Der Verkehrsvertrag des Landes mit der Berliner S-Bahn steht jetzt in Brüssel auf dem Prüfstand. Die EU-Kommission prüft eine Beihilfebeschwerde der Grünen: EU-Verkehrskommissar Antonio Tajani reagierte damit auf eine Beschwerde des Grünen-Europaabgeordneten Michael Cramer. Der Vorwurf: Die S-Bahn bekommt staatliche Zuschüsse in Millionenhöhe, führt aber gleichzeitig Gewinne an den Mutterkonzern Bahn ab – zu hohe Gewinne, wie die Grünen meinen. "Ich hoffe, dass die Kommission den allein auf Rendite ausgerichteten Geschäftspraktiken bei der Berliner S-Bahn schnellstmöglich ein Ende setzt“, sagt Cramer.
Hintergrund ist eine Beihilfebeschwerde der Berliner Grünen gegen den laufenden Verkehrsvertrag zwischen Land und S-Bahn. Nach ihrer Auffassung verstößt jener gegen EU-Recht. Die Grünen sehen in den vertraglich festgelegten Zahlungen des Landes an die S-Bahn eine unzulässige staatliche Beihilfe, weil sie es der Bahntochter ermögliche, einen „unangemessen hohen Gewinn“ an den Mutterkonzern Deutsche Bahn abzuführen. In diesem Jahr sollte das Land Berlin 232 Millionen Euro an die S-Bahn zahlen. Zugleich sollte jene nach Bahn-Planungen 87 Millionen Euro als Gewinn an den Mutterkonzern abführen. Im kommenden Jahr sollte die Gewinnabführung sogar auf 125 Millionen Euro steigen.
Zwar sind diese Zahlen angesichts der seit Monaten andauernden Krise der S-Bahn Berlin GmbH längst hinfällig. Weil wegen Wartungsmängeln zeitweise bis zu drei Viertel der Züge ausfielen, hat das Land seine Zahlungen bereits jetzt um 28 Millionen Euro gekürzt. Auch verhandelt der Senat seit Wochen hinter verschlossenen Türen mit der Bahn über Nachbesserungen am Vertrag.
Doch nach Ansicht der Grünen reicht das nicht aus. Das EU-Vergaberecht erlaube staatliche Zuwendungen an ein Verkehrsunternehmen nur, um dessen Aufwendungen zu kompensieren, betont Cramer. „Millionengewinne zu Lasten der Kunden, der Sicherheit der Fahrgäste und der öffentlichen Hand sind darunter sicherlich nicht zu verstehen.“
Sollte die EU-Kommission sich dieser Meinung anschließen, könnte sie den Vertrag für nichtig erklären. Die S-Bahn müsste unter Umständen hohe Millionenbeträge an das Land zurückzahlen. Derzeit will sich das Unternehmen dazu nicht äußern.
Nach Einschätzung des Privatbahnverbandes Mofair stehen die Chancen für einen Erfolg der Beschwerde aber gut. In einem vergleichbaren Verfahren um den umstrittenen Verkehrsvertrag für den Regionalverkehr in Berlin und Brandenburg, hat die EU-Kommission erst jüngst bekräftigt, dass sie die aktuellen Zahlungen der Länder an die Bahn nach bisheriger Einschätzung für zu hoch hält. Brüssel droht mit einer Klage, sollten Bund, Länder und Bahn nicht das Gegenteil nachweisen.
Auch vor diesem Hintergrund entschloss sich der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB), den Betrieb von 16 Regionalstrecken auszuschreiben. Ergebnis: Die Bahn verliert ab 2012 zwei wichtige Regionalexpress-Linien an einen privaten Konkurrenten.
Ähnliches droht dem Konzern auch bei der S-Bahn. Die Grünen und andere Oppositionsparteien im Abgeordnetenhaus dringen schon jetzt auf eine Neuausschreibung des Zugverkehrs, spätestens zum Vertragsende im Jahr 2017.
Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) will sich erst nach Abschluss der Nachverhandlungen über den laufenden Vertrag zur Ausschreibungsfrage äußern. Zuletzt war von einer Entscheidung Mitte 2010 die Rede. Jutta Matuschek, verkehrspolitische Sprecherin des Koalitionspartners Linke, rechnet mit einer Weichenstellung sogar erst 2011.
Tatsächlich lässt das EU-Recht der rot-roten Regierung aber kaum Spielräume. Am 3. Dezember tritt eine neue Verordnung in Kraft, die das Vergaberecht im öffentlichen Personenverkehr regelt. Eine erneute Direktvergabe an die Deutsche Bahn ohne vorherige Ausschreibung sei damit „völlig ausgeschlossen“, sagt Mofair-Geschäftsführer Engelbert Recker.
Ein Schlupfloch bietet die EU-Verordnung 1370/2007 jedoch. Eine Direktvergabe ist zulässig, wenn der Auftrag an ein Unternehmen geht, über das die Landesbehörde „eine Kontrolle ausübt, die der Kontrolle über ihre eigenen Dienststellen entspricht“. Gemeint sind vor allem kommunale oder landeseigene Unternehmen wie die BVG.
Linken-Verkehrsexpertin Matuschek wirbt deshalb bereits für eine Übernahme der S-Bahn durch das Land. Dass die Kosten enorm wären, räumt sie ein. „Aber, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“