Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) galt lange nicht gerade als Wirtschaftsexperte. Jetzt will er umsteuern, lud die Spitzen der Berliner Wirtschaft zu einem geheimen Industriegipfel ins Rote Rathaus. Die Herren verteilten Arbeitsaufträge, die sie bis zu einem weiteren Treffen im Herbst erledigen wollen.

Berlins Kreative und Designer konnten auf die Unterstützung des Regierenden Bürgermeisters zählen, auch für Medien und Tourismus hatte er ein Ohr. Aber zu den harten Themen der Industriepolitik fehlte Klaus Wowereit der Zugang. So verkündete er hartnäckig, ein Job im Hotel sei ihm so lieb wie ein Job in einer Fabrik, und verkannte dabei, dass ein Industriejob in der Regel zwei bis drei Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor nach sich zieht.

Jetzt will Wowereit umsteuern. Am Dienstagmittag empfing er in seinem Amtszimmer für anderthalb Stunden die Spitzen der Berliner Wirtschaft zum Industriegipfel, der aber informell als industriepolitisches Arbeitsgespräch gestaltet war. Mit am Tisch saßen der Präsident der Unternehmensverbände UVB, Berlins Siemens-Chef Burkhard Ischler, IHK-Präsident Eric Schweitzer, Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke), IG-Metall-Chef Arno Hager, Handwerkskammer-Hauptgeschäftsführer Jürgen Wittke und der DGB-Landesvorsitzende Dieter Scholz.

Explizit verzichtete Wowereit darauf, das Treffen öffentlich zu machen oder eine gemeinsame Erklärung zu verabschieden, um sich nach dem Bahngipfel vom Montag nicht dem Verdacht auszusetzen, symbolische Gipfelpolitik zu betreiben.

In Berlin fehlen 370.000 Jobs

Seine Gäste respektierten den Wunsch. Sie wissen, dass es ihren Interessen hilft, wenn sie den Regierenden für das Thema Industrieförderung gewinnen können. Grundlage der Diskussion war eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die Berlin im Vergleich mit anderen Metropolen eine „Beschäftigungslücke“ von 370.000 Jobs attestiert, davon 90.000 in der Industrie. Ohne Industrie dürfte ein rascher Aufholprozess der Berliner Wirtschaft nicht möglich sein, hieß es dort. Die Industrie spiele jedoch in der Standortwerbung keine Rolle. Es fehle ein „ressortübergreifender öffentlicher Diskurs“ zu den wirtschaftlichen Perspektiven der Stadt, schrieben die DIW-Forscher.

Wowereit hatte sich schon in den vergangenen Wochen dem Thema zugewandt, eröffnete Fabriken und trat bei großen Industriekonferenzen im Rathaus und in Adlershof auf.

„Konferenzen sind schön und gut“, sagte Wowereit nach Angaben von Teilnehmern. Man müsse auch am Image Berlins als Industriestandort arbeiten, gab er zu. Aber der Regierende drängte darauf, konkrete Schritte zu unternehmen. „Ich habe keine Lust, mich von Ihnen an die Wand nageln zu lassen“, soll Wowereit gesagt haben. Viele seiner Besucher hatten dem Sozialdemokraten in der Vergangenheit Untätigkeit vorgeworfen, wenn es um die Belange der Industrie ging.

Die Herren verteilten Arbeitsaufträge, die sie bis zu einem weiteren Treffen im Herbst erledigen wollen. Dabei geht es um die klassischen Themen der Industriepolitik. Wie finden die kleinen und mittleren Berliner Firmen besser Fachkräfte? Was muss sich an der Qualifizierung verbessern? Wie können Unternehmen die Potenziale der Berliner Forschungseinrichtungen besser nutzen? Wie lässt sich die Qualität der Gewerbegebiete anheben? Wie kann die Verwaltung stärker auf die Bedürfnisse der Unternehmen eingehen? Und wie soll der Welt wieder nahegebracht werden, dass die Berliner Industrie eben nicht nach der Wende komplett gestorben ist, sondern sich deutlich modernisiert hat?

Alle diese Themen berühren nicht nur das Ressort des Wirtschaftssenators Wolf, sondern auch andere Senatsverwaltungen. „Da bleibt für Wowereit die natürliche Rolle des Antreibers“, sagte ein Teilnehmer der Runde.