Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) haben die erste Runde im juristischen Ringen gegen die US-amerikanische Bank JP Morgan verloren. Ein Richter am Royal Court of Justice stellte jetzt fest, dass der Rechtsstreit zwischen dem Verkehrsunternehmen und der Bank um zunächst 112 Millionen US-Dollar (rund 80 Millionen Euro) in London und nicht wie von der BVG gewünscht in Deutschland ausgetragen werden soll. (Neutral Citation Number: 2209 EWHC 1627 Comm). Die Amerikaner fordern die Summe von der BVG als Ausgleich für Verluste aus riskanten Wertpapiergeschäften, die der BVG-Vorstand 2007 auf ihr Anraten hin getätigt hatte.
Die Berliner Verkehrsbetriebe hatten im Juli 2007 von JP Morgan ein sogenanntes CDO-Paket (Collateralized Debt Obligation) mit einem Volumen von 157 Millionen Euro übernommen, um Verluste aus früheren US-Leasinggeschäften zu kompensieren. In denen hatte die BVG Hunderte Waggons an US-Investoren verkauft und zurückgemietet. Aus dieser Spekulation wollte die BVG einen Sondergewinn von 5,6 Millionen Euro erzielen und eine Kreditversicherung für neue Risiken aus den Leasinggeschäften von 1,3 Millionen Euro begleichen.
Erste Verluste mit der Finanzkrise
Mit Beginn der Finanzkrise traten die ersten Verluste ein. Im Januar 2009 stellte JP Morgan, wie berichtet, der BVG 112 Millionen Dollar in Rechnung. Die Banker ahnten jedoch, dass ihr ehemaliger Kunde nicht ohne Weiteres bezahlen würde. Schon im Oktober 2008 hatten sie darum in London Klage eingereicht, um den Gerichtsstand feststellen zu lassen. In Großbritannien rechnen sich die Angelsachsen bessere Chancen aus als in Deutschland. Die BVG hatte im März 2009 ihrerseits das Landgericht Berlin angerufen.
Die Verkehrsmanager machen geltend, JP Morgan habe sie über die Risiken der Papiere falsch beraten. Außerdem hätte die BVG mit einem solchen Deal ihre Befugnisse überschritten. Deshalb sei das gesamte Geschäft nichtig. Weil es sich also um eine Angelegenheit des deutschen Rechts handele, müsse auch ein deutsches Gericht darüber urteilen.
Wie erst jetzt bekannt wurde, tauschten beide Seiten ihre Argumente am 29. und 30. Juni in London in einer Anhörung vor einem Commercial Court aus. Dabei wurden allerhand ähnliche Fälle verglichen, in denen Unternehmen aus zwei unterschiedlichen Ländern Europas Rechtsstreitigkeiten ausgefochten haben und wo es darum ging, sich widersprechende Urteile zu vermeiden.
Elf Treffen zwischen BVG und JP Morgan
Die Anwälte der BVG trugen vor der Wirtschaftskammer laut Urteil zum Vorwurf der Falschberatung vor. Sie hätten gedacht, mit dem Wertpapierpaket die Risiken aus ihren alten Cross-Border-Leasing-Geschäften zu reduzieren. Stattdessen kamen für sie jedoch neue Risiken hinzu. Mit Ausbruch der Finanzkrise wurde deutlich, dass viele der Kreditderivate verloren sind und somit große Teile der Verluste aus dem Paket die BVG belasten. Denn mit dabei waren inzwischen weltbekannte Pleitefälle: die nur vom US-Staat geretteten Immobilienfinanzierer Freddie Mac und Fannie Mae, die bankrotte Investmentbank Lehmann Brothers sowie drei isländische Geldhäuser.
Richter Teare erklärte, der Rechtsstreit habe gute Chancen, in London in einer Hauptverhandlung geklärt zu werden. Dabei werde dann die Frage behandelt, was die Berater von JP Morgan in insgesamt elf Treffen mit den BVG-Finanzexperten von Juni 2006 bis Juli 2007 über das Wesen solcher Papiere erklärt haben und was die Deutschen von den hochkomplexen Strukturen dieser Finanzinstrumente verstanden haben. Nicht einlassen wollte er sich aber auf die Frage, ob der BVG-Vorstand mit Andreas Sturmowski und der Aufsichtsrat unter dem ehemaligen Finanzsenator Thilo Sarrazin mit dem Abschluss eines solchen Spekulationsgeschäftes die Befugnisse einer deutschen Anstalt des öffentlichen Rechts überschritten haben und das ganze Geschäft damit illegal sei. Die BVG-Vertreter trugen vor, die BVG sei eben kein Finanzdienstleister, der Deal habe in keinem Zusammenhang zu den früheren Leasing-Geschäften gestanden, die Transaktion sei hochspekulativ gewesen und habe die BVG hohen Haftungspflichten ausgesetzt.
Hoffnung auf Klageverzicht hat sich zerschlagen
Mit diesen Aussagen stellten die BVG-Anwälte vor Gericht frühere Aussagen der BVG gegenüber der Berliner Öffentlichkeit endgültig ins Reich der Fabel. Als im April bekannt geworden war, dass das landeseigene Unternehmen 157 Millionen Euro für mögliche Verluste aus dem CDO-Geschäft zurückstellen muss, hatte die BVG noch behauptet: Der Deal sei zwingend notwendig gewesen, um Risiken aus den alten Leasing-Geschäften abzusichern.
Nachdem nun die Prozessmaschine in London angerollt ist, muss die BVG auch eine weitere Hoffnung fahren lassen. Lange hatten die Verkehrsmanager sich Mut gemacht, JP Morgan werde vielleicht auf eine Klage verzichten, um keinen Präzedenzfall zu schaffen und im Falle einer Niederlage auch zahlreichen anderen Kunden die Verluste ersetzen zu müssen.
JP Morgans europäische Niederlassung in London wollte den Rechtsstreit nicht kommentieren. Von der BVG hieß es, man habe Berufung gegen den Spruch aus London eingereicht.