Schulexperiment

Gemeinschaftsschule in Reinickendorf gestoppt

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Florentine Anders

Foto: Massimo Rodari

Die Bezirksverordneten-Versammlung lehnt den Antrag auf einen Schulversuch im Märkischen Viertel ab. Grund- und Oberschule werden nun nicht zusammengelegt. Eltern und Kinder sind enttäuscht.

In Reinickendorf wird es keine Gemeinschaftsschule geben. Das hat die CDU in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am Mittwoch mit einer knappen Mehrheit von zwei Stimmen durchgesetzt. Die in der Sitzung anwesenden Eltern und Lehrer reagierten sehr enttäuscht auf diese Entscheidung der BVV.

Bevor die CDU-Fraktion über ihren Antrag abstimmen ließ, musste sie nämlich erst einen entgegengesetzt lautenden Beschluss des Plenums vom Januar aufheben. Damals hatten die Grünen in einem Stadtplanungsbeschluss festgeschrieben, dass der Schulversuch Gemeinschaftsschule der Hannah-Höch-Schule und der Greenwich-Schule im Märkischen Viertel unterstützt werden soll. Da einige Abgeordnete der Union an diesem Tag fehlten, fand der Beschluss überraschend eine Mehrheit. Am Dienstag stimmte die CDU nun mit ihrer Mehrheit für die Aufhebung des zuvor gefassten Beschlusses.

„Wir werden prüfen, ob das rechtlich zulässig ist, aber in jedem Fall ist das ein unmöglicher politischer Stil“, sagte Torsten Hauschild, Fraktionsvize der Grünen in Reinickendorf, am Donnerstag. Die CDU sieht das freilich anders. „Wir wollen in Reinickendorf keine Schulexperimente auf Kosten der Kinder durchführen. Mit dem aktuellen Beschluss wurde die nur durch eine Zufallsmehrheit und einen Geschäftsordnungstrick der anderen Fraktionen zustande gekommene Beschlusslage der letzten Sitzung wieder gerade gerückt“, sagte CDU-Fraktionschef Jürn Jakob.

Leidtragende der parteipolitischen Scharmützel sind die Lehrer und Eltern der Hannah-Höch-Grundschule und der benachbarten Greenwich-Oberschule. Beide Schulen hatten im Sommer vergangenen Jahres beantragt, zu einer Gemeinschaftsschule zusammenzuwachsen. Denn obwohl der Anmeldezeitraum für die Oberschüler bereits am Montag begonnen hatte, war bisher unklar, ob die Schule ihr Wunschkonzept verwirklichen kann. Danach sollten alle Schüler von der ersten bis mindestens zur zehnten Klasse an einem Standort bleiben, ohne in verschiedene Leistungsgruppen getrennt zu werden. Die Gemeinschaftsschule sollte zudem eine eigene Abiturstufe erhalten. Das alles ist zunächst hinfällig.

„Das Bezirksamt wird dem Beschluss der BVV folgen und die Gemeinschaftsschule ablehnen“, sagte die Schulstadträtin Katrin Schultze-Berndt (CDU). Das Konzept der Gemeinschaftsschule sei gescheitert, so die Stadträtin. Die Probleme mit der Jahrgangsmischung an den Grundschulen zeigten, dass die Lehrer mit der differenzierten Förderung der Kinder überfordert seien. Die CDU jedenfalls werde Widerstand leisten gegen die von rot-rot geplante Abschaffung des gegliederten Schulsystems, so Schultze-Berndt.

Die Eltern sind mehr als verärgert, dass ihr Wille bei dem Beschluss außer Acht gelassen wurde. Denn die Gremien beider Schulen hatten sich eindeutig für den Schulversuch ausgesprochen. Die Hannah-Höch-Grundschule hat bereits jahrelange Erfahrung mit der individuellen Förderung der Kinder. Dort lernen die Schüler nicht nur jahrgangsgemischt, sondern auch in offenen Lernetagen, auf denen sie je nach Entwicklungsstand und Tagesform in Kleingruppen Unterrichtsangebote erhalten.

Die Senatsbildungsverwaltung hatte dem Antrag der Schulen bereits zugestimmt, auch der Schulausschuss des Bezirks und der Bezirkselternausschuss stimmten für das Modellprojekt. Die Eltern hatten 415 Unterschriften für die Gemeinschaftsschule gesammelt. „Ich bin fassungslos, mein gesamtes Demokratieverständnis ist infrage gestellt“, sagte Sandra Schüßler, Elternvertreterin der Hannah-Höch-Schule.

Ihr Sohn besucht die sechste Klasse. Die Anmeldung an der weiterführenden Schule müsse sie nun völlig neu überdenken. „Ich hätte mir gewünscht, dass das erfolgreiche Konzept der Grundschule in der Oberschule fortgesetzt wird“, sagte Sandra Schüßler. „Eltern und Lehrer sind wütend und fühlen sich ohnmächtig“, sagte Michael Tlustek, Leiter der Hannah-Höch-Schule. Die Bezirksstadträtin setze sich mit ihrer Entscheidung über den Willen aller Betroffenen hinweg. Der Schulleiter forderte die Senatsverwaltung auf, zu prüfen, wie der Modellversuch an diesem Standort dennoch verwirklicht werden kann.