Seinen heutigen 100. Tag im Amt hat sich Hamburgs Erster Bürgermeister Christoph Ahlhaus sicher anders vorgestellt. Der CDU-Mann rangiert in den Umfragen abgeschlagen hinter seinem SPD-Herausforderer Olaf Scholz. Sollte der 41-Jährige nach den für 20. Februar geplanten Neuwahlen das Bürgermeisterbüro wieder räumen müssen, dann wäre ihm in den Geschichtsbüchern der Stadt nur der zweifelhafte Platz als „am kürzesten amtierender Bürgermeister der Neuzeit“ sicher. Ein Koalitionspartner, der sich in die Büsche geschlagen hat und dafür von den Hamburgern auch noch Applaus bekommt, ein eher hölzern wirkender Gegenkandidat, dem dennoch die Sympathien zufliegen – und keine Zeit mehr hat, sich selbst zu profilieren: Ahlhaus persönlich scheint den Niedergang des Projekts Schwarz-Grün zu verkörpern, das er nach dem überraschendem Rücktritt seines populären Vorgängers Ole von Beust eigentlich in eine neue Phase führen sollte.
Tatsächlich gilt Schwarz-Grün nach dem Menetekel von Hamburg nicht mehr als politische Avantgarde. Seit Hamburgs Grün-Alternative Liste (GAL) die Erkenntnis gewann, dass der gemeinsame Geist „verflogen“ und Neuwahlen nötig seien, lautet die Lesart, dass an der Elbe auseinander gegangen ist, was nie zusammengehört hat. Das passt zur bundespolitischen Großwetterlage, die seit Wochen von einer neuen Lagerbildung geprägt ist. Doch die erste schwarz-grüne Regierung, die es in Deutschland auf Landesebene gegeben hat, ist an einer Verkettung aus Pleiten, Pech und Personalabgängen gescheitert. Berlins CDU-Chef Frank Henkel und Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast wissen das. Sie wollen sich die Option Schwarz-Grün weiter offenhalten. Wie realistisch ist das? Eine Analyse.
Problemfeld Führungskräfte
Schwarz-Grün in Hamburg, das war vor allem ein Projekt des CDU-Bürgermeisters Ole von Beust. Er war der Garant, dass die Dinge hinter den Kulissen rund liefen. Das Verhältnis zu den Grünen war freundschaftlich, die Zusammenarbeit, wie gebetsmühlenartig betont wurde, verlässlich. Beust hatte immer ein offenes Ohr für grüne Anliegen, was auch daran lag, dass er im Laufe der Jahre liberaler, ja linker geworden war, wie er auch selbst von sich sagte. Als er sich im Sommer dennoch Hals über Kopf zugunsten des Privatlebens aus der Politik zurückzog, hatten die Grünen es plötzlich mit Christoph Ahlhaus zu tun. Zu ihm gab es im Grunde gar keinen Draht, auch wenn sich Ahlhaus bemühte, sein Hardliner-Image aufzubrechen. Doch ein echter Grünen-Freund war Ahlhaus nie, und das spürte man.
Ein ausgesprochener Grünen-Freund ist auch Frank Henkel nicht. Der Landes- und Fraktionsvorsitzende der Berliner CDU sah seine Aufgabe in den vergangenen zwei Jahren darin, die Hauptstadtunion wieder zu stabilisieren. Henkels Vorgänger als Fraktionschef, Friedbert Pflüger, hatte schon früh damit begonnen, einen persönlichen Draht zu Fraktionschefkollegen Volker Ratzmann (Grüne) und Martin Lindner (FDP) aufzubauen. Man führte gemeinsame Stadtkonferenzen und traf sich auch zum privaten Spaghetti-Essen bei Pflüger.
Doch diese Art der Kontaktanbahnung in der Opposition endete mit Henkels Amtsantritt. Der CDU-Politiker kennt Künast noch als Gegnerin. Als er das Büro des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen leitete, agierte Künast in der Opposition. Künast selbst verbindet mit Henkel ebenfalls herzlich wenig. Allerdings würde die pragmatische Frau vom Realo-Flügel der Partei, der alles Ideologische fremd ist, ein Bündnis mit der CDU hinnehmen, ohne es wirklich zu wollen. Bedingung dafür wäre der Posten der Bürgermeisterin.
Zankapfel Bildungspolitik
Hamburgs CDU war klar, dass sie nur dann mit den Grünen ins Geschäft kommt, wenn sie in Sachen Schulstruktur Kompromisse macht. Während die Grünen von der „Schule für alle“ – einer modernen Version der Gesamtschule – träumten, wollten die Christdemokraten aber eigentlich an den Grundfesten der Gymnasien nicht rütteln. Schließlich einigte man sich darauf, die Kinder zumindest bis nach Ende der sechsten Klassen gemeinsam zu unterrichten – auf sogenannten Primarschulen. Der Schönheitsfehler: In Hamburgs CDU gab es außer von Beust niemanden, der das für eine gute Idee hielt.
Die Primarschule galt schlicht als der Preis dafür, an der Macht bleiben zu können. Doch Schwarz-Grün hatte den Widerstand des Hamburger Bürgertums unterschätzt, das das Vorhaben schließlich erfolgreich per Volksentscheid abschmetterte. Das zentrale bildungspolitische Reformprojekt der grünen Schulsenatorin Christa Goetsch war damit unter die Räder gekommen – und die klammheimliche Freude an der CDU-Basis groß. Seitdem war der Lack ab – und Beust als Bürgermeister weg.
Auch in Berlin gibt es in der Bildungspolitik viel Trennendes. So will sich die CDU im Wahlkampf als die Bewahrerin der Gymnasien inszenieren, um vor allem bei den bürgerlichen Wählern zu punkten. Die Grünen sehen die Schulpolitik des rot-roten Senats grundsätzlich auf dem richtigen Weg. Zur Zukunft der Gymnasien will sich Spitzenkandidatin Renate Künast nicht festlegen. Aber es könnte trotz aller Differenzen einen Kompromiss geben: Die CDU spricht sich für ein Moratorium aus: keine weiteren Reformen mehr. Dem könnten sich die Grünen wohl anschließen. Denn dann gäbe es die von ihnen favorisierten Gemeinschafts- und Sekundarschulen weiterhin. Hamburger Verhältnisse wären damit verhindert.
Konfliktpotenzial Ehrgeiz
Die Hamburger GAL war mit Maximalmalforderungen in die Koalitionsverhandlungen gegangen, die sie zwar durchsetzen, aber dann nicht aus der Regierung heraus Wirklichkeit werden lassen konnte. Die Primarschule ist nur ein Beispiel. Außerdem sollten ein genehmigtes Kohlekraftwerk verhindert – und als Symbol neuer grüner Herrlichkeit auch noch Schienen für eine neue Stadtbahn gelegt werden. Inzwischen ist die Schulreform Geschichte, das Kraftwerk wächst in Hamburgs Süden – und die Stadtbahn wurde gestoppt, nachdem klar war, dass sogar 53 Prozent der Grünen-Wähler keinen Sinn in dem Unterfangen sahen. Die Grünen standen 30 Monate nach Regierungsantritt mit leeren Händen da, sie hatten zumindest in der Außenwahrnehmung nichts mehr, wofür sie noch kämpfen konnten. Da fiel die Entscheidung, aus der Koalition auszusteigen, leicht.
In Berlin haben die Grünen von Hamburg gelernt. „Nicht zu viel versprechen“, mahnt der Fraktionsvorsitzende Volker Ratzmann immer wieder an. Selbst der prominenteste Vertreter des linken Parteiflügels, der Kreuzberger Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele, stieß ins gleiche Horn, um die Utopisten in der Partei vor all zu großen Wahlversprechen zu warnen. In ihrer Antrittsrede als Spitzenkandidatin sprach Renate Künast ebenfalls viele Dinge an – jedoch ohne wirklich konkret zu werden.
Schwachstelle Personal
Schwarz-Grün in Hamburg litt unter einem personellen Aderlass, der das Bündnis von innen heraus schwächte. So stolperte Finanzsenator Michael Freytag über sein unglückliches Krisenmanagement in der HSH-Nordbank-Affäre. Damit war von Beust auch der Kronprinz abhanden gekommen, was den sogar CDU-intern unbeliebten Ahlhaus ins Rathaus spülte, als Beust plötzlich die Lust am Regieren verlor. Mit ihm gingen freiwillig die populären Senatoren Karin von Welck (Kultur) und Axel Gedaschko (Wirtschaft), die keine Hausmacht in der Partei hatten. Finanzsenator Carsten Frigge stolperte über eine alte Parteispendenaffäre. Das Ergebnis: Eine personell ausgeblutete CDU. Gute Kollegen aus anderen Bundesländern wollten nicht mehr nach Hamburg.
Auch in der Berliner CDU gibt es nicht gerade ein Füllhorn voller Polit-Stars. Von außen traut sich nach dem Debakel des ehemaligen Staatssekretärs Pflüger, der als Spitzenkandidat kam und später als Fraktionschef demontiert wurde, kaum einer nach Berlin. Bei den Grünen hat Renate Künast angekündigt, erfahrene, aber für Berlin neue Gesichter präsentieren zu wollen. Doch im Landesverband gibt es viele, die selbst Ambitionen haben. Sollte Künast dennoch auf Politiker von außen setzen, könnten sie Parteifreunde enttäuschen – und damit ihre Machtbasis gefährden. Dann drohten ähnliche Entwicklungen wie an der Elbe.