Berliner Sozialgericht

Hartz-IV-Klagen steigen noch mal um 20 Prozent

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Reuters/dapd/sei

Eine Steigerung schien kaum möglich. Doch das bundesweit größte Sozialgericht in Berlin vermeldet für das Jahr 2010 noch einmal eine deutliche Zunahme der Klagen gegen Hartz IV.

Die Sozialgerichte werden immer stärker mit Hartz-IV-Klagen überschwemmt. Das bundesweit größte Sozialgericht in Berlin verzeichnete im vergangenen Jahr fast 32.000 neue Klagen im Zusammenhang mit dem Arbeitslosengeld II, wie Gerichtspräsidentin Sabine Schudoma am Dienstag in Berlin mitteilte. Das seien 5000 oder rund 20 Prozent mehr gewesen als im Vorjahr. Seit Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV) im Jahr 2005 habe sich die Zahl der Neueingänge mehr als vervierfacht. Inzwischen beträfen drei von vier neuen Klagen am Sozialgericht Hartz IV. Vergangene Woche habe das Gericht seine 117.000. Hartz-IV-Klage registriert. Im Schnitt kämen monatlich 2700 Verfahren hinzu. „An der Nordsee folgt auf Flut die Ebbe. Am Sozialgericht Berlin steigt die Klageflut Tag und Nacht“, erklärte die Präsidentin.

Gründe für die Zunahme der Klagen sieht Schudoma in der Vielzahl verschickter Leistungsbescheide. Finanzielle Hilfen für Bedarfsgemeinschaften würden von den Jobcentern halbjährlich genehmigt. Entsprechend hoch sei die Fehlerquote. Zugleich sei „Berlin die Hauptstadt der Aufstocker“, sagte die Präsidentin. Arbeitnehmer, deren Einkommen leicht über dem Regelsatz von Hartz IV liegt, haben Anspruch auf finanzielle Unterstützung.

Parallel dazu wächst nach Angaben des Gerichts der Berg unerledigter Verfahren. Ende Dezember vergangenen Jahres habe es bereits 39.000 offene Verfahren gegeben. „Das Gericht müsste ein Jahr schließen, um den Aktenberg abzuarbeiten“, sagte Schudoma.

Etwa jede zweite Klage geht zugunsten von Hartz-IV-Beziehern aus. „Die Hartz-IV-Klagewelle ist keine Wutwelle“, sagte Schudoma. Am Gericht entlade sich keine allgemeine Empörung, sondern es gehe um konkrete Ansprüche. „Fälle von Sozialbetrug sind die krasse Ausnahme“, sagte die Gerichtspräsidentin. In den Hartz-IV-Klagen gehe es oft um die Anrechnung von Einkommen, Kosten der Unterkunft und Verletzung von Bearbeitungsfristen.

„Eine Erfolgsquote von 50 Prozent ist ein klares Signal an die Politik – vergesst die Praxis nicht“, sagte Schudoma. Ein wesentlicher Schlüssel zur Entlastung der Sozialgerichte liege bei den Jobcentern, deren Mitarbeiter das Gericht als kompetent und engagiert erlebe. Ihnen würden aber immer mehr Aufgaben auferlegt. „Weniger Bürokratie, bessere Software, mehr Zeit für den Einzelfall – das wären Schritte in die richtige Richtung“, appellierte Schudoma an die Politik.

Die Präsidentin sprach sich für weitere Reformen aus, um die Klageflut einzudämmen. Nach ihrer Ansicht sollte die Gerichtsgebühr für Jobcenter wieder eingeführt werden. Bis Juli 2006 hätten die Behörden für jedes Verfahren am Sozialgericht 150 Euro zahlen müssen. Diese Gebühr wäre ein „wirkungsvoller Anreiz“ zur außergerichtlichen Einigung, sagte Schudoma.