Gewalt von links ist nicht nur in Berlin ein Thema. Auch in Hamburg brennen Autos, werden Polizeiwachen angegriffen. Im Interview mit Morgenpost Online erklären die Innensenatoren der beiden Stadtstaaten, Christoph Ahlhaus (CDU) aus Hamburg und Ehrhart Körting (SPD) aus Berlin, wie sie gemeinsam gegen gewalttätige Linksextremisten vorgehen wollen.
Morgenpost Online: Herr Senator Körting, Herr Senator Ahlhaus, haben Sie Angst, Ihr Auto in Berlin und Hamburg zu parken?
Ehrhart Körting: Ich habe keine Angst. Aber ich verstehe, dass Menschen beunruhigt sind angesichts der Zahl der Brandanschläge.
Christoph Ahlhaus: Die Zahlen sind alarmierend, aber das Risiko, tatsächlich geschädigt zu werden, ist gering. Ich ängstige mich nicht.
Ehrhart Körting: Wie viele Brandanschläge waren es jeweils bei Ihnen, wie hoch ist der Anteil der Linksextremisten?
Körting: Bei circa der Hälfte der Autos vermuten wir einen politischen Hintergrund. Die Einfachheit der Tatbegehung führt offenbar dazu, dass diejenigen jetzt Autos abbrennen, die bisher aus Vandalismus Brände etwa an Mülltonnen gelegt haben. Dieses Jahr hatten wir bis jetzt 143 von uns als linksextremistisch eingestufte Brandanschläge, bei denen rund 290 Fahrzeuge beschädigt wurden.
Ahlhaus: In Hamburg haben wir 138 Brandstiftungen und 216 beschädigte Fahrzeuge. Im Vergleich: 2008 hatten wir 108 Brandstiftungen. Im Gegensatz zu Berlin sehen wir den Anteil von politisch motivierter Kriminalität aber lediglich bei 20 Prozent. In Berlin brennen eher Luxuskarossen, in Hamburg brennt schon einmal ein Opel Kadett, Baujahr 1982. Ein Problem ist, dass jugendliche Täter verstärkt aus Frust handeln – ohne gezielten politischen Hintergrund. Neben diesem Vandalismus haben wir auch Trittbrettfahrer oder Versicherungsbetrüger.
Morgenpost Online: Bisher wurde kaum ein Täter verurteilt. Für die Bürger entsteht der Eindruck rechtsfreier Räume, in denen ihr Eigentum nicht geschützt wird. Bilden sich No-go-Areas?
Ahlhaus: Wir wollen nichts beschönigen, aber No-go-Areas gibt es nicht. Angesichts von mehr als 700.000 zugelassenen Pkw in Hamburg kann man auch nicht von einem Massenphänomen sprechen.
Körting: Die Polizei ist jede Nacht mit einem zwei- bis dreistelligen Aufgebot von Zivilpolizisten unterwegs. Doch wenn der Reifen brennt, sind die Täter lange weg. Zusätzlich erschwert uns, dass es in der linksextremistischen Szene keine Organisation gibt, die die Taten verübt. Dort entsteht aber klammheimliche Freude, wenn ein kleines Grüppchen nach dem Kneipenbesuch beschließt, ein Auto anzuzünden. Dieses spontane Vorgehen von Einzelnen macht die Ermittlungen so schwierig für die Polizei.
Morgenpost Online: Gibt es eine neue linke Militanz?
Ahlhaus: Die Militanz ist in dieser Qualität und Quantität neu. Polizisten werden mit einer höheren Brutalität angegriffen, wie kürzlich etwa das Polizei-Kommissariat im Schanzenviertel. Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen jetzt an sich gezogen. Hier plädiere ich ganz klar für höhere Strafen bei Angriffen auf Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte. Abschreckende Maßnahmen des Staates sind das eine. Nötig sind aber auch eindeutige Signale aus der Gesellschaft, dass die Bürger hinter ihren Polizeibeamten stehen.
Körting: Wir haben seit dem G-8-Gipfel in Heiligendamm vor zwei Jahren eine höhere Gewaltbereitschaft. Das betrifft etwa 2000 Personen hier in Berlin, die wir der linksextremistischen Szene zuordnen. Aber wir sollten uns davor hüten zu glauben, das sei nur ein Problem von Berlin und Hamburg. Wir haben auch extremistisch begründete Brände in Göttingen und anderswo. In kleineren Städten funktioniert die gesellschaftliche und soziale Kontrolle jedoch besser.
Morgenpost Online: Sollte die Justiz härter bestrafen?
Körting: Wir müssen keine neuen Gesetze schaffen, sondern die vorhandenen konsequent nutzen. Das tut die Justiz in Berlin. Alle Verurteilungen der Taten dieses Ersten Mai sind ein Sprung nach vorn. Selbst die Richter aus der 68er-Generation, die früher Verständnis für junge Straftäter hatten, erkennen, dass die Leute, die Steine werfen, schwere Straftaten begehen. Falls Sie nach den Ursachen fragen, es gibt viele. Ich kann nicht verhindern, dass viele Menschen das Gefühl haben, dass es in dieser Gesellschaft nicht mehr gerecht zugeht. Die Bankenkrise hat gezeigt, dass die Schere zwischen Arm und Reich größer wurde. Und was da jetzt bei der Steuergesetzgebung von der Regierung geplant wird, ist Wasser auf die Mühlen des Extremismus.
Morgenpost Online: Herr Ahlhaus, Ihre Partei und der FDP-Regierungspartner im Bund sind eine Ursache für die Gewalt?
Ahlhaus: Das ist Unsinn. So habe ich den Kollegen Körting aber auch nicht verstanden. Eine gewaltbereite linksautonome Szene hat es immer gegeben – egal wer gerade die Regierung gestellt hat. Linksextreme Gewalttäter scheren sich auch nicht um Rot-Rot oder Rot-Grün.
Morgenpost Online: Die Hausbesetzerszene rechtfertigt die Gewalt mit Widerstand gegen die angebliche Verdrängung armer Leute durch wohlhabende Zuzügler.
Körting: Das wird von einem Teil der linksextremistischen Szene als Popanz gesehen. Ich kann die Vertreibung großer Teile der Bevölkerung aus bestimmten Kiezen nicht erkennen. Ich möchte ein sozial ausgewogenes Verhältnis in den Stadtteilen behalten. Die Alternative wäre die Verelendung ganzer Viertel – das kann niemand wollen.
Ahlhaus: Wir haben eine professionelle und vielfältige Stadtentwicklung. Hamburg lebt, die Stadt entwickelt sich, ein Ausgleich der Interessen der verschiedensten Gruppen findet statt. Dagegen hat die autonome Szene etwas, wie gegen viele andere demokratische Werte auch. Und wir haben gewaltorientierte junge Menschen, die sich bei bestimmten Ereignissen mit den Extremisten solidarisieren. Das reicht zum Teil bis in die bürgerlichen Schichten.
Körting: Eine Solidarisierung des Bürgertums mit den Straftaten der autonomen Szene lässt sich in Berlin nicht feststellen. Aber Brandanschläge werden durch Begriffe wie „Abfackeln“ verniedlicht. Teile der linksextremistischen Szene, die solche Taten wie in Hamburg begehen, sind nicht besser als Neonazis. Dahinter steht die gleiche Menschenverachtung. Es macht keinen Unterschied, ob ein rechter oder linker Stiefel ins Gesicht tritt. Deshalb habe ich auch das Zitat des einstigen SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher verwendet mit den rot lackierten Faschisten.
Morgenpost Online: Was sagen Sie zur Juso-Chefin Franziska Drohsel, die an einer Solidaritätsdemo für die „militante Gruppe“ (mg) teilnahm? Mitglieder wurden wegen versuchter Brandanschläge auf Bundeswehrfahrzeuge verurteilt.
Körting: Frau Drohsel wollte gegen den auch von etlichen Juristen als problematisch angesehenen Anti-Terror-Paragrafen 129a demonstrieren. Aber man sollte sich nicht mit den falschen Leuten in eine Reihe stellen. Die Linken-Bundestagsabgeordnete Inge Höger hat Verbrechen der „mg“ gerechtfertigt. Das habe ich deutlich kritisiert.
Morgenpost Online: Herr Ahlhaus, haben Sie dafür das geringste Verständnis?
Ahlhaus: Wer mit Extremisten, gleich welcher Couleur, gemeinsame Sache macht, verabschiedet sich aus dem Konsens der Demokraten.
Morgenpost Online: Müssen bestimmte Straßenzüge durch Videokameras überwacht werden, damit man sicher parken kann ?
Körting: Gäbe es in Berlin eine Straße, in der sich die Straftaten häufen, könnte man nach geltender Rechtslage eine temporäre Videoüberwachung anordnen. Das ist aber nicht der Fall. Eine Videoüberwachung von 5000 Kilometer Straßenland wäre absurd. Die Polizei könnte die Fülle der Informationen gar nicht auswerten.
Ahlhaus: Brandanschläge auf Kraftfahrzeuge werden im gesamten Hamburger Stadtgebiet verübt. Man kann nicht ein so großes Gebiet komplett videoüberwachen.
Morgenpost Online: Die RAF begann mit Brandanschlägen. Nun nimmt die linksextreme Gewalt zu – entsteht Vergleichbares?
Körting: Ich warne vor einer falschen Dämonisierung. Das wertet Kleinstgruppen in einer Art und Weise auf, die sie nicht verdienen.
Ahlhaus: Der Verfassungsschutz hat überhaupt keine Anhaltspunkte dafür, dass eine neue RAF entsteht. Die Qualität linksextremer Gewalt, der Organisationsgrad der Täter und deren Militanz sind damit nicht vergleichbar.