Wenn die Ampel an der Kreuzung unter dem Görlitzer Bahnhof auf Grün schaltet, ist der neue Aufkleber gut ausgeleuchtet. Kreuzberger, denen die Touristenströme offensichtlich zu viel geworden sind, haben ihn direkt neben das grüne Licht geklebt. Berlin steht auf dem Sticker, dazu ein durchgestrichenes Herz und ein U. Die Botschaft versteht jeder, egal ob er Deutsch, Spanisch, Französisch oder Schwedisch spricht: Berlin liebt dich nicht.
Antje Bergt, eine junge Mutter aus Kreuzberg, weiß, warum ihn "Touristen-Hasser" dort angebracht haben. Sie wohnt an der Wiener Straße und sieht den Touristen-Ansturm auf ihren Kiez in der jüngsten Vergangenheit sehr kritisch. Nachts sei es wegen der feiernden Berlin-Besucher oft unerträglich laut, Kreuzberg werde zu einer 24-Stunden-Partymeile. „Und tagsüber kann ich nicht mehr mit meinen Kindern über die Straße laufen, überall liegen Flaschenscherben auf dem Boden, ich habe Angst, dass sie hineintreten“, sagt sie. Immer mehr Kneipen hätten sich angesiedelt, der nächste Gemüsehändler sei dafür nicht mehr zu Fuß erreichbar. „In Kreuzberg denkt jeder, er kann die Sau rauslassen“, sagt auch der Kreuzberger Sem Dunisch. Er wundert sich nicht über die Aufkleber, die neuerdings an vielen Stellen in dem Ortsteil zu sehen sind. Viele Touristen „wissen sich einfach nicht zu benehmen“, findet der 46-Jährige.
Touristen kommen in Scharen
Obwohl es in Kreuzberg keine Sehenswürdigkeit gibt, die mit dem Brandenburger Tor oder dem Charlottenburger Schloss vergleichbar wäre, kommen die Touristen in Scharen. Sie wollen das kreative Flair im Kiez genießen und sie gehen gern auch mal feiern. Im Wrangelkiez hinter dem Schlesischen Tor ärgert man sich über den ausufernden Partytourismus.
Linda Kieswetter ist aus Wuppertal nach Berlin bereist. Sie ist von den Kreuzbergern enttäuscht. Die hatte sich die 29-Jährige toleranter vorgestellt. Sie steht am Schlesischen Tor, als sie einen der Aufkleber entdeckt. Natürlich ist auch sie nach Berlin gekommen, um Spaß zu haben. Die Ablehnung findet sie merkwürdig. „Die Berliner profitieren doch von uns“, sagt sie. Ohne die Touristen wären viele Clubs, Theater, Opern oder Museen weniger gut besucht.
Senat will mehr Übernachtungen
Obwohl die Tourismuszahlen in Berlin im März im Vergleich zum Vorjahr um 1,3 Prozent zurückgegangen sind, kamen insgesamt 4,4 Prozent mehr Gäste in den ersten drei Monaten nach Berlin als noch im vergangenen Jahr. Die Hostels und die von privater Hand an Touristen vermieteten Wohnungen sind ausgebucht, vom kurzzeitigen Rückgang der Touristenzahlen im März wegen der späten Osterferien hat hier keiner etwas gemerkt.
Und es sollen noch mehr Touristen kommen. Obwohl die Beschwerden auch in Vierteln wie Friedrichshain, Prenzlauer Berg und Mitte nicht abreißen, will der Berliner Senat künftig noch mehr Besucher anlocken. Bis 2020 sollen statt derzeit 20 Millionen Übernachtungen 30 Millionen Übernachtungen jährlich gebucht werden, so das erklärte Ziel. Deshalb vermutet ein älterer Herr, der schon vor der Wende in Kreuzberg lebte: „Die Aufkleber richten sich vielleicht gegen die Kampagne des Berliner Senats.“ Mit einer Werbekampagne will der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) weitere Touristen in die Hauptstadt locken. „Wahrscheinlich sollen die Aufkleber sagen, dass Besucher in Kreuzberg gar nicht erwünscht sind“, sagt der Mann. Auf jeden Fall seien die Aufkleber von Menschen angebracht worden, die der Stadt schaden wollten.
Angst vor Verdrängung
Der Tourismus ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für Berlin. Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sind nach Einschätzung von Bezirksbürgermeister Frank Schulz die meisten Gastronomen vom Tourismus abhängig. Der Grünen-Politiker will eine Eskalation des Konflikts vermeiden. Er hat einen runden Tisch mit den Anwohnern eingerichtet. „Hinter der Angst steckt die Sorge der Anwohner, aus dem Gebiet verdrängt zu werden“, sagt Schulz. Ebenfalls bangen die Kreuzberger um die Lebensqualität in ihren Kiezen. „Die treffen oft auf Müll, Lärm aus Schankvorgärten, zudem sind wegen der Tische auf der Straße die Bürgersteige streckenweise nicht passierbar.“ Und die vielen Schnellimbiss-Buden, die hier eröffnen, könnten doch auch den Touristen nicht gefallen. „Die Anwohner meinen, dass die Touristen das zerstören, weswegen sie herkommen“, sagt Dirk Behrendt, Grünen-Abgeordneter aus dem Wahlkreis Kreuzberg. Die Grünen-Politiker haben mit den Anwohnern Lösungen erörtert. Schankvorgärten sollen künftig auf dem Asphalt markiert werden, Spätkaufbetreiber könnten in die Abfallbeseitigung mit einbezogen werden. In Hostels sollen Schilder dazu auffordern, Rücksicht auf die Anwohner zu nehmen. Neue Hostels, die mehr als hundert Betten haben, werden vom Bezirk nicht genehmigt.
Provinzialität passt nicht zu Berlin
Auch die Marketinggesellschaft VisitBerlin kennt das Problem der Partytouristen. „Wir arbeiten mit Autoren von Reiseführern zusammen, schlagen ihnen neue Orte in Berlin vor, so dass nicht jeder den gleichen Spot empfiehlt“, sagt der Geschäftsführer Burkhard Kieker. „Bierbikes“ würde Kieker am liebsten verbieten, auch frühere Schlusszeiten an öffentlichen Partyplätzen hält er für möglich.
Allerdings mahnt Kieker die Kreuzberger zur Ruhe. „Man kann nicht die Vorteile einer Großstadt wollen, ohne Veränderungen in Kauf zu nehmen.“ Touristen auf Aufklebern pauschal zu verurteilen, sei diskriminierend und passe nicht zum toleranten Kreuzberg. Die zunehmende Bürgerlichkeit dort dürfe nicht in Provinzialität umkippen.