Am Mauerstreifen entlang

Was Star-Tierfilmer Andreas Kieling in Berlin sucht

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Tanja Laninger

Foto: ddp / ddp/DDP

Mit australischen Krokodilen tauchen, mit Berggorillas aus nächster Nähe kommunizieren: Andreas Kieling wagt alles auf der Jagd nach den besten Tierbildern. Zuletzt hatte es den Extremfilmer nach Berlin verschlagen. Zusammen mit seiner Hündin Cleo wanderte der ehemalige DDR-Flüchtling die alte Grenze ab.

Der Hund darf hier nicht bleiben. Nicht mal an der Leine." Plötzlich steht er da. Der Parkwächter vom Schöneberger Südgelände. Er hält seinen Behördenausweis hoch und lächelt. Er hat schlechte Zähne, riecht nach Bier, ist tätowiert. Fünf Männer starren ihn an.

"Ohne Hund macht die Geschichte keinen Sinn. Ist das hier eine verstörte Welt", sagt der mit der Hundeleine. Er spricht ruhig und leise, aber bestimmt. Er meint es ernst. Dabei ist er doch der Star. Andreas Kieling ist einer der besten Tierfilmer der Welt. Der 50-Jährige hat 2008 den britischen "Panda Award" bekommen, den Oscar der Tierfilmer, als erster Deutscher überhaupt.

Egal ob Alaska oder Asien, Afrika oder Australien, Kieling arbeitet unter extremen Bedingungen. Seine Beute sind Bilder, wie sie vor ihm keiner schoss. Er lebte sieben Monate am Yukon River, im Zelt bei minus 30 Grad. Er folgte chinesischen Bergschafen über 400 Meter hohe Steilhänge. Er kommunizierte auf drei Meter Entfernung mit Berggorillas in Ruanda. Er filmte Blaue Bären und tauchte mit australischen Krokodilen. Alles groß, alles gefährlich.

Jagdhund Cleo ist eine Schönheit

Jetzt steht er am Eingang des Schöneberger Südgeländes, und sein Dreh droht zu platzen, weil Kielings Hund Cleo die geschützte Natur nicht stören soll. Ausgerechnet! Kieling sucht vor laufender Kamera für Arte und das ZDF die knapp sieben Zentimeter lange Gottesanbeterin. Er ist für die Reihe schon durch den Harz gewandert und durch Mecklenburg-Vorpommern bis zur Ostsee, immer im Ex-Grenzgebiet. Immer mit Cleo an der Seite. Kieling sieht durchtrainiert aus, hat halblange rote Haare, ein markantes Profil, braune Haut. Eine Mischung aus Wikinger und Weltretter. Cleo aber ist eine Schönheit. Mit ihrem kurzen, goldbraunen Fell, den langen, weichen, einen Ton dunkler gefärbten Ohren und den tiefbraunen Augen. Die Zweijährige hat Rasse. "Sie ist eine Hannoversche Schweißhündin", erläutert Kieling. Vor allem trägt sie Fell, keine Federn, keine Blätter - Fell kommt bei den Zuschauern besser an, sagt Kieling. Und anderswo. Cleo schnuppert am Parkwärter, an Stellen, die Menschen beim Guten-Tag-Sagen nie berühren. Dann spielt Cleo mit Junior, dem Collie des Parkwärters. Parkwärter samt Collie verlieben sich. Cleo bleibt.

Schließlich ist Kieling mit Bernd Machatzi von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung verabredet. Es wird ein Rendezvous im Gras, in der prallen Sonne, wo sich die Insekten gern aufhalten. Gottesanbeterinnen stehen auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tiere. Machatzi vermutet, dass ein Berliner sie ausgesetzt hat. Gesehen hat er schon einige. Nur heute lassen sie sich nicht blicken. Statt ihrer finden Kieling und Machatzi Zauneidechsen, hören Verkannte Grashüpfer, riechen an Nachtkerzen und werden von Erdwespen gestochen. Das mag nach Kleinklein klingen - Kieling wurde schon von einer giftigen Seeschlange gebissen. Doch er sagt: "Setz dich zwei Stunden hier ins Gras. Sei ruhig. Du wirst dich wundern, was um dich herum kreucht und fleucht." Er hat sich schon als Fünfjähriger für Insekten begeistert, in Gotha, wo er aufwuchs. Inzwischen ist er Fünfzig.

Er kratzt sich Hundedreck vom Schuh. "Ich hasse den Geruch. Cleo findet ihn toll, Cleo findet Berlin toll. Ich finde es hektisch und laut." Kreuzberg gefällt ihm. "Das sind keine Chaoten, die Leute lieben ihren Kiez." Und ihre Hunde. In Kreuzberg ist Kieling in der Nacht in das Häufchen getreten. So widerlich er es findet - Bilder eines Kieling, der Hundedreck mit einer Plastiktüte aufwischt, werden wir nie sehen. Kieling braucht die Abenteuer der Wildnis, nicht die der Großstadt. Eine Woche hält das Team sich in Berlin auf, sucht Waschbären im Garten des Bundespräsidenten und Wildschweine, segelt um die Pfaueninsel und spaziert durch Binnendünenlandschaften.

Im Schöneberger Südgelände verbellt Cleo ein Eichhörnchen, Kieling betrachtet eine Birke. "Die ist höchstens 30 Jahre alt. Ich sehe das, ich war mal Förster." Das war vor 27 Jahren in der Eifel, wo seine Frau und Söhne heute noch leben - und Kieling, wenn er mal zu Hause ist. Kieling spricht in die Kamera: "Mein Großvater wäre entsetzt, wenn er das hier sähe. Der hatte sich vom Heizer hochgeschaufelt zum Lokführer. Hier hat die Natur sich zurückgeholt, was ihr zusteht." Die Szene wird fünf Mal gedreht. Dreharbeiten sind Geduldssache. Und das Team hat die Ruhe weg.

Regisseur Michael Gärtner hat in Afrika einen Film über Baobabs gedreht. 43 Minuten nur über einen Baum - das dauert. Kameramann Frank Gutsche war vor Kurzem mit Kieling in Afrika, wo sie von einer Elefantenkuh angegriffen wurden. Gutsche erschrak, behielt aber die Kamera im Griff. Kieling filmte mit seiner Kamera pausenlos weiter - in erster Reihe. Es gibt Momente, da denkt man weder an Familie noch ans Sterben. Da denkt man nur an die Aufnahmen. Sogar die Leitkuh. Sie blieb kurz vor Kieling stehen, trompetete wütend und wandte sich ohrenschlackernd ab. Tonmann Christian Friedel ist mit von der Partie, weil Frank gern mit ihm zusammenarbeitet. Und Manni ist das Mädchen für alles.

Auf der Flucht angeschossen

Sie arbeiten Hand in Hand. Nach drei Stunden - Machatzi möchte gehen - ist es die Hand von Kieling, die eine Gottesanbeterin fängt. Der Dreh ist gerettet.

Mittagspause und Ortswechsel. Am Nordhafen in Mitte trifft Kieling auf Jürgen Litfin. Der 69-Jährige führt an der Kieler Straße 2 eine Gedenkstätte für seinen Bruder Günter Litfin. Er wurde am 24. August 1961 etwas weiter südlich im Humboldthafen auf der Flucht von Grenzern erschossen. Kieling und Litfin unterhalten sich in einem alten Wachturm. Cleo bleibt draußen. Kieling ist bedrückt, als er wieder ins Freie tritt. Das sei der emotionalste Augenblick der sechswöchigen Dreharbeiten gewesen, sagt er zu Jürgen Litfin. "Ihr Bruder ist exekutiert worden. Ich lebe. Aber auf mich haben auch Grenzer geschossen, in der Donau." Kieling war 16, als er aus der DDR flüchtete, vor einem harten Stiefvater, vor einem einengenden Staat. Bei seiner Flucht durch die Donau entdeckten ihn Grenzsoldaten, zielten und trafen. Steckschuss. Kieling zieht seinen blauen Fjällraven-Pulli hoch. Die Narbe ist wenige Millimeter links neben der Wirbelsäule zu sehen. Kieling kam lebend am West-Ufer an. Den 16. Oktober feiert er seitdem als zweiten Tag der Geburt.

An Land blieb er nicht lange. Wenige Monate später heuerte er in Hamburg bei der Reederei Deutsche Nordsee, später bei der Reederei Deutsche Afrika Linien an. Er fängt Rotbarsch und Kabeljau, Schellfisch und Seelachs, arbeitet manchmal drei Tage am Stück ohne zu schlafen, prügelt sich täglich an Bord und hat immer einen Hund dabei: Idefix.

Wildnis-Hörspiel für die Söhne

Idefix war bei Matrosen, Bootsmännern und Kapitänen genau so beliebt wie Cleo heute bei Crew, Interviewpartnern und Schaulustigen. „Auf unseren Grenzgängen wird Cleo von jedem gestreichelt, ich von keinem“, witzelt Kieling, „nur einer Oma ist schlecht geworden, als sie mich erkannt hat“. Vor Aufregung. Kieling ist ein Star, oft im Bild zu sehen mit Eisbären, Gorillas und Elefanten. Angefangen hat diese Form der Moderation ganz privat. Bei den monatelangen Aufenthalten in der Arktis sprach er jeden Abend seinen beiden Söhnen das Erlebte auf Kassette. Kielings Indianer-Freund Greg machte passende Geräusche. Ganze Hörspiele produzierten sie, Kieling ließ sie vom Postflugzeug, das ihn in der Wildnis versorgte, mitnehmen und nach Hause in die Eifel schicken.

Schließlich nahm er eine Kamera und filmte sich für seine Söhne mit den Tieren – so gut, dass das ZDF später die Bilder zeigen wollte. Alaska macht Kieling berühmt. Rund 17 große Filme hat „der Bärenmann“ gedreht. Vier Millionen Zuchauer sehen sich seine Expeditionen an – in Deutschland. Die Filme werden außerdem im National Geographic Chanel gesendet, sind in 125 Ländern zu sehen. Ans Aufhören denkt er nicht. 120 Ziele habe er noch auf der Liste. „Ich kann ja nicht immer nur in Alaska sein“, sagt er. Zumindest Berlin kann er abhaken.