Deutsche Schüler werden gemobbt, von Migrantenkindern in Schulen ausgegrenzt, beschimpft oder auch bestohlen. Seit diese Probleme an Schulen, vor allem in sozialen Brennpunkten in Berlin, bekannt geworden sind, ist nun ein Streit darüber gebrannt, wie solches Mobbing verhindert werden kann. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), forderte am Freitag, dass in Berlin mehr gegen diese Vorfälle getan werden müsse. Und es müsse Deutsch gesprochen werden.
Auch andere, vor allem konservative Politiker, sehen in einem konsequent deutschsprachigen Unterricht das richtige Mittel, um das Mobbing deutscher Kinder zu verhindern. Verschiedene Bildungsexperten und Politiker der Berliner Regierungskoalition warnen hingegen davor, Mobbingvorfälle an Berliner Schulen auf einen Konflikt zwischen Deutschen und Zugewanderten zu reduzieren. Sie halten Aggressionen zwischen Schülern für ein soziales Problem.
Allein im vergangenen Jahr wurden 78 Mobbingfälle bei der Senatsbildungsverwaltung angezeigt. „Nur in elf Fällen wurden deutsche Schüler von Kinder mit Migrationshintergrund gemobbt“, sagte Beate Stoffers, Sprecherin der Bildungsverwaltung, am Freitag. Die Berichte über deutschenfeindliche Äußerungen an Berliner Schulen müssten ernst genommen werden, mahnte dagegen Maria Böhmer. Es sei nicht hinnehmbar, wenn Schüler und Lehrer sich deutschfeindliche Äußerungen anhören müssten oder sogar eingeschüchtert würden, so die Staatsministerin. „Klar ist: Deutsch ist Schulsprache“, sagte Maria Böhmer. Wenn eine gemeinsame Sprache gesprochen werde, verhindere dies Konflikte, die durch Ausgrenzung oder Missverständnisse entstehen könnten. Schulen mit einem hohen Migrantenanteil dürften aber auch nicht allein gelassen werden, verlangte die Integrationsbeauftragte. „Sie brauchen mehr Geld, mehr Lehrer sowie mehr Zeit, damit sie Ganztagsunterricht anbieten können.“
Große kulturelle Unterschiede
Anstoß für die Debatte über die Diskriminierung deutscher Kinder war ein Artikel in der Berliner Lehrerzeitung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Zwei Lehrer der Hector-Peterson-Oberschule hatten berichtet, dass immer mehr deutsche Kinder von Schülern aus türkisch- und arabischstämmigen Familien gemobbt würden. Eine Tagung der GEW hat das Thema „Mobbing“ jetzt öffentlich gemacht. Doch auch nach den Expertengesprächen und Workshops in der vergangenen Woche, die voll ausgebucht waren, sieht Rose-Marie Seggelke, Vorsitzende der GEW, noch keine schnelle Lösung. „Wir arbeiten daran“, sagte sie. Mit Sicherheit müsse es aber an den Schulen mehr Sozialarbeiter, Psychologen und Schulstationen geben, die solche Vorfälle sofort registrieren und eingreifen können. Wichtig seien auch mehr Mitarbeiter mit Migrationshintergrund, die die Sprache sprechen und die Schimpfworte auch verstehen. Bereits in der Ausbildung sollten angehende Lehrer auf das Problem hingewiesen und dafür sensibilisiert werden.
Günter Peiritsch, Vorsitzender des Landeselternausschusses, hält verbale Ausfälle gegen Mitschüler und Lehrer „eher für ein soziales als für ein sprachliches Problem“. Menschen mit einer schwachen sozialen Basis würden sich häufig ein Ventil suchen. An Brennpunktschulen mit einem Migrantenanteil von 70 bis 80 Prozent würden sich kulturelle Gegensätze und soziale Unterschiede besonders heftig entladen. Wie die GEW wirbt der Landeselternvertreter deshalb für mehr Erzieher und Sozialpädagogen an Problemschulen. Keinesfalls könnten die wegen Personalmangel ohnehin schon überforderten Lehrer weitere Kraft im Kampf gegen Mobbing aufbieten. „Das ist dann eine Spirale nach unten“, sagte Peiritsch. Auch Sascha Steuer, Bildungsexperte der CDU-Fraktion, fordert mehr Unterstützung der Lehrer und Schulleiter. „Der Senat hilft den Schulen nicht bei der Durchsetzung des Schulgesetzes und der Vermittlung unserer Regeln und Normen“, sagte Steuer. Diskriminierungen dürften an den Schulen keinen Platz haben. Seiner Meinung nach mache die Bildungsverwaltung mit der jüngst erschienen Broschüre „Islam und Schule – Handreichung für Lehrer an Berliner Schulen“ genau das Falsche. So werde empfohlen, in der Fastenzeit keine Klausuren zu schreiben. Auch im Sport- und Schwimmunterricht solle Rücksicht auf die Befindlichkeiten muslimischer Mädchen genommen werden. „Die Handreichung beschreibt, wie der Unterricht nach islamischen Regeln zu organisieren ist“, sagte Steuer.
Feiertage gemeinsam wahrnehmen
Die Gleichberechtigung verschiedener Kulturen an der Schule und zweisprachigen Unterricht – das sieht Reinhard Roth, Leiter der Berliner John-F.-Kennedy-Schule, als wichtiges Mittel, um Konflikten zwischen Schülern aus verschiedenen Nationen entgegenzuwirken. Die deutsch-amerikanische Gemeinschaftsschule gilt als Beispiel für gelungene Integration. „Wir haben es einfach, es handelt sich bei uns um zwei westliche Kulturen mit vielen Berührungspunkten“, räumte Roth ein. „Aber wir feiern hier St. Martinstag genauso wie Thanksgiving.“ Der Schulleiter hält es auch an Brennpunktschulen mit hohem Anteil türkisch- oder arabischstämmiger Kinder für erfolgversprechend, mehr auf die kulturellen Eigenheiten aller Schüler einzugehen. Dazu sei es wichtig, dass alle Lehrer die Muttersprache ihrer Schüler beherrschten. An der Kennedy-Schule habe es sich ebenfalls bewährt, alle Klassen in etwa zur Hälfte mit deutschen und amerikanischen Schülern zu besetzen. „Es gibt keine Patentrezepte“, sagte Roth. „Aber die gegenseitige Wertschätzung der Kulturen ist ein wichtiger Baustein für die Integration.“
Mehr Verantwortung für die Lösung von Mobbing-Konflikten sieht Hans Merkens von der Freien Universität bei den Lehrern. Mobbing sei ein Problem von Außenseitern, sagte der Leiter des Arbeitsbereichs Empirische Erziehungswissenschaften. „Lehrer müssen genau identifizieren, welchem Schüler die Gefahr drohe, als Außenseiter gemobbt zu werden“, sagte Merkens. Dieser Schüler müsste dann gezielt in Projekte integriert werden, wo er eine Schlüsselposition einnehmen sollte.
Auch FDP-Bildungsexpertin Mieke Senftleben sieht die Lehrer in einer Schlüsselrolle. Sie müssten auf Mobbingfälle „sofort reagieren“ und die Eltern bestellen oder notfalls auch aufsuchen. „So etwas wirkt nach meiner Erfahrung Wunder“, sagte die Berliner FDP-Abgeordnete. „Lehrer, die dabei überfordert sind, müssen sich Hilfe holen, zum Beispiel vom Jugendamt“, sagte Mieke Senftleben. Um Lehrer für Mobbing zu sensibilisieren, gebe es bereits verschiedene Fortbildungen und Studientage zur interkulturellen Kompetenz, sagte Beate Stoffers von der Senatsbildungsverwaltung. Der SPD-Abgeordnete Raed Saleh warnt davor, die Mobbing-Problematik zum Kampf von Moslems gegen Christen hochzustilisieren. Nach seiner Erfahrungen beleidigten sich nicht nur junge Deutsche und Migranten gegenseitig, auch Kinder von Hartz-IV-Empfängern würden häufig gemobbt. Solche Vorfälle seien meist eine Folge „gefährlicher Halbbildung“. Saleh möchte eine „Kampagne für ein neues Wir-Gefühl“. Lehrer, Eltern und gesellschaftliche Gruppen müssten die Gemeinsamkeiten stärker hervorheben als Trennendes.