Berliner Führerschein-Skandal

Fahrprüfer geschmiert - TÜV droht Millionen-Buße

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Axel Lier

Bei einem der größten Bestechungsskandale im Zusammenhang mit Führerscheinen hat ein Berliner TÜV-Prüfer mehr als 150.000 Euro Schmiergeld kassiert. Der Mann wurde dafür verurteilt, ist aber nach Angaben von Ermittlern nur die Spitze des Eisbergs. Der Skandal könnte äußerst unangenehme Folgen für den TÜV haben.

Einer der größten Bestechungsskandale im Zusammenhang mit Führerscheinen beginnt mit der Übergabe eines Handys. Der Leiter einer Kreuzberger Fahrschule drückt einem Prüfer vom Technischen Überwachungsverein (TÜV) ein Mobiltelefon in die Hand. Ein paar Wochen später schob er ihm einen Geldschein zu – 500 Euro. Als Gegenleistung laufen die mündlichen Fahrprüfungen wie geschmiert.

TÜV-Prüfer Norbert F. wurde später von einem Gericht zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Fahrschulchef Ali Hasan T. muss für viereinhalb Jahre ins Gefängnis. Die Kritik der Richter in diesem Verfahren ging auch an den TÜV: Obwohl sich die Zahl der mündlichen Prüfungen „explosionsartig vermehrte“, löste dies im Konzern keine Besorgnis aus. Der TÜV habe damals auf die Unregelmäßigkeiten nicht reagiert. Dies hat jetzt Konsequenzen.

Entzug der Prüflizenz möglich

„Wir ermitteln gegen den ehemaligen Regionalleiter des TÜV, weil er mutmaßlich die rechtswidrigen Taten geschehen ließ“, sagte Martin Steltner, Sprecher der Staatsanwaltschaft. Im Zusammenhang mit dem Verfahren werde auch gegen den Konzern als Nebenbeteiligter ermittelt. „Ein Nebenbeteiligter ist ein Angeschuldigter im Sinne des Ordnungswidrigkeitengesetzes“, sagte Steltner. Dem TÜV droht neben einer Geldbuße von bis zu einer Million Euro auch der Entzug der Prüfungsermächtigungen. Zudem könnte der Konzern aufgrund der Ermittlungen in das Korruptionsregister aufgenommen werden.

Norbert F. war mehr als 30 Jahre Gutachter beim TÜV. Der 58-jährige Berliner hätte dort bis zur Rente arbeiten können, wäre er im Mai 2005 nicht Ali Hasan T. begegnet. Der 44-Jährige war Chef einer der bekanntesten Fahrschulen in Deutschland. Denn der Türke konnte Garantien vergeben – Garantien auf erfolgreiche mündliche Führerscheinprüfungen.

Diese waren beim TÜV bis dato die Ausnahme. Im Gegensatz zu den schriftlichen Prüfungen kosten sie 100 statt 10 Euro und waren für Personen vorgesehen, die an einer Lese-Rechtschreib-Schwäche leiden. Oder Ausländer, die Deutsch besser sprechen als schreiben. Die Zahlen der Prüflinge explodierten ab 2004. Von 50 auf bis zu 600 Teilnehmer jährlich. Angeblich fiel das beim TÜV niemandem auf.

Die Staatsanwaltschaft verwanzte nach einer Anzeige den TÜV-Prüfungsraum an der Alboinstraße und hörte mit, wie Norbert F. Fahrschüler des Türken beim Ausfüllen der Fragebögen anleitete. Dafür kassierte er insgesamt 152.000 Euro Schmiergeld. Wenig später deckte die Staatsanwaltschaft einen weiteren Fall von Bestechlichkeit beim TÜV auf.

Die Betrügereien sind keine Einzelfälle. Im Gegenteil, das Bestechen von Amtsträgern in Sachen Führerschein ist nach Angaben von Ermittlern „gängige Korruptionspraxis dieser Stadt“. Wie Morgenpost Online erfuhr, ermittelt die Staatsanwaltschaft aktuell gegen weitere Fahrschulen und Prüfer.

Am Fall des TÜV-Prüfers Norbert F. wird deutlich, welche Ausmaße die Untersuchungen annehmen können. F. kassierte ungefähr 50 Euro für jeden, der die Prüfung bestand. Die Summen erhielt er in Beträgen von 500 bis 2000 Euro. Begünstigte waren vor allem Araber, Türken und Vietnamesen, allesamt kaum oder gar nicht der deutschen Sprache mächtig. „Er legte den Anwärtern die richtigen Antworten auf die Zunge“, so ein Ermittler. Oder er füllte die Bögen gleich selber aus. Ali Hasan T. hatte laut Staatsanwaltschaft in der TÜV-Stelle Albionstraße „freie Hand“. Schließlich brachte er dem Überwachungsverein zwischen 50.000 und 70.000 Euro ein.

Der Mann vom TÜV und sein Partner von der Fahrschule standardisierten das Betrugsverfahren. „Jeder, der sich für einen Führerschein interessierte, bekam eine Garantie“, berichtet ein Ermittler. Deutschlandweit waren Werber unterwegs, die vor allem unter Migranten für die Kreuzberger Fahrschule mit Niedrigpreisen („1500 Euro alles inklusive“) warben – teure Nachprüfungen waren ja ausgeschlossen. „Es gab einen regelrechten Führerscheintourismus nach Berlin“, so ein an den Ermittlungen beteiligter Polizist.

Tatverdächtige festgenommen

Nach über 14 Monaten war Schluss. Die beiden Tatverdächtigen wurden festgenommen. Die Ermittler durchsuchten deutschlandweit 39 Objekte, darunter mehrere Berliner Fahrschulen und die örtliche TÜV-Zentrale. Das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (Labo) recherchierte im Fall der Kreuzberger Fahrschule über 6000 Verdachtsfälle. 4000 Führerscheininhaber mussten bislang nachgeprüft werden, 1500 von ihnen wurde die „Pappe“ sofort wieder entzogen.

„Dies ist nur die Spitze des Eisbergs“, sagt ein an den Ermittlungen beteiligter Beamter, „weitere Fahrschulen und Prüfer sind in unserem Fokus.“ Über die genaue Anzahl möchte er aus ermittlungstaktischen Gründen nichts in den Medien lesen. Man müsse aber davon ausgehen, dass noch Tausende Personen auf den Straßen unterwegs seien, die keine rechtmäßige Führerscheinprüfung abgelegt haben. „Sie sind eine Gefahr für die Öffentlichkeit.“

Nach Informationen von Morgenpost soll dem ehemaligen Berliner TÜV-Chef ein anonymes Schreiben zugestellt worden sein, das auf die Korruption in seinem Haus aufmerksam machte. Doch das Papier landete in einer Akte. Irgendwo. Auch telefonisch sollen ihn Zeugen über die Vorgänge bei den mündlichen Prüfungen informiert haben. Zudem hatten Mitarbeiter angeblich „leise Kritik“ geäußert. Doch Konsequenzen blieben aus.

Der TÜV Rheinland wollte zu den Ermittlungen keine Stellungnahme abgeben. Der Mitarbeiter sei zunächst freigestellt worden; er schied später aus dem Unternehmen aus. „Wir unterstützen die Staatsanwaltschaft von Beginn an bei der Aufklärung des Vorgangs“, sagte TÜV-Sprecher Wolfgang Partz. Die Möglichkeiten der Manipulation bei mündlichen Prüfungen seien unterbunden worden.