Ob in der Spandauer Vorstadt, entlang der Spree oder rund um den Alexanderplatz – seit dem Mauerfall wurde in Berlin so viel gebaut, dass selbst Fachleute mitunter Probleme haben, Gebäude bestimmten Architekten zuzuordnen. Hier ein neues Townhouse, dort ein Mehrgenerationenhaus oder auch mal ein Hochhaus in Niedrigenergiebauweise. Hier ein Chipperfield, dort ein Kollhoff oder auch ein Braunfels.
Die Vielfalt der seit 1990 allein in Mitte neu errichteten oder sanierten Gebäude lässt sich nicht in einem Buch wiedergeben. Deshalb hat die ehemalige Baustadträtin des Bezirks, Dorothee Dubrau, nun auch zwei Bände vorgelegt, die auf jeweils 600 Seiten und mit insgesamt 2000 Abbildungen einen umfassenden Überblick über den rasanten Wandel des Stadtbildes in den vergangenen 20 Jahren bieten.
Die Idee zu dem gewichtigen Nachschlagwerk hatte die 54-Jährige, die seit ihrem Ausscheiden aus dem Bezirksamt Mitte 2006 an der TU Darmstadt sowie an der Berliner Beuth-Hochschule Studenten unterrichtet, bereits während ihrer 17-jährigen Amtszeit: „Doch es fehlte einfach die Zeit“, sagt Dubrau.
Die frühere Stadträtin ist ihrem Markenzeichen treu geblieben und erscheint auch heute nur mit eigenwilligen schwarzen Hüten in der Öffentlichkeit. Doch nicht wegen ihrer auffälligen Kopfbedeckungen, sondern wegen ihrer unbeugsamen Haltung wurde Dubrau von Hauseigentümern, Bauherren und Senatoren mit dem Titel „Investorenschreck“ versehen.
Mittlerweile kann Dubrau solche Vorwürfe gelassen kontern. Sie verweist darauf, dass sie in ihrer Amtszeit „bis zu 3000 Baugenehmigungen pro Jahr“ ausgesprochen habe. Mit dem „Architekturführer Berlin-Mitte“ legt sie nun ein Werk vor, das alle ansprechen soll, „die sich nicht nur für die Baudenkmäler interessieren, sondern auch dafür, wie Berlins Mitte insgesamt gestaltet wurde und wird.“
Investoren unterstützten das Werk
Dabei zeigt sich, dass die einst so heftig angefeindete „Nein-Sagerin“, die viele Begehrlichkeiten von Bauherren etwa nach größeren Flächen zurückwies, nunmehr erstaunlich viele Unterstützer unter den Bauherren hat. Die Liste der Sponsoren für den Architekturführer ist lang: Da finden sich zahlreiche große Projektentwickler wie Vivico, Bauwert, Meermann oder Meag, mit denen die streitbare Stadträtin früher unerbittlich über Bauhöhen, Freiflächen oder Ausgleichsmaßnahmen feilschte. Selbst die Heinrich-Böll-Stiftung hat das Buch-Projekt unterstützt. Obwohl die Stiftung ihren ursprünglich geplanten Hauptsitz in den Krausnickblöcken schließlich woanders bauen musste, weil unter der Ägide der Stadträtin in den Höfen ein Park für die Anwohner entstand.
„Der Krausnickpark und insgesamt die Sanierung und Erneuerung der Spandauer Vorstadt sind der Teil meiner Arbeit, auf den ich heute noch stolz bin“, sagt Dubrau, die in der DDR Architektur studierte. Es sei gelungen, die meisten der Altbauten, die schon zu DDR-Zeiten mit Löchern in der Fassade für die geplante Sprengung versehen waren, vor dem Abriss zu retten. Heute zählt das Quartier zwischen Alexanderplatz und Friedrichstraße zu den am Besten wiederhergestellten Altstadtvierteln Berlins. Die Hackeschen Höfe, die Große Synagoge und die als Kunsthaus Tacheles bekannte Kaufhausruine an der Oranienburger Straße gehören zum Pflichtprogramm für Touristen.
Einer ihrer größten Erfolge ist sicher, dass der Anteil von Wohnungen in der Spandauer Vorstadt hoch blieb, dass relativ wenig Flächen für Büros und Läden umgenutzt wurden. „Das Wohnen war wesentlicher Bestandteil unserer Planung“, sagt Dubrau. „Uns ist es gelungen, sogar wieder Familien in den Kiez zu holen.“
Weniger stolz und mit einem gewissen Bedauern blickt Dubrau dagegen auf die Veränderungen in der Friedrichstadt. „Den Verlust von öffentlichem Raum besonders an der Friedrichstraße hätte ich gern verhindert“, sagt sie und meint damit kleine zu DDR-Zeiten angelegt Plätze wie vor dem alten Lindencorso, die nach 1990 bebaut wurden. Die Bauwut von Investoren und Stadtplanern habe oft dazu geführt, dass städtebauliche Bedenken hinweggefegt worden seien. „In der Friedrichstadt hatten Investoren Grundstückspreise zwischen 24.000 und 36.000 DM pro Quadratmeter gezahlt “, erinnert Dubrau. Kein Wunder, dass viele Investoren möglichst hoch und dicht bauen wollten. Und war die Stadträtin nicht willig, die erforderlichen Baugenehmigungen zu erteilen, so wendeten sich die Investoren eben an den Senat, der sich oft aufgeschlossener zeigte. „So mancher hat die Uneinigkeit innerhalb der zweistufigen Berliner Verwaltung gezielt ausgenutzt“, klagt Dubrau.
So sei es nicht zu verhindern gewesen, dass etwa aus der Friedrichstraße zwischen Spree und der Straße Unter den Linden eine enge Straßenschlucht geworden sei, in der sich Passanten auf den schmalen Bürgersteigen drängen.
Der enorme Verwertungsdruck habe zudem dazu geführt, dass viele Gebäude, die den Krieg und die DDR-Zeit überstanden hatten, abgerissen wurden. Auch der Geschichte der „Rückbauten und Zerstörungen“ in Mitte ist deshalb ein Kapitel in dem Buch gewidmet. „Es wurden ja längst nicht nur überflüssige DDR-Ministerien oder der Palast der Republik entsorgt, sondern auch Gebäude wie der neobarocke Tattersall“, erinnert Dubrau. Der prächtige Backsteinbau aus dem Jahre 1888, in dem einst Kutschen und Pferde untergebracht waren, stand dem Neubau des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses im Wege, in dem heute die Bundestagsabgeordneten ihre Büros haben.
„Im Moment ist die Debatte um die Rekonstruktion des historischen Stadtgrundrisses voll entbrannt“, sagt Dubrau. Dabei werde oft übersehen, dass noch vor zehn Jahren viele historisch wertvolle Gebäude etwa in der Dorotheenstadt geschleift wurden. Der Kerkau-Palast und das Haus Trarbach in der Rosmarinstraße etwa wurden für den Neubau des Rosmarin-Karrees, eines Geschäftshauses zwischen Charlottenstraße, Behrenstraße und Rosmarinstraße, abgeräumt. Die Häuser waren nicht rechtzeitig unter Denkmalschutz gestellt worden.
Doch der Architekturführer beschäftigt sich nicht nur mit den Veränderungen in Mitte. Auch Moabit, Tiergarten, dem Hansaviertel und Gesundbrunnen sind umfangreiche Kapitel gewidmet. Wenn sich auch dort die Investoren längst nicht in dem Maße wie im Ortsteil Mitte um neue Projekte drängelten, von Tiergarten und Moabit mal abgesehen, hat die ehemalige Baustadträtin in dem Gebiet viele spannende Änderungen aufgespürt. „Dabei ist die Dynamik besonders entlang des ehemaligen Mauerstreifens zu spüren“, sagt Dubrau.
Gerade an dieser ehemaligen Nahtstelle von Ost- und West gebe es auch künftig die größten Bauvorhaben. Beispielhaft für diesen Prozess steht der Hauptbahnhof, der an der Nahtstelle der einstigen Sektorengrenze entstand. Die Entwicklungsgebiete Heidestraße, Lehrter Straße, Lehrter Stadtquartier und Humboldt-Hafen buhlen dort um potenzielle Investoren für Wohn-, Büro- und Geschäftshäuser. „Um diese neuen Quartiere in das Stadtgefüge einzubinden, wird Berlin noch einige Anstrengungen unternehmen müssen“, sagt Dubrau. An den Planungen für diese Gebiete ist sie nicht mehr beteiligt. Für Mitte will sie weiter streiten. „Schließlich wohne ich auch selbst dort.“
„Architekturführer Berlin-Mitte“ Herausgeber: Dorothee Dubrau/Bezirksamt Berlin-Mitte, Verlag Dom publishers. 1200 Seiten in zwei Bänden, 2000 Abbildungen, 38 Euro.