Auf der Suche nach der Original-Mauer werden die Besucher an diesem Jubiläumswochenende wieder ans Spreeufer strömen. Sie werden zwischen den rasenden Autos auf der Mühlenstraße turnen, um die bunten Fotomotive des mauerdurchbrechenden Trabbis oder der küssenden Parteichefs Erich Honecker und Leonid Breschnew ansprechend vor die Linse zu kriegen. Und sie werden sich fragen, wie es sein konnte, dass für 28 Jahre ein Flussufer von den eigenen Menschen abgeriegelt werden konnte.
An der East Side Gallery, jenem 1,3 Kilometer langen Streifen der Hinterland-Mauer zwischen Oberbaumbrücke und ehemaliger Brommybrücke, beginnen am heutigen Freitag die offiziellen Feierlichkeiten der friedlichen Revolution in der DDR vor 20 Jahren. Aber als am 9. November 1989 die Mauer fiel, konnte wohl niemand ahnen, dass dieser Streifen im öden Niemandsland am nebligen Spreeufer einmal eine der wichtigsten Touristenattraktionen der Stadt werden würde.
Berlins spannendste Freiluft-Galerie
Die East Side Gallery dient heute innerhalb des Mauer-Gedenkstättenkonzepts des Berliner Senats als Beispiel dafür, wie kreativ und unkonventionell die Berliner und ihre Besucher seit dem denkwürdigen Winter 1989/1990 mit dem Mahnmal der Teilung umgegangen sind. Künstler machten aus dem Stück Beton eine der größten und spannendsten Freiluft-Galerien der Welt.
Die Mauer, die an diesem Ort nur das wüste Ufer von einer sechsspurigen Verkehrsschneise trennt, überlebte wegen ihrer abgelegenen Lage die Abrisswut, die andernorts das Bauwerk fast aus dem kollektiven Gedächtnis der wieder zusammenwachsenden Stadt tilgte.
Jetzt strahlen die Farben wieder frisch und leuchtend. Die großformatigen Bilder, vom Zahn der 20 Jahre angenagt und bisweilen von wenig talentierten Taggern verunstaltet, wurden detailgetreu den Originalen nachgemalt. Am Freitag wurde die rekonstruierte Open-Air-Ausstellung wieder der Öffentlichkeit übergeben.
Sanierung für 2,5 Millionen Euro
1990 hatten mehr als 100 Künstler aus aller Welt die 1,3 Kilometer lange Grenzanlage zwischen Friedrichshain und Kreuzberg bemalt. Seither gehören die Bilder zu den meist fotografierten Motiven der Stadt. Besonders beliebt: Dimitri Vrubels Darstellung vom Bruderkuss zwischen Leonid Breschnew und Erich Honecker und Birgit Kinders Bild "Test the Best", auf dem ein Trabant symbolisch die Berliner Mauer durchbricht.
Die Galerie zwischen Ostbahnhof und Oberbaumbrücke steht seit 1991 unter Denkmalschutz. Ihre Wiederherstellung war nötig, weil Regen, Frost, Graffiti und der Straßenverkehr den Bildern zusetzten. Eisenträger rosteten, der Beton bröckelte und die Farben verblassten. Etwa 2,5 Millionen Euro, standen für die Sanierung zur Verfügung, darunter Lottogeld und Fördermittel von der Europäischen Union, vom Bund und vom Land Berlin. Die Arbeiten haben insgesamt ein Jahr gedauert. Die alten Bilder sind mit Wasserdampf abgewaschen, die Mauersegmente saniert worden. Eine elastische Schicht aus Beton und Glasfasern und Grundierungen sind aufgetragen. Materialien und Farben sind so gewählt, dass die neuen Kunstwerke der Belastung durch Autoabgase und Erschütterungen durch den Verkehr auf der Mühlenstraße länger widerstehen.
Die Federführung hatte der Verein der Künstlerinitiative East Side Gallery. Vorsitzender Kani Alavi lud die Künstler von 1990 ein, ihr Bild für eine Aufwandsentschädigung von 3000 Euro noch einmal aufzutragen. 98 der 106 Kunstwerke sind so neu entstanden. Einige Maler, darunter der Frankfurter Bodo Sperling, haben sich jedoch verweigert, weil sie ihre Urheberrechte verletzt sahen und eine höhere Entlohnung forderten.
Hier endete für die Ostberliner die Welt
Die East Side Gallery ist einer der wenigen Orte, wo nicht die nach den Westsektoren gewandte äußere Wand der Grenzanlagen als Mauer wahrgenommen wird. Hier endete für die Ostberliner tatsächlich die Welt. Viele Menschen versuchten hier, die DDR zu verlassen und durch die Spree in den freien Westen zu schwimmen. Mehr als ein Dutzend, darunter der 20 Jahre alte Philipp Held, bezahlten ihren Fluchtversuch mit dem Leben.
An anderen Stellen, wo noch Original-Mauerteile stehen, wie etwa an der Niederkirchnerstraße neben der Topografie des Terrors, stehen Touristen auf dem ehemaligen Todesstreifen und schauen auf das Bauwerk, wie es normale DDR-Bürger niemals konnten.
Seit für das Spreeufer über wichtige Investitionsvorhaben nachgedacht wird, geriet auch die Mauer wieder in den Fokus der Stadtplaner. Denn ein paar Party-Strände in ihrem Windschatten konnte das Bauwerk verkraften. Etablissements wie dem Yaam-Club oder der Bar 25 verlieh die Restmauer einen besondern Hauch von Historie und Exklusivität. Wenn jedoch am Fluss Bürobauten und Apartmenthäuser entstehen sollen, könnte das Betonband im Wege stehen. Aber die Stadt zeigte sich kompromissfähig. Als die Anschütz-Gruppe, die auf der anderen Seite der Mühlenstraße die gigantische Mehrzweckarena O2 World aus dem Boden stampfte, einen Zugang zum Fluss und eine Anlegestelle auf der Spree verlangte, durften die Investoren kurzerhand ein 45 Meter langes Teilstück versetzen. Parallel zur Rest-Mauer wurde das umgestellte Teil wieder in den Sand gestellt. Mit der Maueröffnung sollte die freie Sicht auf die O2 Arena ermöglicht werden, die nahe dem Ostbahnhof errichtet wurde.
Aber mit dieser Umgestaltung soll es nicht getan sein. Kommunalpolitiker sind bestrebt, neben die mittlerweile betagten Mauer-Kunstwerke auch aktuellen Kunstpositionen einen Raum an der viel besuchten Touristenattraktion zu geben.
Grüne wollen West-Side-Gallery
Seit dem Sommer wird diskutiert, auf der Rückseite eine West-Side-Gallery anzulegen. Die Idee dazu stammt von der Grünen-Fraktion aus der Bezirksverordneten-Versammlung Friedrichshain-Kreuzberg. Sie schlagen vor, dass Bilder, Fotos, Streetart oder Graffiti in wechselnden Ausstellungen gezeigt werden. Eine Jury soll die Kunstwerke auswählen. Das Projekt soll in der Hand des Bezirks sein und durch Sponsoren finanziert werden. In ersten Diskussionen hätten sich Befürworter und Gegner des Vorschlags geäußert, sagt Daniel Wesener, Fraktionschef der Grünen. Er erwarte im Dezember eine Entscheidung.
Ob es jedoch zu solch einer Ergänzung der East Side Gallery kommen wird, ist fraglich. Die Entscheidung werden Denkmalschützer und Senatsverwaltungen wohl kaum dem Bezirk überlassen. Und Rainer Klemke, in der Kulturverwaltung für das Mauergedenkstätten-Konzept zuständig, ist gegen die Bemalung der Rückseite. Auch der Initiator der Mauerkunst, Alavi, ist skeptisch. Wenn schon, dann sollte auch die zum Fluss weisende Seite von den Künstlern der originalen East Side Gallery gestaltet werden, fordert er.