Bildung

Bezirke hebeln Berliner Schulreform aus

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K. Lange, F.Anders und R. Köhler

Das jahrgangsübergreifende Lernen ist eigentlich das Kernstück der Grundschulreform. Doch viele Schulen boykottieren das Unterrichtsmodell einfach. Und Spandau will den Schulen nun die freie Wahl lassen.

Der Widerstand gegen das jahrgangsübergreifende Lernen (Jül) – das Kernstück der Grundschulreform– nimmt zu. In Spandau soll der seit 2004 im Schulgesetz verankerte gemeinsame Unterricht in den ersten beiden Grundschuljahren nur noch auf freiwilliger Basis fortgeführt werden. Das haben die Bezirksverordneten mehrheitlich beschlossen. Initiator des Antrags ist die FDP-Fraktion. „Spandau soll der Pilotbezirk werden, in dem jede Grundschule entscheiden kann, ob sie sich an dem Unterrichtsmodell beteiligt oder nicht“, sagte der Fraktionsvorsitzende Paul Fredersdorf. Auch Reinickendorf und Steglitz-Zehlendorf hebeln die Schulreform aus, auch hier haben die Bezirksverordneten beschlossen, das jahrgangsübergreifende Lernen nicht flächendeckend einzuführen, sondern die Entscheidung den Schulen zu überlassen.

Die größten Widerstände gegen das jahrgangsgemischte Lernen gibt es in Neukölln. Hier lernen auch in diesem Schuljahr 726 der insgesamt 2400 Schulanfänger in homogenen Jahrgangsstufen. Elf von 37 Grundschulen haben das jahrgangsgemischte Lernen noch nicht oder nur in einzelnen Fächern eingeführt. Begründet wird die Ablehnung des Kernstücks der Schulreform mit dem schwierigen Schülerklientel.

In Spandau wurden die Bezirksverordneten von „den katastrophalen Berichten der Lehrer und Eltern aufgeschreckt“, sagt der Fraktionsvorsitzende Paul Fresdorf. Das Konzept sei nicht nur an der mangelnden Ausstattung mit Personal, Räumen oder Material gescheitert. Auch inhaltlich werde das Ziel, dass die Größeren die Kleineren und die Stärkeren die Schwächeren mitziehen, nicht erreicht. Im Gegenteil: „Die Zweitklässler sind frustriert, lernen nicht viel Neues und werden in ihrer eigenen Entwicklung ausgebremst“, sagt Fresdorf. Mit dem BVV-Beschluss wolle er nun erreichen, dass die Havelstadt grünes Licht von der Senatsbildungsverwaltung bekommt, das Unterrichtsmodell freiwillig fortzuführen.

Auch der Bildungsstadtrat von Spandau hat seine Zweifel an dem gemeinsamen Lernen der ersten und zweiten Klassen. „Das Modell ist nicht so erfolgreich, wie erwartet und gewünscht“, sagt Gerhard Hanke (CDU). Er will sich jetzt unverzüglich mit der Senatsbildungsverwaltung in Verbindung setzen.

Beate Stoffers, Sprecherin von Bildungssenator Jürgen Zöllner (SDP) betonte indes, dass es dabei bleibe, dass Jül an allen Schulen eingeführt wird. „Wenn an Schulen die Rahmenbedingungen aber noch nicht stimmen, werden sie nicht zu Jül gezwungen. Dann müssen die Bedingungen erst geschaffen werden“, sagte Stoffers der Morgenpost.

Mieke Senftleben, bildungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus, begrüßte dagegen den Vorstoß der Bezirke. „Wir haben von Anfang an gefordert, dass nur die Schulen, die die Jahrgangsmischung wollen und auch die Bedingungen dafür haben, das Lernmodell umsetzen“, sagte Senftleben. Der Grundirrtum sei die Idee, dass eine Methode für alle Kinder passe. Auch für die Waldorf- oder Montessori-Pädagogik müssten Kinder bestimmte Voraussetzungen mitbringen.

Özcan Mutlu, Bildungsexperte der Grünen, hält das Konzept der Jahrgangsmischung allerdings für richtig. Jedoch müsste es weiter entwickelt werden. „So wie es jetzt läuft, kann es nicht funktionieren“, sagt Mutlu. Die Schulen bräuchten ausreichend Personal, zudem müssten die Realitäten in den Klassen, so die Zahl der Kinder mit Migrationshintergrund und Hartz-IV-Familien berücksichtigt werden.

Von 29 Grundschulen in Spandau haben drei das Jül-Prinzip noch nicht umgesetzt. Dazu gehören sowohl die Konkordia-Grundschule, die Robert-Reinick-Grundschule, als auch die Grundschule am Eichenwald. Lothar Müller, Schulleiter der Konkordia-Schule am Elsflether Weg, ist besonders froh über die Initiative der Bezirksverordneten. Müller schöpft jetzt neue Hoffnung, dass er die Klassen eins und zwei weiterhin getrennt unterrichten kann. „Mehr als 90 Prozent der Eltern wünschen sich, dass Jül nicht an unserer Schule durchgeführt wird“ sagte der Schulleiter. Seite 11