Berlin kämpft mit dem S-Bahn-Chaos, die Wirtschaft der Hauptstadt spürt die Krise, es drohen Entlassungen, SPD und Linke haben dramatisch in der Wählergunst verloren. Über Fehler des Senats und Lösungen für die rot-rote Krise, darüber sprach Joachim Fahrun mit Berlins Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke).
Morgenpost Online: Herr Wolf, was lernt der Senat aus dem S-Bahn-Desaster?
Harald Wolf: Das Land muss in Ausschreibungen und Verträgen die Qualitätskriterien, Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten schärfer fassen. Wir müssen dafür sorgen, dass mit der S-Bahn ein anderes Geschäftsmodell gefahren wird und nicht nur Millionen bei der Konzernmutter abgeliefert werden.
Morgenpost Online: Die Koalitionsparteien SPD und Linke schneiden derzeit in den Umfragen nicht so gut ab. Wie erklären Sie sich den Vertrauensverlust?
Wolf: Wir hatten in den letzten Monaten schwierige Diskussionen, zum Beispiel über das Thema Schulreform. Die Abschaffung der Hauptschule ist zwar überfällig, bedeutet aber auch große Veränderungen. Negativ für uns war, dass wir fast nur über ein Losverfahren an den Gymnasien diskutieren mussten anstatt über den Sinn dieser Reform. Zweitens haben wir Probleme in der Stadt, auf die der gesamte Senat ein größeres Augenmerk richten muss: Die soziale Entwicklung, die steigenden Mieten in der Innenstadt für kleinere Wohnungen.
Morgenpost Online: Wenn Sie vom gesamten Senat sprechen, müsste doch der Regierende Bürgermeister solche Initiativen bündeln. Was muss Klaus Wowereit besser machen?
Wolf: Wir müssen uns noch einmal verständigen, welche wesentlichen Themen wir in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode angehen wollen. Das ist zunächst die Schulreform. In der Vergangenheit gab es immer wieder gute Ideen in der Bildung, die Umsetzung sorgte aber für Verärgerung. Das muss diesmal anders laufen. Zweitens müssen soziale Fragen stärker in den Blick. Es ist gut, dass wir mit der Fashion Week und der Modemesse Bread & Butter gute Events hingelegt haben – mit positiven wirtschaftlichen Effekten. Aber das ist nicht die Lebenswelt der großen Mehrheit in Berlin. Ich halte es für zentral, dass der Senat in der Mieten-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik deutlich macht, er kümmert sich. Nach den Bundestagswahlen sollte Berlin aktiv werden, um eine Kappungsgrenze bei Neuvermietung im Mietrecht zu etablieren.
Morgenpost Online: Ihre Partei besetzt das Ressort Soziales und Arbeit. Da steht ein Personalwechsel bevor. Welche Akzente muss die neue Senatorin Carola Bluhm setzen?
Wolf: Ich werde der künftigen Kollegin kein Arbeitsprogramm vorlegen. Aber zunächst geht es darum, die gute Arbeit von Heidi Knake-Werner fortzusetzen. Der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor wird in der Krise an Bedeutung zunehmen. Es wird aber auch der Druck auf dieses Modell zunehmen vonseiten des Bundes. Denn mit steigender Arbeitslosigkeit wird die Tendenz stärker, möglichst viele Menschen mit Ein-Euro-Jobs aus der Arbeitslosenstatistik hinauszubekommen.
Morgenpost Online: Aber die Förderung von Beschäftigung ist sehr teuer…
Wolf: Man muss sich entscheiden. Entweder man gibt den Menschen eine Perspektive, zahlt ihnen ein existenzsicherndes Einkommen und sorgt für mehr Qualifikation. Oder man schickt Leute für ein halbes Jahr in wirkungslose Ein-Euro-Jobs. Auch der Bundesrechnungshof hat festgestellt, wie ineffektiv Ein-Euro-Jobs sind.
Morgenpost Online: Die Fraktion der Linken muss jetzt gut zwei Monate mit einer Vorsitzenden Bluhm auf dem Absprung leben. Halten Sie das für gut?
Wolf: Es gibt bessere Zeitpunkte für einen Personalwechsel als zu Beginn der Sommerpause. Aber als das Gerücht von Heidi Knake-Werners bevorstehendem Rückzug umging, war es besser, schnell damit rauszugehen. Ich hätte mir gewünscht, wir hätten auch die nachfolgenden Personalentscheidungen schnell verkünden können, um nicht allzu viel Raum für Spekulationen zu geben.
Morgenpost Online: Ihr finanzpolitischer Sprecher Carl Wechselberg, der Ihnen politisch sehr nahe stand, hat aus Frust über wachsenden Linkspopulismus Ihrer Bundespartei seinen Austritt aus der Linken erklärt. Leiden Sie auch unter diesem Kurs?
Wolf: Das, wofür die Linke heute in den zentralen Themen bundesweit steht, sind ausgesprochen realistische Forderungen. Etwa zur Finanz- und Wirtschaftskrise. Populistisch ist, wenn der Bundesfinanzminister fordert, jetzt müssten die Banken wieder Kredite geben, und alle, die etwas davon verstehen, sagen, dass die Banken zum größten Teil ihre Aktivseite herunterfahren müssen, weil ihr Eigenkapital aufgezehrt ist. Wir sagen, die Banken müssen ihre toxischen Papiere abschreiben, der Staat muss mit Kapitalerhöhungen einsteigen und im Gegenzug Eigentumsanteile erhalten. So schafft man Vertrauen für den Interbankenhandel, und der Staat sozialisiert nicht nur die Verluste, sondern partizipiert auch an künftigen Gewinnen. Populismus finde ich auch, wenn man eine Schuldenbremse beschließt und gleichzeitig über Steuersenkungen diskutiert. Unrealistische Politik ist auch, wenn die Bundesregierung Ende letzten Jahres sagt, wir brauchen kein Konjunkturpaket, dann häppchenweise nachlegt und dabei noch unter dem bleibt, was international üblich und geboten ist.
Morgenpost Online: Brauchen wir denn ein neues Konjunkturpaket?
Wolf: Gegen Ende dieses Jahres wird die Binnennachfrage gravierend einbrechen, weil die Kurzarbeit ausläuft und es Entlassungen geben wird. Noch ist die Krise für viele virtuell, nächstes Jahr wird das ganz andere Folgen auf dem Arbeitsmarkt haben. Deshalb brauchen wir dann ein Konjunkturprogramm, um die Massenkaufkraft zu stabilisieren und die Binnennachfrage zu erhöhen. Die Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze und der Mindestlöhne etwa.
Morgenpost Online: Bundesweit gab es einige Indikatoren, dass die Krise den Boden erreicht hat. Sehen Sie positive Zeichen auch in Berlin?
Wolf: Ich sehe sie auch bundesweit nicht. Es ist nicht verwunderlich, dass die Auftragseingänge gestiegen sind. Die Unternehmen haben erst mal ihre Lager leer geräumt, jetzt wird wieder in bescheidenem Umfang bestellt. Nach zwei Quartalen mit dramatischen Einbrüchen fahren wir sozusagen geradeaus weiter, Aufschwungtendenzen kann ich nicht erkennen. Das Auftragsniveau ist dramatisch niedrig, 30 Prozent hinter dem Vorjahresniveau. Der Finanzmarkt ist nach wie vor nicht funktionsfähig. Das Thema Kreditklemme für Unternehmen wird ein großes Problem.
Morgenpost Online: Das Land Berlin verfügt ja über ein Instrument, um gegenzusteuern – die Investitionsbank Berlin. Halten Sie es für glücklich, gerade jetzt die komplette Führung auszuwechseln?
Wolf: Die IBB ist gut aufgestellt. Es besteht nicht die Gefahr, dass sie in der Krise nicht handlungsfähig ist. Die neue Führung wird in der Kontinuität arbeiten und sich in Zusammenarbeit mit dem Senat und dem Verwaltungsrat an neue Situationen anpassen. Die IBB muss in der Krise stärker Betriebsmittel-Kredite vergeben, um das Problem mit der Liquidität zu lösen. Außerdem müssen wir mit den Geschäftsbanken stärker das Risiko teilen. Wir diskutieren, in welchem Umfang wir da einsteigen können. Und wir müssen das Verfahren für Landesbürgschaften vereinfachen. Die Nachfrage wird steigen, weil die Unternehmen Bürgschaften als zusätzliche Sicherheiten bei ihren Geschäftsbanken nachweisen müssen.
Morgenpost Online: In der Krise wäre es sicherlich hilfreich, wenn man schon einen Unternehmensservice für die Firmen im Bestand hätte, den die seit zwei Jahren umzusetzen versuchen. Nun soll es Anfang 2010 losgehen. Warum dauert so etwas in Berlin so lange?
Wolf: Weil man mit sehr vielen Akteuren reden und sie überzeugen muss. In den Bezirken gab es Befürchtungen, wir wollten dort so etwas wie einen Präfekten der Senatsebene etablieren.
Morgenpost Online: Das wollten Sie, um die vom IHK-Präsident als „Behinderungsalltag“ beklagte Praxis zu verbessern.
Wolf: Es sind nicht die Wirtschaftsförderungen, die Probleme machen, sondern andere Ressorts. Die muss ich überzeugen, nicht nur aus ihrer Perspektive heraus zu denken, wenn ein Unternehmen etwas braucht, sondern mitzureflektieren, was eine bestimmte Auflage wirtschaftlich bedeutet und ob es nicht einen anderen Weg gibt.
Morgenpost Online: Das heißt, der Fokus auf die Belange der Wirtschaft ist in Bezirken und Senat noch nicht da?
Wolf: Es ist schon besser geworden, aber es reicht noch nicht aus. Gegenwärtig erarbeiten wir mit Kammern, Gewerkschaften und Unternehmensverbänden einen Masterplan Industrie, der Ende 2009 fertig sein wird. Um die Chancen für industrielles Wachstum zu nutzen, muss das ein ressortübergreifendes Projekt sein. Industriepolitik ist nicht nur ein Thema für das Wirtschaftsressort, sondern auch für die Bereiche Gesundheit, Verkehrsverwaltung, Wissenschaft. Es muss stärker ins Bewusstsein gerückt werden, nach innen und nach außen: Berlin ist ein wettbewerbsfähiger Industriestandort, und alle müssen mithelfen, dass daraus mehr Arbeitsplätze entstehen.