Volksbegehren

Wie es nun im Berliner Wasserstreit weitergeht

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Gilbert Schomaker

Die Verträge über die Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe liegen nun offen. Doch der Volksentscheid wird kommen - und Wasser wird vorerst nicht billiger. Morgenpost Online beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema.

1. Sinken jetzt die Wasserpreise?

Nein. Die Veröffentlichung der Privatisierungsverträge hat keinen Einfluss auf die Wasserpreise. Die Gewinnmargen der privaten Anteilseigner sind in den Verträgen zwar beschrieben. Es gibt jetzt also, für jeden Bürger einsehbar, die Verabredungen zwischen dem Senat und Veolia sowie RWE. Aber inhaltlich ändert sich an den Verabredungen der Jahre 1999 und 2003 nichts.

2. Gibt es dennoch Chancen für sinkende Wasserpreise?

Der eine Weg ist eine Rekommunalisierung. Das Land Berlin muss dann mit den privaten Investoren nachverhandeln und ihnen ihre Anteile an den Berliner Wasserbetrieben abkaufen.1999 zahlten sie 3 Milliarden Euro für 49,1 Prozent der Anteile. Sollte der Rückkauf erfolgreich sein, hätte das Land die Möglichkeit, eigenständig die Preise zu senken. Das würde allerdings mehrere Milliarden Euro kosten. Der nächste Weg wäre eine Änderung der bestehenden Vertragsklauseln, die einen Automatismus bei der Verzinsung des von den Privaten eingebrachten Kapitals vorsehen. Diese Garantieverzinsung ist eine von mehreren Ursachen für die hohen Wasserpreise. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sagte gestern, dass es eine „generelle Bereitschaft“ zu Verhandlungen gibt. „Aber ob die Eigentumsverhältnisse sich ändern, ist eine andere Frage.“ Die privaten Investoren haben kein Interesse, den für sie günstigen Vertrag, der noch bis zum Jahr 2028 läuft, zu ändern.

3. Wenn es auf dem Verhandlungsweg nicht weitergeht, gibt es eine andere Variante?

Ja. Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke), der selbst sagt, dass die Preise um 15 bis 20 Prozent zu hoch sind, hat das Bundeskartellamt eingeschaltet. Die Behörde hat nun einen Anfangsverdacht auf zu hohe Wasserpreise. Sie kann die Wasserbetriebe zwingen, die Preise zu senken. Wahrscheinlich müsste das Land Berlin auf einen Teil seiner Gewinne verzichten. Auch die privaten Investoren müssten wahrscheinlich geringere Renditen in Kauf nehmen. Auf einer Personalversammlung bei den Wasserbetrieben zeigten sich Politiker der rot-roten Koalition bereit, diesen Weg zu gehen, sollte es zu Auflagen des Bundeskartellamtes kommen.

4. Was steht in den Verträgen?

Sie umfassen etwa 700 Seiten. Dabei handelt es sich nicht nur um den eigentlichen Konsortialvertrag aus dem Jahr 1999, den im Wesentlichen die damalige Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) verhandelt hat. Dazu gibt es noch sechs Änderungsverträge aus den folgenden Jahren. Wichtig ist der fünfte Änderungsvertrag aus dem Jahr 2003, in dem es um die Renditen für Veolia und RWE geht. Danach ist die Verzinsung des eingebrachten Kapitals für die nächsten Jahre steigend auf eine Höhe bis zu knapp acht Prozent festgeschrieben.

5. Wie kann man sie einsehen?

Die Verträge kann man im Internet herunterladen.

6. Wieso wollten die Privaten keine Veröffentlichung?

Die privaten Unternehmen sehen ihre Geschäftsinteressen in Gefahr. Vor allem RWE soll sich gegen eine Offenlegung der Verträge, deren Geheimhaltung 1999 beschlossen worden war, ausgesprochen haben. Denn der Energiekonzern befürchtet mit Berlin einen Präzedenzfall. Er hat Dutzende solcher Verträge allein in Nordrhein-Westfalen geschlossen. Dort könnte er nun in vielen Kommunen in Erklärungsnot über die dortigen Preise kommen.

7. Mit welchem Trick konnte der Senat die Privaten nun überzeugen, die Verträge zu veröffentlichen?

Der rot-rote Senat, der die Schuld an den Verträgen vor allem bei der großen Koalition sieht und selbst ein Interesse an der Veröffentlichung hat, hatte sich auf das Informationsfreiheitsgesetz berufen. Dieses von SPD und Linke erlassene Gesetz, das eine möglichst große Transparenz von Verwaltungsentscheidungen bringen soll, ist auch nachträglich auf schon geschlossene Vereinbarungen anwendbar ist. Im Fall der Berliner Wasserbetriebe ging das allerdings nicht ohne die Zustimmung der Investoren. Diese erreichten nun Wowereit und Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) nach zähen Verhandlungen. „Wir haben nichts zu verheimlichen“, sagte Wowereit gestern.

8. Läuft das Volksbegehren weiter?

Ja. 280.887 gültige Unterschriften hat die Bürgerinitiative „Wassertisch“ gesammelt. Ihr Ziel – eine Offenlegung der Verträge – ist nach Meinung des Regierenden Bürgermeisters jetzt „materiell“ erreicht. Damit meint Wowereit, dass nun alle geforderten Dokumente für jeden im Internet einsehbar sind. Allerdings lehnt der Senat die wortwörtliche Übernahme des Gesetzestextes, mit dem der Wassertisch die Veröffentlichung erzwingen wollte, aus juristischen Gründen ab. Deswegen läuft das Volksbegehren erst einmal weiter. Der Volksentscheid, also die Abstimmung der Berliner über die Offenlegung der Verträge, soll im ersten Quartal nächsten Jahres stattfinden.

9. Wie reagieren die Initiatoren des "Wassertisches"?

Thomas Rudek von der Bürgerinitiative „Wassertisch“ nannte das Vorgehen der Eigentümer der Wasserbetriebe eine „Flucht nach vorn“. Mit Unverständnis reagierte er auf die juristischen Bedenken gegenüber dem Volksbegehren und der Weigerung, den Gesetzestext 1:1 zu übernehmen. „Wenn es juristische Bedenken gibt, sollen doch die privaten Investoren die Gericht bemühen“, sagte der Sprecher der Bürgerinitiative.

10. Wie reagiert das politische Berlin?

SPD-Chef Michael Müller fand viel Lob. „Dem Regierenden Bürgermeister ist damit ein großer Verhandlungserfolg gelungen. Die Offenlegung war ein wichtiges politisches Anliegen der SPD", sagte Müller. Der Fraktions- und Landesvorsitzenden der Berliner CDU, Frank Henkel, mahnte eine Senkung der Wasserpreise an. Die Offenlegung könne nur ein erster Schritt sein. Der Senat habe genug Spielraum, die Preise zu senken. Volker Ratzmann, Fraktionsvorsitzender der Grünen, und Wasserexpertin Heidi Kosche (Grüne) sagten: „Die Offenlegung der Wasserverträge ist ein Riesenerfolg der Berlinerinnen und Berliner, die dafür lange gekämpft haben: vor Gericht, auf der Straße und im Parlament.“ FDP-Fraktionschef Christoph Meyer sagte: „Die FDP-Fraktion fordert jetzt eine Überprüfung der festgeschriebenen Gewinngarantien.“