr. Neun Berliner Gaststätten hat Gerhardt in seinem Leben geleitet. Heute ist er 70 Jahre alt und kann zufrieden in den Ruhestand gehen.

Offizieller Baustart für das Projekt „Bikini Berlin“ war Anfang Dezember. Die Münchner Eigentümer des ehemaligen Zoobogens an der Budapester Straße, die Bayerische Hausbau, hatten das denkmalgeschützte Ensemble bereits 2002 gekauft. Für rund 180 Millionen Euro. Das Gebäudeensemble reicht vom 63 Meter hohen Hochhaus am Hardenbergplatz über den Zoo-Palast, das Bikinihaus und das kleine Hochhaus bis hin zur Blauen Kugel, die gerade demontiert wird, damit sie im Filmpark Babelsberg wieder aufgebaut wird. 100 Millionen Euro will die Bayerische Hausbau in den Umbau der 50er-Jahre-Bauten gleich gegenüber der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche stecken und den Standort zu einer angesagten neuen Berliner Freizeit- und Shoppingadresse entwickeln. Restaurants, ein Hotel, Apartments, Büros sind genauso vorgesehen wie ausgefallene Läden und Kinos.

„Der große Saal des Zoo-Palastes ist in Europa einzigartig. Ich hoffe, dass die neuen Eigentümer die Potenziale dieses Juwels erkennen“, sagt Diplom-Dokumentarin und Fotografin Christine Kisorsy, die sechs Jahre für ihren Bildband „Kino-Magie – Zoo Palast Berlin“ (Verlag Bertz + Fischer, 17,90 Euro) gearbeitet hat.

Wie das „Cinema Paradiso“

Julia Böhme wird sich den neuen Zoo-Palast mit Sicherheit angucken. Viele Erinnerungen hat sie an das Kino, lange bevor sie hier jobbte. Mit ihren Eltern hat sie hier „Evita“ gesehen, mit Madonna in der Hauptrolle und einer Lasershow vorweg. „Das gab es nur im Kino 1 im Zoo-Palast.“

Weil viele Mitarbeiter ähnliche Erinnerungen haben, verlief die Abschiedsfeier am 20. Dezember nicht ohne Wehmut. An diesem Tag fiel die Spätvorstellung aus. Stattdessen konnten sich UCI-Mitarbeiter einen Kinofilm über das Kino ansehen. In Saal 4 lief „Cinema Paradiso“, das Werk des italienischen Regisseurs Giuseppe Tornatore über das Ende eines kleinen Provinzkinos. 150 waren da, ein großes Büfett und ein DJ.

Eine tolle Party, sagen die Mitarbeiter. Theaterleiterin Katja Sievert hielt eine kurze Rede, im Anschluss erzählten altgediente Kollegen Anekdoten aus den zurückliegenden 16 Jahren, in denen der Zoo-Palast zur UCI-Gruppe gehört.

Besonders gerne machen sich Kinomitarbeiter übrigens über die holprige Aussprache mancher Besucher beim Kartenkauf lustig, wenn es um englische Filmtitel geht. Nun wird sich der Verkäufer kein Lachen verkneifen müssen. Der Film, der um 1.28 Uhr endet, trägt den eingedeutschten Titel „Meine Frau, unsere Kinder und ich“. Doch das Staraufgebot ist dem Zoo-Palast würdig. Es treten auf: Robert De Niro, Dustin Hoffman, Barbra Streisand und Ben Stiller.