Deutschenfeindlichkeit

Wie Migranten deutsche Kinder mobben

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Florentine Anders

Ausgegrenzt, beschimpft, bestohlen: An einer Sekundarschule in Berlin-Kreuzberg wurde ein deutscher Junge monatelang Mobbing-Opfer seiner türkischen und arabischen Mitschüler. Der Erfahrungsbericht eines 13-Jährigen.

Der 13-jährige Lukas (Name von der Redaktion geändert) steht vor seiner neuen Schule und redet munter mit Freunden aus seiner Klasse. Vor einigen Monaten war das noch unvorstellbar: Ein Jahr lang besuchte er eine Kreuzberger Sekundarschule und wurde dort von seinen türkischen und arabischen Mitschülern so lange gemobbt, bis die Mutter die Notbremse zog und ihn die Schule wechseln ließ.

Die Gewerkschaft GEW hatte in den vergangenen Tagen eine Debatte zur Deutschenfeindlichkeit an Schulen angestoßen, denn immer häufiger berichten Lehrer an Brennpunktschulen über dieses Problem. Beschimpfungen wie „Schweinefleischfresser" seien häufig an der Tagesordnung, heißt es in den Berichten.

Im Nachhinein macht sich Lukas' Mutter Vorwürfe, dass sie bei der Anmeldung ihres Sohnes an der Kreuzberger Sekundarschule so blauäugig sein konnte. Die Schulleiterin habe ihr bei dem Vorstellungsgespräch versprochen, dass in den siebten Klassen mindestens 40 Prozent der Schüler deutscher Herkunft seien, sagt die Mutter. Es sollte tolle Ganztagsangebote geben und ein warmes Mittagessen. Und Lukas, der von der Grundschule eine Gymnasialempfehlung mitbrachte, hätte mehr Zeit bis zum Abitur als am Gymnasium. Das fand die Mutter überzeugend. „Verschiedene Kulturen, die sich gegenseitig bereichern, finde ich ja gut", sagt die Frau.

Ein Blick auf den Schulhof hätte ihr verraten, dass das eine Lüge war, sagt sie heute. Der tatsächliche Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund liege bei mehr als 90 Prozent. Die angebliche Mensa entpuppte sich als Cafeteria, in der lediglich türkische Pizza und Börek verkauft wurde.

Nur drei Schüler in der Klasse von Lukas waren deutscher Herkunft, in den Parallelklassen waren es noch weniger. Sie alle wurden von den Mitschülern ausgegrenzt und beschimpft, erzählt Lukas. „Wir wurden als Ausländer bezeichnet", sagt er. Ab und zu hätten sich die anderen den „Spaß" gemacht und alle blonden Schüler auf der einen Seite und alle schwarzhaarigen auf der anderen Seite antreten lassen, nur um zu zeigen, dass die anderen in der Übermacht sind. „Dann haben sie uns immer auf Türkisch beschimpft. Wir wussten, dass es Schimpfwörter sind, haben aber kein Wort verstanden", erzählt der 13-Jährige.

Die Lehrer seien nicht eingeschritten. Lukas meint, die Pädagogen hätten zumindest darauf dringen können, dass die Mitschüler Deutsch sprechen sollten. Einmal sei eine Lehrerin dazugekommen, als er auf dem Flur in eine Ecke gedrängt und von einer Gruppe Mitschüler auf Türkisch angeschrien wurde. „Ich habe ihr erzählt, was los ist, aber ich hatte Angst, Namen zu nennen", sagt Lukas. „Dann wäre ja alles noch schlimmer geworden." Außerdem sei das nicht so einfach, denn viele Schüler seien daran beteiligt gewesen. „Es gab nicht den einen Anführer, der die anderen beeinflusst hätte", sagt Lukas. „Die meisten waren der Meinung, dass wir an dieser Schule nichts zu suchen hätten." Die Pädagogen argumentierten, solange sie keine Namen hätten, könnten sie nichts unternehmen.

Die Lehrerin machte schließlich den Vorschlag, dass sich Lukas und die Mitschüler zusammensetzen und aussprechen sollten. „Das brachte gar nichts. Ich war ja allein mit denen. Es gab nicht mal einen Konfliktlotsen oder einen Vertrauenslehrer, der vermittelt hätte", sagt er.

Auf dem Schulhof hat Lukas mit seinen beiden deutschsprachigen Mitschülern bei den Zehntklässlern Schutz gesucht. In den zehnten Klassen habe es noch eine bessere Mischung von deutschsprachigen Schülern und Schülern aus Migrantenfamilien gegeben.

Auch in seiner Freizeit wurde Lukas von seinen Mitschülern schikaniert

Nach der Schule versuchte Lukas, auf dem kürzesten Weg nach Hause zu kommen. „Mit anderen Schüler etwas zu unternehmen war unvorstellbar", sagt der 13-Jährige. Doch zu Hause ging das Mobbing im Internet weiter. „Ständig habe ich bei Schüler-VZ Mails von Mitschülern mit Beschimpfungen bekommen", sagt Lukas. Er habe versucht, die Absender zu blockieren, doch es seien immer wieder neue Mails gekommen.

Einmal sei Lukas auf Strümpfen nach Hause gekommen, weil die Mitschüler seine Schuhe in die Mülltonne geworfen hatten. Ihr Sohn wollte aber aus Angst auf keinen Fall, dass sie mit den Lehrern über solche Vorfälle spricht. Immer häufiger wollte Lukas nicht zur Schule. „Ich konnte es einfach nicht mehr verantworten, ihn weiter in diese Schule zu schicken", sagt die Mutter. Sie machte sich noch vor Ablauf des ersten Halbjahres auf die Suche nach einer anderen Schule. Doch die waren alle voll.

Wochenlang war Lukas von einem Arzt wegen „Schulstress" krankgeschrieben. Verzweifelt wandte sich die Mutter an die Bildungsverwaltung. Es dauerte ein halbes Jahr, bis sie endlich an einer anderen Schule die Zusage für Lukas erhielt. Ein weiterer deutscher Mitschüler aus seiner Klasse wechselte ebenfalls zum neuen Unterrichtsjahr die Einrichtung. Die Lehrer an der Kreuzberger Schule bedauerten den Wechsel. „Leider gehen immer die falschen Schüler", haben sie resigniert zu Lukas' Mutter gesagt.

„Es ist mutig und nötig, dass das Tabuthema endlich angefasst wird", sagt Günter Peiritsch, Vorsitzender des Landeselternausschusses. Die Schulen müssten solchem Mobbing intelligent und entschlossen begegnen. „Es kann nicht sein, dass Kinder deutscher Abstammung, die in Berliner Problemkiezen die Minderheit bilden, insbesondere von arabisch- und türkischstämmigen Schülern diskriminiert werden. Auch darf nicht zugelassen werden, dass sich an Berliner Schulen deutsche Schüler aus Angst vor Übergriffen von Klassenkameraden mit Migrationshintergrund verstecken", sagt der Landesvorsitzende der CDU, Frank Henkel. Das seien unhaltbare Zustände.

Die Lösungsvorschläge sind bisher allerdings rar. Franziska Giffey, Bildungsstadträtin von Neukölln (SPD), will solchen Diskriminierungen verstärkt durch interreligiöse Projekte an den Grundschulen entgegenwirken. Auch antisemitische Äußerungen nähmen an vielen Schulen zu, so Giffey. Die Bildungsverwaltung will Diskriminierungen von deutschen Kindern zunächst in einer Statistik erfassen, um zu sehen, ob es sich hierbei tatsächlich um ein Problem handelt. Das kündigte Bildungsstaatssekretärin Claudia Zinke (SPD) in der Senatssitzung am Dienstag an.