Die Berliner SPD steckt elf Monate vor der Wahl in einem Dilemma. Noch nie in den vergangenen sechs Jahren haben die Sozialdemokraten in einer Morgenpost-Umfrage so schlecht abgeschnitten wie im neuesten Berlin-Trend. Mit 22 Prozent nähert sich die größte Regierungspartei nach 20 Jahren im Senat ihren niedrigsten Werten aus den krisengeschüttelten 90er-Jahren, als die SPD Juniorpartner der CDU war.
Es muss die Sozialdemokraten irritieren, dass ihr Absturz als Partei zusammenfällt mit einer deutlichen Erholung der Werte ihres Spitzenkandidaten Klaus Wowereit. Bei einer Direktwahl des Regierenden Bürgermeisters läge der Amtsinhaber anders als in den vergangenen Monaten wieder vor seiner Herausforderin Renate Künast von den Grünen. Der Einsatz, den Wowereit in den letzten Wochen in der Stadtpolitik gezeigt hat, macht sich hier bemerkbar. Der Regierende ist wieder präsent, tourt durch die Bezirke, eröffnet neue Fabriken, heißt neue Elektroautos willkommen, er hält Reden, ruft die Menschen zu Protesten gegen die geplanten Flugrouten auf und spricht sich dafür aus, das Volk in Referenden über Großprojekte abstimmen zu lassen.
Wowereit hat dadurch persönlich aufgeholt, vor allem bei den Sympathisanten der SPD, aber auch bei Wählern der CDU und der Linken liegt Wowereit deutlich vor Künast.
Rot-Grün ist Wunschkoalition
Die Menschen halten ihn für sympathisch, für führungsstark, für einen, der eine gute Figur abgibt, der mit den Problemen vertraut ist und sich mit Wirtschaft auskennt. Dennoch zahlt diese positive Einschätzung für Wowereit nicht auf das Konto der SPD ein. Die Frage ist also, was Wowereit noch tun kann, um seine SPD aus dem Tief zu führen, wenn schon ein deutlicher Aufschwung seiner persönlichen Werte mit einem weiteren Abrutschen der SPD im Berlin-Trend einhergeht.
Die Grünen haben in den vergangenen Monaten auch die Scharte ausgewetzt, sie seien nur eine Partei für den Westen der Stadt. Inzwischen erreicht die Öko-Partei auch in den östlichen Bezirken mit einem Plus von drei Prozentpunkten gegenüber dem September 24 Prozent und avancierte zur zweitstärksten Kraft im Osten nach den Linken, die dort 30 Prozent behaupten (plus eins). Es folgen die SPD mit 21 Prozent (minus 2), die CDU mit 15 (minus 2) und die FDP, die nach einem erneuten Verlust von zwei Punkten mit zwei Prozent in den Ostbezirken auf den Rang einer Splittergruppe abgestürzt ist.
Im Westen dominieren die Grünen inzwischen mit 34 Prozent die politische Landschaft und haben elf Punkte zwischen sich und die mit 22 Prozent gleich starke Konkurrenz von SPD (minus 2) und CDU (minus 3) gelegt. Die Linke kommt im Westen auf acht (plus eins), die FDP unverändert auf vier Prozent.
Trotz des für die Grünen ungemein positiven Meinungsklimas kann sich die Stadt einen Senat unter Führung einer Regierenden Bürgermeisterin Renate Künast noch nicht so richtig vorstellen. Vor allem Sozialdemokraten, aber auch Anhänger der CDU und der Linken bevorzugen mit deutlicher Mehrheit einen SPD-Bürgermeister, wenn es schon zu einer Verbindung von Sozialdemokraten und Grünen kommen sollte.
Nur die Grünen-Anhänger sind zu vier Fünfteln dafür, dass ihre Partei die Senatschefin stellen sollte. Insgesamt sagen 51 Prozent der Befragten sagen, der nächste Senat sollte SPD-geführt sein, wenn Rote und Grüne zusammengehen. 37 Prozent hielten es für besser, wenn eine Grüne im Roten Rathaus regierte.
Dass SPD und Grüne gemeinsam den neuen Senat stellen, ist in Berlin eine überaus populäre Vorstellung. 41 Prozent der Befragten sagten, diese Zusammensetzung sei ihnen persönlich am liebsten. Für diesen hohen Wert sorgt vor allem die große Unterstützung, die diese Koalitionsvariante unter den in der Statistik eben auch sehr zahlreich vertretenen Wähler dieser beiden Parteien genießt. Alle anderen Koalitionen kommen zusammen gerade mal auf die gleiche Rate an Zustimmung.
Unter den Anhängern der Sozialdemokraten bevorzugen zwei Drittel ein Bündnis mit den Grünen, die Wähler der Öko-Partei sehen sogar zu 71 Prozent die Sozialdemokraten als Wunschpartner. Nur jeder Zehnte im Lager der SPD kann sich für das Bündnis mit der CDU erwärmen, das jahrelang unter dem inzwischen überholten Label „Große Koalition“ die Stadt führte. Und auch die amtierende rot-rote Koalition halten die Anhänger der SPD für ein Auslaufmodell: Die von Klaus Wowereit oft als erfolgreich gepriesene Koalition mit der Linken erachtet nur noch jeder sechste SPD-Freund als tauglich für die Zukunft.
Linke wollen weiter regieren
Im Lager des Koalitionspartners genießt diese Variante deutlich mehr Sympathie. 43 Prozent der Linken-Wähler wollen Rot-Rot fortsetzen. 23 Prozent schielen auch auf die jüngst vom ehemaligen Linken-Landeschef Stefan Liebich ins Gespräch gebrachte Option einer Koalition der Linken mit den Grünen. Diese Variante hätte derzeit rechnerisch sogar die Chance auf eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Zusammen kommen Grüne und Linke auf 47 Prozent. Auch Rot-Rot-Grün würde immerhin jeder sechste Wähler der Linken gern sehen, obwohl diese Option bei den Anhängern der anderen potenziellen Bündnispartner glatt durchfällt und fast keine Freunde findet. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Anhänger der Linken nach zehn Jahren an der Regierung durchaus dafür wären, dass ihre Partei an der Macht bliebe. Regierungen ohne Beteiligung der Linken und damit eine Oppositionsrolle für die eigenen Leute bezeichnet nur eine kleine Minderheit als Wunschkonstellation.
Im Unionslager klammern sich die Wähler an die Hoffnung, als Partner entweder mit Sozialdemokraten oder Grünen mit regieren zu können. Je ein Drittel setzt hierbei auf Rot-Schwarz oder auf Grün-Schwarz. Dass die CDU-Wähler kaum daran glauben, dass ihre Partei in den Monaten des Wahlkampfes noch den Führungsplatz erringt, zeigt ein anderer Wert: Nur neun Prozent derjenigen, die ihre Stimme der CDU geben wollen, wünschen sich die Koalition aus Union und FDP, die derzeit auf Bundesebene unter der Kanzlerin Angela Merkel regiert. Ein Senat unter Führung der CDU erscheint den Anhängern der bürgerlichen Opposition nach zehn Jahren der Krise offenbar jenseits ihrer Vorstellungskraft.
CDU mit Problemen
Ein weiteres Problem enthüllt der Berlin-Trend für die CDU. Ihre Negativpropaganda, wonach es der Stadt unter der rot-roten Regie furchtbar schlecht gehe, wird von ihren Anhängern nicht geglaubt. 58 Prozent der Unionswähler beurteilt die aktuelle wirtschaftliche Lage als sehr gut oder gut. Das sind deutlich mehr als selbst unter den Unterstützern der Regierungsparteien SPD und Linke oder unter den Grünen. Im Durchschnitt der Befragten halten 38 Prozent die wirtschaftliche Lage für gut oder sehr gut, 59 Prozent schätzen die Situation negativ ein. Die CDU-Wähler sind auch besonders optimistisch. 36 Prozent sagen, es werde Berlin in einem Jahr sogar noch besser gehen, nur jeder sechste befürchtet, es werde schlechter.
Wegen der Probleme der CDU scheint derzeit eben doch alles auf ein Duell zwischen Klaus Wowereit und Renate Künast hinauszulaufen. Dem sozialdemokratischen Amtsinhaber kann Hoffnung machen, dass er bei den Anhängern der Union und auch der Linken gut abschneidet, wenn diese ihn und die Grünen-Spitzenfrau vergleichen. Das kann entscheidend sein, wenn es darum geht, ob sich im Sommer 2011, kurz vor den Wahlen so etwas wie eine echte Wechselstimmung in der Stadt aufbaut, die sich gegen den amtierenden Senatschef richtet, oder eben nicht. Wenn die Unionswähler nicht zu Künast überlaufen, um Wowereit loszuwerden, hat der Sozialdemokrat eine Chance, den Rückstand gegenüber Künast bis zum September 2011 wett zu machen.
Die Umfrage des Berlin-Trends, für den Infratest dimap im Auftrag der Berliner Morgenpost und der RBB-Abendschau am 25. und 26. Oktober 1000 wahlberechtigte Berliner telefonisch befragte, zeigt aber auch eine echte Schwierigkeit für Wowereit. Während er mit seinen Kompetenzen in Sachen Führungsstärke oder wirtschaftlicher Sachverstand bei den Wählern fast aller Lager ordentlich abschneidet, hat der Regierende offenbar ein Image-Problem. Nicht einmal jeder dritte Befragte hält den 57 Jahre alten Juristen für glaubwürdiger als seine Herausforderin. Und nicht einmal jeder vierte meint, der Sozialdemokrat setze sich mehr als die Grüne für soziale Gerechtigkeit ein.