Tanzprojekt

Amerikaner trainieren Jugendliche aus Problemkiezen

| Lesedauer: 9 Minuten
Regina Köhler

Foto: Promo

Die Künstlergruppe Young Americans arbeitet dort, wo die Probleme waren. Sie war bereits an vielen Brennpunktschulen, von der New Yorker Bronx über Berlin-Neukölln bis nach Berlin-Hellersdorf. Die Truppe lässt die Schüler tanzen und sorgt bei ihnen für ganz neue Erfahrungen.

Michaela ist skeptisch. Sie weiß nicht so recht, ob sie sich auf den Workshop mit den Young Americans freuen soll. „Keine Ahnung, was die mit uns machen werden“, sagt die 14-Jährige. Und dass sie sich überhaupt nicht vorstellen könne, auf einer Bühne zu singen und zu tanzen, sagt sie auch. „Zu Hause vor dem Spiegel mach ich das schon, aber vor anderen Leuten?“ Michaelas Freundin Kristin nickt. Ihr geht es nämlich genauso. „Wir machen aber trotzdem mit“, fügt sie schnell hinzu.

In der 8. Hauptschule Hellersdorf herrscht an diesem Dienstagnachmittag Ausnahmezustand. Um 14 Uhr soll der dreitägige Workshop mit den Young Americans beginnen. Die Schüler wissen, dass es etwas Besonderes ist, was da auf sie zukommt. Sie wissen auch, dass sie am Ende des Workshops zusammen mit den Tänzern eine große Bühnenshow aufführen sollen. Ihre Schulleiterin Gabriele Kreitel hat ihnen viel über die Tanztruppe aus Kalifornien erzählt und davon geschwärmt, was die jungen Künstler alles drauf haben. Auch davon, dass die Young Americans an der Rütli-Schule waren, haben viele schon mal gehört.

Die Young Americans gehen dahin, wo die Probleme sind. Sie waren bereits an vielen Brennpunktschulen, von der New Yorker Bronx bis Berlin-Neukölln. „Wir holen die Schüler da ab, wo sie erreichbar sind und ermöglichen ihnen, sich nicht über soziale Umstände oder Leistungen zu definieren, sondern Selbsterfahrungen zu machen, die in eine wirkliche Selbstwertschätzung münden“, sagt Michael Heib, Europa-Manager der Tanztruppe. Die Schüler würden erfahren, wie schön es ist, in einer echten Gemeinsamkeit Dinge zu realisieren, die sie vorher nicht für möglich gehalten haben. „Schüler und Lehrer werden sich ganz anders kennenlernen, die Schulgemeinschaft wird am Ende eine andere sein.“ In Deutschland werden sie von der PriceWaterhouseCoopers-Stiftung unterstützt, die für das Projekt in Hellersdorf 25.000 Euro zur Verfügung gestellt hat.

Die Truppe hält sich nicht lange mit Reden auf

Schüler und Lehrer der 8. Hauptschule haben sich seit Wochen auf den Workshop vorbereitet – Quartiere für die Künstler besorgt, einen Auftrittsort für die große Abschlussveranstaltung gesucht, die Verpflegung organisiert. Und natürlich die Eltern auf dem Laufenden gehalten und Helfer eingewiesen. Schließlich musste noch schnell ein Förderverein gegründet werden, um das Geld von Sponsoren einnehmen zu können. „Das alles war eine große Herausforderung für uns, hat uns aber schon im Vorfeld zusammengeschweißt“, sagt Schulleiterin Gabriele Kreitel.

Und nun ist es endlich soweit. Aufgeregt versammeln sich Schüler und Lehrer im Foyer des Schulgebäudes – eines typischen DDR-Plattenbaus, der innen wesentlich freundlicher aussieht, als das von außen den Anschein hat. Alle tragen schwarze T-Shirts, auf denen die Tourdaten der Young Americans aufgedruckt sind. Auch der Termin an ihrer Schule. Die 48 jungen Künstler dagegen sind sofort an ihrer bunten, sehr individuellen Kleidung zu erkennen.

Der Startschuss fällt kurz nach 14 Uhr in der neuen Turnhalle der Schule. Die Begrüßungsreden fallen kurz aus. Es geht gleich zur Sache. Die Amerikaner – Studenten der „California Pacific University of Performing Arts“ – bauen sich vor den Schülern auf, einer setzt sich ans Schlagzeug. Die Truppe beginnt zu tanzen, einige singen dazu. Es sind Hiphop-Stücke und solche aus den Charts, die die Schüler kennen. Die Vorführung strotzt nur so von Energie. Die Truppe kommt so kraftvoll rüber, dass alle sofort in ihren Bann gezogen sind. Begeisterung macht sich breit, gefolgt von tosendem Applaus.

Dann sagt Michael Heib, Europa-Manager der Young Americans, einen folgenschweren Satz: „Wir haben Euch jetzt gezeigt, was ihr alle gleich einüben werdet.“ Stille. Den Schülern bleibt der Mund offen stehen. Einige sprechen laut aus, was alle denken: „Das sollen wir können? Niemals!“ Die Young Americans, von denen die meisten ohnehin nur Englisch sprechen, scheinen das aber gar nicht verstanden zu haben. Die Schüler werden in Gruppen aufgeteilt. Der Workshop beginnt.

Konzentriert sieht Michaela ihrem Nebenmann zu. Sie reißt die Arme hoch, wenn er es tut und versucht konzentriert, bei der Schrittfolge mitzuhalten. Dem zierlichen Mädchen fällt es nicht leicht, dem schnellen Rhythmus zu folgen. Manchmal hört sie deshalb einfach auf und guckt nur zu. Einer der Künstler oder ihre Freundin Kristin zieht sie dann schnell wieder zurück in den Kreis.

Für Michaela sind die jungen Künstler eine Offenbarung. Aufgewachsen in Hellersdorf, kennt sie bisher nicht viel mehr als ihren Kiez. Sie hat noch drei ältere Geschwister, die nicht mehr zu Hause leben. Ihre Mutter arbeitet als Verkäuferin, der Vater ist arbeitslos. Die Frage, ob sie gut in der Schule ist, beantwortet die 14-Jährige mit einem Schulterzucken. Manuela ist eher schüchtern, zu viel Öffentlichkeit ist ihr unangenehm.

Die erste Nummer steht nach einer Stunde

Vielen Schülern der 8. Hauptschule geht es genauso. Deshalb sind alle total verblüfft, dass schon nach einer Dreiviertelstunde die erste Nummer steht. Der Rhythmus hat die Jugendlichen erreicht. „Das sieht schon richtig gut aus“, sagt Marie aus der zehnten Klasse. Weil sie am Fuß verletzt ist, kann die 16-Jährige nur zugucken. Und würde so gerne dabei sein. Auch ein paar Jungs sitzen am Rand. Ihnen ist das Ganze irgendwie peinlich. Außerdem haben sie keine Lust. Einige lassen sich dann aber doch überreden. Am Ende machen nur etwa zehn der insgesamt 186 Schüler nicht mit.

Mehr als vier Stunden trainieren die Jugendlichen an diesem ersten Tag. „So lange waren die meisten von ihnen noch nie hintereinander in Bewegung“, sagt Romuald Stammberger. Der 32-Jährige ist seit einem Jahr als Sozialarbeiter an der 8. Hauptschule tätig und vom Projekt der Young Americans total begeistert. „Ich hätte nicht gedacht, dass fast alle Schüler mitmachen und dann auch noch den ganzen Nachmittag bei der Stange bleiben“, sagt er. Selbst die großen Jungs, die sonst für nichts zu begeistern seien, wären eifrig bei der Sache. „Endlich können sie alle mal zeigen, was sonst noch so in ihnen steckt.“

Stammberger ist vom Gemeinschaftsgefühl fasziniert, dass sich in der Halle eingestellt hat. „Unsere Schüler brauchen das dringend.“ Die Schule sei vor zwei Jahren mit einer anderen Hellersdorfer Hauptschule fusioniert, Schüler und Lehrer müssten ein Wir-Gefühl erst noch entwickeln.

Vielen fehlt es an Selbstwertgefühl

Hinzu kämen jede Menge anderer Probleme. „Viele Schüler haben Eltern, die arbeitslos sind, etlichen fehlt es zu Hause deshalb an festen Strukturen. Wenn sie dann trotzdem pünktlich zur Schule kommen, ist das schon eine gewaltige Leistung“, sagt Stammberger. Perspektivlosigkeit sei ein weiteres Dilemma. Von den rund 60 Zehntklässlern hätten höchstens zehn einen Ausbildungsplatz. „Das Selbstwertgefühl unserer Schüler ist aus all diesen Gründen nicht besonders groß“, betont der Sozialarbeiter.

Genau hier setzen die Young Americans an. Auch am zweiten Tag des Workshops sind alle Schüler begeistert bei der Sache. Und dass, obwohl viele Muskelkater haben und das Training bereits um 8 Uhr anfängt und bis 20 Uhr gehen soll. Michaela und Kristin sind ebenfalls wieder dabei. „Das ist viel besser, als wir dachten und macht riesigen Spaß“, sagt Michaela. Viel kraftvoller führt sie inzwischen die Tanzbewegungen aus, und sie muss auch gar nicht mehr so oft zu ihrem Nebenmann gucken. Die 14-Jährige strahlt und freut sich schon auf heute Abend, wenn sie die Show auf der Bühne des Filmtheaters Kosmos aufführen und viele Eltern kommen werden. „Einige Schüler trauen sich sogar eine Soloeinlage zu“, sagt sie. Dabei klingt sie ziemlich beeindruckt. Ihr genügt es allerdings, in der Gruppe aufzutreten. Schließlich zeigen sie ihre Show vor mehr als 600 Leuten. „Das ist schon was anderes als zu Hause vor dem Spiegel“, sagt Michaela selbstbewusst.