An der Anschlagtafel vor dem Saal 672 des Moabiter Kriminalgerichts ist der Name Paul Hartmut Würdig vermerkt. Das indes hätte kaum dafür gesorgt, dass der Flur mit Pressefotografen und Prozessbeobachtern dicht gefüllt ist. Aber wer gekommen ist, der weiß auch, wie sich dieser Herr Würdig als Künstler nennt: Sido, der Rapper, 28 Jahre alt, bekannt geworden durch seinen Song „Mein Block“, der vom Leben im Märkische Viertel erzählt.
Sido, der am Ende dieses Verfahrens 14.000 Euro zahlen wird, ist in diesem Verfahren vor dem Amtsgericht angeklagt wegen Beleidigung, Bedrohung und versuchter gefährlicher Körperverletzung. Tatort ist ein Café namens „Aromabar“ in Friedrichshain. Genau dort soll der Rapper am 20. August 2007 gegen 13.30 Uhr Gäste des Cafés attackiert haben. Zunächst verbal, anschließend – so steht es im Anklagesatz – durch Würfe: „vier Steine durch das Fenster in Richtung der Geschädigten Renate B.“
Der Rapper erschien mit verbundener Hand im Gerichtssaal. Er hatte sich bei der PS-Schlacht in Stefan Raabs Show "TV total Stock Car Crash Challenge“ am Sonnabend an der Hand verletzt. Sein Rennwagen überschlug sich bei dem Showrennen des TV-Senders ProSieben. Weil Sido dabei einen Arm aus dem Fenster gehalten hatte, zog er sich eine Prellung an der Hand zu. Zunächst war Sido mit Verdacht auf einen gebrochenen Arm ins Krankenhaus gekommen.
Streit um einen Parkplatz
Der Rapper will am Montag im Gericht etwas zu den Vorwürfen sagen. Er ist reuig. Jedenfalls versucht er, diesen Eindruck zu wecken. Zumindest zu Beginn des Prozesses. Ausgang des Streits, sagt er, sei ein Parkplatz gleich neben dem Café gewesen. Angeblich sein Parkplatz, weil sich unmittelbar dahinter die Einfahrt zu seiner Garage befinde.
Doch der 47-jährige Karsten B. sah es anders. Er hatte Wochen zuvor schon einmal mit seiner schwer behinderten Mutter das Café an der Warschauer Straße besucht. Und weil sich die 69-jährige Renate B. mit ihren Gehhilfen so schwer fortbewegen kann – ihr wurde ein Fuß amputiert – hatte er in der Nähe des Eingangs geparkt: auf Sidos Parkplatz. Es kam damals schon zu einem heftigen Wortwechsel mit Sidos Freundin Doreen S., die Karsten B. aufforderte, den Parkplatz zu verlassen. Wie sich herausstellte, um ihren eigenen Wagen dort parken zu können. Es soll hernach sogar die Polizei gerufen worden sein. Was aber, wie es sich am 20. August bestätigte, offenkundig nicht zu einer Befriedung der Parteien führte.
An jenem Tag kam Doreen S. wieder mit ihrem Auto, wieder war der Parkplatz besetzt und wieder war es der Wagen von Karsten B. Er habe ihr noch provokant zugewinkt und die Lippen zu einem Kuss gespitzt, als sie am Fenster des Cafés vorbei gelaufen sei, sagt Sido. Als die Freundin den Mann angesprochen habe, sei er beleidigend geworden. „Sie kam nach oben, war aufgewühlt und weinte.“
Sido fand es "amüsant" und "witzig"
Das war zu viel für Sido, der keinen Hehl daraus macht, cholerisch zu sein. Nach seiner Version sei er in das Café gelaufen, habe mit dem Mann reden wollen, der sei jedoch uneinsichtig gewesen und habe „herablassend“ reagiert. Anschließend sollen die im Anklagesatz vermerkten inkriminierten Sätze gefallen sei: „Ich steche dich ab, ramme dir das Messer rein. Mit einer Krücke erschlage ich deine Mutter, die andere stecke ich dir in den A...“
Sido weiß nicht mehr, ob er es wirklich so sagte. „Aber der Satz mit den Krücken klingt schon sehr nach mir“, gibt er zu, „Ich bin Rapper, ich rede gern etwas überspitzt.“ Er finde es ohnehin „amüsant“ und „witzig“, so Sido. „Für mich ist das noch keine krasse Beleidigung.“
Den zweiten Anklagepunkt relativiert er. Ja doch, er habe Steine geworfen: „Im Affekt. Eine Handvoll durch das offene Fenster des Cafés.“ Er sehe das heute auch nicht als Tat, „auf die man stolz sein kann oder über die ich mich freuen würde.“ Gezielt habe er jedoch keineswegs auf Renate B. „Ich kannte sie ja gar nicht.“
Steine werden aus der Asservatenkammer geholt
Die als Zeugin geladene Renate B. hat es anders in Erinnerung. Sie spricht von mehreren Würfen mit Pflastersteinen aus einer Entfernung von vier bis fünf Metern. Glücklicherweise sei sie nicht getroffen worden. Sie leide aber heute noch unter diesem Angriff.
Die Verteidiger beantragen daraufhin, die Steine aus der Asservatenkammer holen zu lassen. Wenige Minuten später erscheint ein Justizbediensteter mit einer braunen Tüte. Frau B. erkennt die Steine. Es handelt sich um Kiesel mit einem Durchmesser von höchsten zwei Zentimetern. „Pflastersteine sehen anders aus“, sagt der Richter.
Er bittet um ein Rechtsgespräch. Verteidiger, Nebenkläger, Richter und Staatsanwältin verhandeln hinter geschlossener Tür. Am Ende gibt es keine Verurteilung, aber auch keinen Freispruch. Das Verfahren wird eingestellt. Im Gegenzug muss Sido 14.000 Euro zahlen. 2000 Euro an Renate B., der Rest soll zwei gemeinnützigen Vereinen zugute kommen.
Paul Hartmut Würdig alias Sido wird das zahlen. Locker. Grinsend verlässt er den Saal.