Schulreform

Neue Sekundarschulen - Lehrer rufen nach Hilfe

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Florentine Anders und Regina Köhler

Foto: Massimo Rodari

Schulleiter und Lehrer der neuen Schulform in Berlin fordern eine bessere Raumausstattung und mehr Personal für den Ganztagsbetrieb. Bildungssenator Zöllner hingegen spricht von einem "gelungenen Start".

An den Berliner Sekundarschulen wächst der Unmut: Viele Lehrer sehen unter den derzeitigen Bedingungen die Schulreform in Gefahr. Während Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) von einem gelungenen Start spricht, kritisieren Pädagogen, dass Schulräume fehlen und nicht genügend Personal vorhanden ist. „Ein Viertel der neuen Sekundarschulen hat so große Probleme, dass sie fürchten müssen, zu neuen Restschulen zu werden“, sagt Norbert Gundacker von der GEW. Vor allem an schwierigen Standorten müsse der Senat dringend diesem Trend entgegensteuern.

Am gestrigen Donnerstag haben deshalb Lehrer von drei Sekundarschulen in Tempelhof-Schöneberg vor dem Schöneberger Rathaus protestiert. Das größte Problem für die Sekundarschulen ist die Organisation des Ganztagsangebots. Dabei wird gerade der Ganztagsbetrieb der neuen Schulen, die durch die Zusammenlegung von Haupt-, Real- und Gesamtschulen entstanden sind, von Bildungssenator Zöllner immer wieder als besonderer Pluspunkt der Schulreform dargestellt.

„Unsere Schule fährt vor die Wand“, warnt Rainer Haag, Lehrer an der 7. Sekundarschule von Tempelhof-Schöneberg, zu der die ehemalige Werner-Stephan-Hauptschule und die Dag-Hammarskjöld-Realschule miteinander fusionierten. Der Ganztagsbetrieb lasse sich gar nicht umsetzen, da es nicht genügend Platz für Freizeitbereich und Mensa gebe. Es fehle an Teilungsräumen und an einer Schulstation. Dabei ist das Gebäude der Schule groß genug – eine ganze Etage wird jedoch von der Volkshochschule belegt.

Auf diese Weise sei es unmöglich, ein attraktives Profil zu entwickeln, so Haag. Die Folge: Vor allem Problemschüler kämen an die Schule. „Die Hälfte der Schüler in den siebenten Klassen hat zwar eine Realschulempfehlung, doch die sagt wenig aus über den tatsächlichen Förderbedarf“, sagt Haag. Eine Kollegin fügt an, dass in ihrer siebenten Klasse der Notendurchschnitt aller Schüler in Mathematik bei 4,5 lag. Um die Schule auch für leistungsstarke Schüler attraktiv zu machen, müsse unbedingt mehr Geld in die Hand genommen werden.

Die offenen Klagen der Lehrer sind neu. „Die Schulleitungen halten sich mit der Kritik zurück, weil sie befürchten, damit bei den bevorstehenden Anmeldungen der neuen siebenten Klassen die bildungsbewussten Eltern zu verprellen“, sagt Norbert Gundacker von der GEW. In einigen Fällen hätten sogar die Schulkonferenzen beschlossen, dass keine Kritik nach außen dringen dürfe.

Sinnvolle Angebote fehlen

Dramatisch schildern Lehrer der Gustav-Langenscheidt-Sekundarschule an der Belziger Straße die aktuelle Situation in den siebenten Klassen. Größtes Problem sind auch hier fehlende Räume. Dabei hatte sich das Kollegium trotz der für sie zu erwartenden Mehrbelastung für einen gebundenen Ganztagsbetrieb entschieden. „Wir stehen alle voll hinter der Idee der Sekundarschule“, sagt Volke Kerckhoff. Doch nach den ersten Monaten ist die Ernüchterung offenbar groß. „Die Schüler müssen zwar bis 15.30 Uhr in der Schule bleiben, aber es gibt nur einen kleinen Freizeitraum für 90 Schüler“, sagt Kerckhoff. Auch die Mensa, die eigentlich schon im November fertig werden sollte, wird erst in zwei bis drei Wochen eröffnet. Es fehle an Platz und Personal für sinnvolle Angebote am Nachmittag. Es sei kein Wunder, dass sich die Energie der Jugendlichen dann unkontrolliert entlade. Der Lärmpegel auf den Gängen sei extrem. Sogar der Fachraum für Musik musste zum Klassenraum umfunktioniert werden, weil statt vier siebten Klassen im Sommer plötzlich fünf Klassen entstanden.

Zum kommenden Schuljahr soll die Schule nun sogar sechs neue Klassen aufmachen. Harald Rehberg, der seine Tochter in der siebenten Klasse hat, ist enttäuscht. „Es gibt kein einziges Angebot am Nachmittag bis auf einen Chor, der gerade im Aufbau ist“, sagt der Vater. Der Musikunterricht falle aufgrund des fehlenden Raumes ganz aus.

Doch auch abseits von den schwierigen Standorten beklagen viele Sekundarschulen unzureichende Bedingungen für die neue Schulform. Martina Schult, Schulleiterin der Sekundarschule Wilmersdorf, bringt das Problem auf den Punkt: „Die Mittel zur Ausgestaltung des Ganztages reichen einfach nicht“, sagt sie. Ihre Schule bezahle zwei Sozialarbeiter, die seien für den Ganztagsbetrieb unverzichtbar. Damit sei das zur Verfügung stehende Geld aber nahezu aufgebraucht. Weitere notwendige Angebote wie Arbeitsgemeinschaften oder Kooperationen mit Vereinen könnten nur deshalb aufrechterhalten werden, weil Eltern und ehrenamtliche Helfer einspringen. Auf die Dauer sei das jedoch keine Lösung.

Auch Robert Hasse von der Sekundarschule Skalitzer Straße in Kreuzberg sagte, dass der Ganztagsbetrieb an seiner Schule ohne freiwillige Helfer nicht funktionieren würde. Mehr Mittel für den Ganztag forderte auch Hartwig Beier, Schulleiter der Neuköllner Clay-Sekundarschule. Sozialarbeiter und Erzieher für die Ganztagsbetreuung habe er bisher mit Geld aus dem Personalkostenbudget bezahlt. Wegen eines hohen Krankenstandes müsse er dieses Geld nun fast vollständig für Vertretungslehrer ausgeben. „Ich habe deshalb Angst um unser Ganztagskonzept“, sagte Beier.