Dreharbeiten

Wie ein Berliner Tierfilmer vor einem Eisbär flüchtete

| Lesedauer: 10 Minuten
Tanja Laninger

Foto: Olaf Wagner / Pressefoto Wagner

Roland Gockel ist Berliner und Zoo-Fan. Doch Knut kennt er nur aus dem Fernsehen. Stattdessen ist der Kameramann schon mehr als 30 wilden Eisbären auf den Pelz gerückt. Der 46-Jährige hat mehrfach in der Arktis gedreht - die Flucht vor einer wütenden Eisbärin inklusive.

Morgenpost Online: Herr Gockel, wie wild sind wilde Eisbären?

Roland Gockel: Wilde Eisbären sind schwierig zu filmen. Wir standen an Land und filmten, gingen bis auf 50 Meter heran. Wenn die Bären bis dahin nicht flüchteten, gingen sie zum Angriff über. Wir sind zurück ins Boot gesprungen, der Eisbär kam ans Ufer, schnupperte, lief zurück, wir wieder an Land – hin und her. Wie beim Pingpong.

Morgenpost Online: Wie viele Eisbären haben Sie gesehen?

Gockel: Um die 30. Es ist nicht leicht, in den riesigen Gebieten der Arktis welche zu finden. Wir hatten geplant und überlegt, wo an den vielen möglichen Stellen wir das beste Licht haben würden, um die Tiere an Land zu filmen. Nur: Der Sommer war so verregnet, das Wetter so stürmisch, dass wir am Ende froh waren, überhaupt eine Stelle gefunden zu haben.

Morgenpost Online: Wann war das?

Gockel: Ich war im Sommer 2006 drei Wochen vor Ort. Ich hatte den Auftrag, Walrösser zu filmen – und Eisbären. Der Eisbärenfilm war meine dritte Reise in die Arktis. Die Dreharbeiten dauerten von 2005 bis 2007. Insgesamt waren verschiedene Teams je drei bis fünf Wochen in der Arktis – mehr ist nicht finanzierbar. Der Produzent heißt Thomas Behrendt, er ist Geschäftsführer und Kameramann der Hamburger Firma Blue Planet, für die ich auch arbeite. Er plant die Trips mit sogenannten Outfittern. Die Firmen sind darauf spezialisiert, Touren für Touristen, Wissenschaftler und Filmemacher logistisch vorzubereiten.

Morgenpost Online: Wir groß war Ihr Tross?

Gockel: Mini. Das Team in Repulse Bay, Nunavut, bestand nur aus mir, einem technischen Begleiter und zwei Inuit-Guides. Das hatte Kostengründe. Drehplätze in der Arktis gehören zu den teuersten, weil schon die Flugtickets in Kanada teuer sind; das ‚Hotel’ in der Inuitsiedlung kostet 200 Dollar pro Nacht, die einheimischen Guides 100 Dollar am Tag, das Boot 400 Dollar, dazu das Essen, die Ausrüstung.....

Morgenpost Online: Gab es Schwierigkeiten?

Gockel: Es gab Sprachprobleme mit den Inuit. Zum Beispiel habe ich gefragt: „Können wir näher an die Eisbären ran“, der Guide sagte „Ja“, wir gingen näher ran – und dann rannten wir um unser Leben. Wenn ich gefragt hätte, „Kann man auf Eisbären reiten?“ hätte er auch „Ja“ gesagt. Ich musste immer direkt nachfragen, ob das gefährlich ist und ob ich das überlebe, um alle Informationen zu bekommen. Die Inuit antworten exakt auf die Frage, die man stellt. Sie assoziieren nicht. Es liegt wahrscheinlich auch am Zeitgefühl. Das Jetzt ist entscheidend. Unsere Führer haben gar kein reines Wort für „Zeit“ in ihrer Muttersprache.

Morgenpost Online: Walrösser und Eisbären sind riesig und gefährlich. Haben Sie keine Angst?

Gockel: Doch, immer. Aber sichere Arbeit ist eine Frage der Zeit, die man hat, um sich mit der Situation und dem Tier vertraut zu machen. Drauflosstürmen wäre Leichtsinn.

Morgenpost Online: Ihr Lieblingstier ist…?

Gockel: Das gibt es nicht. Ich freue mich, wenn die Tiere, die ich filme, mich so weit akzeptieren, dass sie entspannt bleiben. Und ich freue mich sehr, wenn das Interesse am Filmteam sich nicht nur aus Hunger speist.

Morgenpost Online: Es gibt kein Foto von Ihnen mit Eisbär. Warum?

Gockel: Ich habe bei der Flucht vergessen, meine Kamera samt Stativ in Richtung Boot zu drehen. So gibt es wunderschöne Aufnahmen von Polarlandschaften – und im Hintergrund hört man das Schnauben einer wütenden Eisbärenmutter.

Morgenpost Online: Klingt schaurig.

Gockel: Nein, Eisbären sind kein bisschen bösartig. Das ist eben die für ihr Überleben notwendige Neugier. Ich habe das bei keinem anderen Tier so erlebt, dass es in aller Ruhe austestet, richtig mit Blick von oben bis unten, ob wir, das Filmteam, in seinen Speiseplan passen. Ein Eisbär kommt oft zu einem klaren Ja.

Morgenpost Online: Knut ist Botschafter für den Klimaschutz. Wie haben Sie den Klimawandel erlebt?

Gockel: Ganz konkret. So hat mir ein Inuit gesagt, dass das bereits der zweite Sommer ist, in dem er Blitz und Donner erlebt. Der Mann war sehr alt. Er kannte keine Gewitter. Anderes Beispiel: Ich konnte filmen, wie sich 19 Eisbären um einen einzigen Wal-Kadaver streiten. Das sagt etwas über ihre Not, Futter zu finden. Alle stehen in Konkurrenz zueinander. Ein junger Eisbär war bereits tot, von einem größeren zur Strecke gebracht. Generell ist der arktische Sommer, nicht der kältere Winter, die Härtezeit für Eisbären, weil sie dann große Probleme haben, an ihre Nahrung zu kommen. Im Winter lauern sie an Wasserlöchern im Eis auf Robben. Im Sommer ist das Eis geschmolzen, damit verschwinden auch die Futterplätze.

Morgenpost Online: Kommen wir zu Knut, den haben Sie noch gar nicht in natura gesehen…

Gockel: Während des Hypes wollte ich nicht Schlange stehen. Das wäre absurd, ich hatte schon 30 Eisbären in freier Wildbahn vor der Linse. Seitdem hat es sich noch nicht gefügt. Aber ich gehe gerne in den Zoo.

Morgenpost Online: Was halten Sie von Knut, der jetzt ja in Berlin bleibt?

Gockel: Die Bewegung, die Knut ausgelöst hat, wird sich in Berlin am längsten halten, seine Botschafterrolle lässt sich von der Hauptstadt aus besser tragen. Zudem hat der Berliner Zoo eine Tradition an Tierpersönlichkeiten von Flusspferd Knautschke bis Gorilla Bobby. Doch das alles spielt für Knut selbst gar keine Rolle. Für einen Eisbären im Zoo ist entscheidend, dass sein Gehege und seine Umgebung artgerecht sind. Das ist die eigentliche Herausforderung, denn Eisbären in freier Wildbahn laufen weit und schwimmen viel.

Morgenpost Online: Sind Sie gegen die Haltung von Eisbären in Zoos?

Gockel: Aus meiner Sicht gehören Bären zu den Problemtieren in Zoos, sie tun mir leid. Ich kann es nur akzeptieren, weil sie diese Botschafterrolle haben und Menschen für den Umgang mit Natur sensibilisieren und Engagement für Tiere wecken. Ich finde es toll, wenn Zoos eine Art Brücke bauen in die Wildnis. Sie sollten nicht untereinander konkurrieren, sondern sich spezialisieren.

Morgenpost Online: Wie ist es mit den anderen Tieren, die Sie filmen. Kennen Sie die?

Gockel: Das Riesenpekari aus dem Amazonasdschungel konnte ich nicht kennen – ich bin der erste, der es überhaupt gefilmt hat. Und auch Nacktmullen, Bowheadwale, Hamsterraten oder Rüsselhündchen – von denen wusste ich so gut wie nichts. Ich lerne die Tiere erst durch die Projekte kennen.

Morgenpost Online: Haben Sie selbst Tiere – Hund, Katze, Vogel?

Gockel: Ich hatte als Junge ein Meerschwein namens Fips. Fips quietschte, sobald ich aus der Schule kam und den Schlüssel ins Schloss steckte, weil es wusste, ich bringe Salat mit. Als ich später in Ecuador drehte, nahm ich eine Einladung der von Bauern zum Essen nicht an. Es gab Meerschweinchen am Grill. Das hätte mir das Herz gebrochen.

Morgenpost Online: Welche Tierfilme schätzen Sie?

Gockel: Solche, in der faszinierende Bilder mit einer politischen Aussage verknüpft werden. Zum Beispiel das Thema moderner Tierschutz. In Bayern wurde Bruno, der Braunbär, abgeknallt. Gleichzeitig fordern wir von anderen Länden, dass sie ihre wilden Tiere schützen. Das ist etwas heuchlerisch, oder? Es geht darum, integrierende Lösungen zu finden. Etwa Felder in Afrika vor trampelnden Elefantenherden zu schützen – und umgekehrt die Elefanten vor wütenden Bauern oder Wilderern.

Morgenpost Online: Sie haben auch Schauspieler und Politiker gefilmt, unter anderem die ersten 100 Amtstage von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wo ist der Unterschied?

Gockel: Es ähnelt sich sehr, man nennt manche Persönlichkeiten nicht umsonst „hohe Tiere“. Ein Kameramann wartet ewig, nichts passiert. Plötzlich taucht das- oder derjenige auf, es muss schnell gehen. Nachstellen geht nicht: Das Tier ist weg und der Politiker hat keine Zeit. Man liegt bei beiden auf der Lauer. Aber die Umgebung der Tiere ist spannender.

Morgenpost Online: Sie leben in Berlin, arbeiten in der ganzen Welt. Haben Sie überhaupt etwas von der Stadt?

Gockel: Ich bin 1986 wegen der Kameraschule nach Berlin gekommen und wegen des kreativen Geistes der Stadt geblieben. Ich habe hier auch schon gefilmt, zum Beispiel eine Dokumentation über eine Schwanenfamilie am Lietzensee.

Morgenpost Online: Warum filmen Sie?

Gockel: Ich bin 45 Jahre alt, mich haben noch Heinz Sielmann und Jacques Cousteau inspiriert. Während andere Fußballbildchen sammelten, waren es bei mir Tierbilder. Es ist mir ein Herzenswunsch, die Magie, die ich erlebe, anderen nahezubringen. Manche Tiere klingen, als hätte sie Douglas Adams für ‚Per Anhalter durch die Galaxis’ erfunden, zum Beispiel die Thermohühner Papua Neuguineas, die ihre Eier von warmer Lavaasche ausbrüten lassen. Doch mein bester Film trägt den Titel: „Bilder, die die Welt nicht sah“, weil ich selbige allesamt technisch vermasselt habe – oder die Kamera gerade blockiert war. Diese Bilder sind nur in meinem Kopf eingebrannt.